Sieht wie Chaos aus – oder nach einer Ordnung, die meist keiner außer dem Besitzer nachvollziehen kann. Foto: Adobe Stock/Olga Yastremska

Zu dreckig für den Schrank, aber zu sauber für die Wäsche? In jedem Schlafzimmer steht ein Stuhl, auf dem sich die Klamotten stapeln. Komischerweise verstehen manche gar nicht, warum das nötig ist. Der Münchner Wohn-Psychologe und Paartherapeut Uwe Linke rät davon ab, bei Alltagsstreits Kompromisse zu suchen.

Für das Möbelhaus Ikea hat eine Agentur 2018 mit der Werbung „The Chair“ Preise gewonnen. Auf den Bildern sind zwei Stühle zu sehen, einer ist ein Design-Klassiker, der andere ein Ikea-Imitat – Unterschiede erkennt man nicht, vor allem deshalb, weil beide mit sehr vielen Kleidern behängt sind. Egal also, so der Tenor, ob man einen Bauhaus-Klassiker für 640 Euro oder das Modell Tobias von Ikea für gerade mal 70 Euro kauft. Denn jeder kennt diesen einen Stuhl im Schlafzimmer, der kaum noch zu sehen und mehr Ablage als Sitzgelegenheit ist, der manchmal beinahe unter seiner Last zusammenzubrechen droht.

 

Was von Weitem wie Chaos aussieht – man verliert ja den objektiven Blick für die eigenen Einrichtungsgegenstände –, ist doch aus kaum einem Schlafzimmer wegzudenken. Der Klamottenstuhl ist entweder ein chaotischer Ort ohne System oder folgt einer dubiosen Ordnung, die meist keiner außer dem Besitzer nachvollziehen kann. Einer tiefen inneren Logik, etwa: über der Lehne T-Shirts und Pullover, an den Armlehnen Hosen oder Röcke, auf der Sitzfläche Gürtel. Etwas demütigend kann es sein, zieht man ein T-Shirt dort weiter unten heraus, scheinbar mit einer schnellen geschickten Bewegung, und alles rutscht auf einmal von der Lehne und fällt theatralisch zu Boden. Tja.

Warum? Warum braucht es das? – fragen die einen

Der Stuhl ist ein kompliziertes Gesprächsthema, dessen Konfrontation genau zwei Reaktionen zulässt. Darauf angesprochen kichert man entweder ertappt oder rollt genervt mit den Augen. Die Welt teilt sich nämlich in zwei Arten von Menschen: solche, die einen immer voll bepackten Ablagestuhl haben, und solche, die sich über den Ablagestuhl des Partners aufregen.

Und die Frage, die nur Leute stellen können, die zur zweiten Spezies gehören, lautet: Warum? Warum braucht es das? Kann man nicht einfach Kleidung zwei Tage lang anziehen und dann in die Wäsche tun?

Schwierig, finden die anderen. Denn natürlich trägt man Unterwäsche und Sportkleidung nur einmal, bevor sie direkt wieder gewaschen werden müssen. Doch komplizierter ist es mit Pullovern und Hosen. Schließlich zieht man in den seltensten Fällen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen exakt dasselbe an. Man ist ja kein Kind.

Der Ablagestuhl im Schlafzimmer ist dadurch eine Art Zwischenreich für Kleidungsstücke. Für jene, die einmal getragen wurden, aber noch zu sauber für die Wäsche sind. Nicht ganz dreckig, aber auch nicht mehr sauber genug für den Schrank. Umhüllt vom Zauber einer Existenz zwischen den Welten hätten die Kleidungsstücke nun einmal gar keinen Platz, gäbe es nicht den Klamottenstuhl. Er ist ein Ort des Transits, Übergangsort könnte man sagen, für Kleider.

Die Stücke auf dem Ablagestuhl erzählen ihrem Besitzer auf geheimnisvolle Weise die Geschichten des in den vergangenen Tagen Erlebten. In der Flatterhose schlummert noch der Spaziergang um den Stausee, wo es so nach Flieder roch. In der Blumenbluse dieser verregnete Abend, an dem man geküsst wurde. In dem weißen T-Shirt ruht die Hoffnung auf besseres Wetter und in der alten Jeans die praktische Einsicht, dass man auch den Rest der Gartenhecke in den nächsten Tagen noch schneiden muss.

