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Baden-Württembergs Allgemeinärzte werden immer älter. 23 Prozent sind über 60 Jahre alt.

Stuttgart - Baden-Württembergs Allgemeinärzte werden immer älter. 23 Prozent sind über 60 Jahre alt. Noch kommt ein Hausarzt auf 1500 Einwohner. Ein Spitzenwert im Ländervergleich. Weniger spitze ist, dass dabei der demografische Wandel völlig außer Acht bleibt.

In Baden-Württemberg gibt es derzeit 8013 Haus- und Kinderärzte, 7619 Fachärzte und 2793 Psychotherapeuten. Das ist laut gesetzlicher Richtlinie genug. Das Land gelte fast als überversorgt, schreibt die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) in ihrem neuen Versorgungsbericht. "Das sieht mancher auf dem Land sicher anders, wenn er zehn Kilometer zur Praxis fahren muss", räumt Gisela Dahl von der KVBW ein.

Es scheint so, als sei die Richtlinie aus dem Jahr 1993 veraltet. Vor 17 Jahren war die Altersstruktur ausgewogener. Die Zahl der Hausärzte hat sich von 1999 bis 2009 um ein Prozent vergrößert, die Zahl der über 65-Jährigen dagegen ist allein bis 2008 um fast 28 Prozent gestiegen. Den demografischen Wandel blendet die Richtlinie völlig aus. "In fünf bis zehn Jahren könnte die hausärztliche Versorgung in Baden-Württemberg ein massives Problem werden", sagt Gisela Dahl.

Hausarzt flexibler als früher

Allein am Regelwerk liegt das nicht. Knapp ein Viertel der Ärzte im Land sind über 60 Jahre alt und brauchen einen Nachfolger. Nur wenige junge Ärzte wagen noch den Schritt in die Selbstständigkeit. "Die Honorarreform, die Bürokratie und die Regressforderungen schrecken ab", sagt Dahl. Wozu um mehr Arztpraxen kämpfen, wenn keiner bereit ist, diese auch zu gründen? Gesundheitsministerin Monika Stolz (CDU) will dem dennoch nachgehen: "Ich setze mich dafür ein, dass kleinräumige Festlegungen und sektorenübergreifende Verzahnungen künftig besser möglich sind."

"Wir müssen viel früher ansetzen", sagt KVBW-Chef Achim Hoffmann-Goldmayer. Und zwar schon bei der Zulassung zum Medizinstudium. Wer erstklassige Noten habe, wolle eher in die Forschung statt in die Allgemeinmedizin. Dahl schwebt deshalb ein Basisstudium vor: "Ohne Numerus clausus. Nach einem Jahr entscheidet eine Prüfung, wer weiter studieren darf." Um sich niederzulassen, braucht es eine Facharztausbildung in Allgemeinmedizin. Die KVBW regt an, Studenten, die sich für diesen Weg entscheiden, die Studiengebühren zu ersparen.

Ist der junge Arzt dann willig, eine Praxis zu übernehmen, müssen die Gemeinden um ihn werben. "Viele Kommunen wenden sich an uns und beklagen, dass sie unterversorgt sind", sagt Dahl. "Wir wollen es so früh wie möglich erfahren, wenn ein Arzt vor hat, seine Praxis aufzugeben." Dann sehe man sich gemeinsam nach Alternativen um.

Weil die Selbstständigkeit für junge Mediziner allein nicht mehr attraktiv genug ist, hilft den Gemeinden das Jammern nicht. "Sie müssen sich ähnlich bemühen wie bei Gewerbeansiedlungen. Die Frage, ob ein junger Arzt sich niederlässt, hängt maßgeblich von dem Standort ab", betont Dahl. Haben seine Kinder einen Betreuungsplatz? Kann der Notdienst mit dem Arzt der Nachbargemeinde geteilt werden? Gibt es Freizeitangebote? All das sind Kriterien, die für oder gegen die Gemeinde sprechen können. Gute Beispiele gebe es bereits: "Eine Gemeinde im Bodenseekreis organisiert den Transport vom Patienten zur Praxis, damit spart sich der Arzt Hausbesuche", meint Dahl. Umso seltener die jungen Ärzte seien, umso mehr müsse man auf ihre Bedürfnisse eingehen. Denn heute ist der Hausarzt viel flexibler als früher. Ansätze seien Kooperationen über Ortsgrenzen hinweg, halbe Versorgungsaufträge und medizinische Zentren für mehrere Ortschaften.