Die Kleiderflut breitet sich aus, ähnlich dem süßen Brei im Märchen

Der Münchner Wohn-Psychologe und Paartherapeut Uwe Linke sagt allerdings: „Das Schlafzimmer ist der dümmste Ort in der Wohnung, um Kleider aufzuhängen.“ Das Fatale: Hier ist es idealerweise nicht warm – 18,5 Grad Celsius gelten als gute Schlaftemperatur –, und deswegen kann die Luft weniger Feuchtigkeit aufnehmen. Viele Stunden pro Nacht schlafen mehrere Menschen in diesem meist nicht gerade großen Raum, die Luft wird dadurch immer feuchter, ein ideales Klima für Bakterien und Pilze, schlussendlich für: Schimmel. Nicht geeignet, um dort noch sehr viel Stoff und Kleidung dicht übereinanderzustapeln.

Zumal es dabei meist nicht lange bleibt. Die Kleiderflut, ist sie einmal angegangen, breitet sich aus, ähnlich dem süßen Brei im Märchen oder den eilig wuchernden Zweigen eines Blauregens. Plötzlich sind Kleider überall im Schlafzimmer. Für Blusen oder Hemden schließlich eignet sich der Stuhl ja nicht, weil sie knittern, wenn man noch etwas darüber legt. Dann werden hinter der Tür Haken angebracht, dort hängen Bügel und Blusen übereinander. Eine alte Truhe liegt begraben unter Winterpullovern, die jemand mal noch von Hand waschen wollte. Und an den Griffen des Kleiderschranks hängen weitere Kleiderbügel („Muss ich in die Reinigung bringen“). Und so gelangt man irgendwann zur Einsicht, dass die Klamotten die Herrschaft über dieses Zimmer übernommen haben. Ein für Partner von Kleidungsstaplern bisweilen bedrohlich empfundenes Szenario. Wird irgendwann meine Seite des Bettes als interessante Ablage entdeckt? Ist in diesem Schlafzimmer bald überhaupt noch Platz für mich?

Sinnvoller sei es, wenn einer zurückstecke und einer seinen Willen bekomme

Wohn-Psychologe Uwe Linke räumt aber ein: „Grundsätzlich ist es sinnvoll, Kleidung mehrmals zu tragen, bevor man sie wieder wäscht. Das ist nachhaltig.“ Die Frage nach dem richtigen Ort der Aufbewahrung beschäftigt allerdings viele Paare – oft findet sich hier keine einheitliche Meinung. Linke rät aber von Kompromissen in solchen Fragen ab. „Ich kenne Paare, die haben ein Sofa gekauft, das für beide ein Kompromiss war – nach der Trennung wollte keiner von beiden mehr das Kompromisssofa.“ Sinnvoller sei es, wenn bei solchen Entscheidungen einer zurückstecke und einer seinen Willen bekomme. Später könne man dann überlegen, was der andere dafür bekomme.

Ohnehin meint der Therapeut: „Wenn es nachhaltige Konflikte über Alltagsdinge gibt, steckt meist etwas Grundsätzliches dahinter. Es können Machtspiele sein oder Auseinandersetzungen wie: Du bist immer so unordentlich.“ Ein Paar solle dann fragen, welche Bedürfnisse wirklich dahinterstünden, ob einer von beiden das Gefühl habe, in der Partnerschaft zu kurz zu kommen.

Gut – aber wohin nun mit der getragenen Kleidung? Auslüften kann man Klamotten natürlich am besten auf dem Balkon, meint Uwe Linke, oder tatsächlich: im Badezimmer. Dort sei es meist wärmer als im Rest der Wohnung, und es werde viel gelüftet.

Und noch ein Tipp: „Ein Stuhl hat in einem Schlafzimmer nichts verloren.“ Linke glaubt, niemand setze sich dort hin, und wenn, dann gleich aufs Bett. Deshalb sei die Verlockung zu groß, das Möbelstück seiner eigentlichen Bestimmung zu berauben. Und so nimmt dann alles seinen Anfang . . .