Blick über Stuttgart: In die eigenen vier Wände investieren oder lieber eine Wohnung mieten? In Zeiten steigender Immobilienpreise sollte dies gut abgewogen werden – auch mit Blick auf die Entwicklung der Zinsen. Foto: Studio Zeichnerei 6/Ilona Trimbacher

Die Luft auf dem Immobilienmarkt wird dünner, die Preisspirale dürfte sich bald langsamer drehen. Kaufen oder Mieten? Was Experten jetzt raten.

Stuttgart - Investieren in die eigenen vier Wände? „Ich spare doch nicht für Steine!“, ruft da gerne der Ruhrpott-Bewohner – und bucht, weil die Skiparty in Ischgl gerade unsicher ist, lächelnd den nächsten Frühjahrsurlaub auf Mallorca. In solcher Haltung kann durchaus Weisheit liegen, als mehrheitsfähig hat sie sich aber bisher nicht erwiesen. Im Gegenteil, die Nachfrage nach Häusern und Wohnungen ist, oft befeuert durch die Erfahrungen der Arbeit im beengten Homeoffice, ungebrochen. Und so laufen die Preise weiter und weiter – wiederum auf immer neue Spitzenwerte getrieben durch den Mangel an Handwerkern, teurem Holz und Stahl und neuerdings einer Inflationsrate, von der immer fraglicher ist, ob sie sich wirklich bald wieder abschwächen wird.

 

Häuser und Wohnungen verteuern sich

Kurz vor Weihnachten legte das Statistische Bundesamt Zahlen vor, wonach sich im dritten Quartal 2021 Häuser und Wohnungen in den sieben größten Städten Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Stuttgart und Düsseldorf im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um durchschnittlich 14,5 Prozent verteuerten. In dichter besiedelten ländlichen Kreisen stiegen die Preise für Ein- und Zweifamilienhäuser im Schnitt um zwölf Prozent, für Eigentumswohnungen um 12,3 Prozent. Das Deutsche Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hält größere „Preiskorrekturen“ der seit Jahren steigenden Immobilienpreise in Ballungsräumen ausdrücklich für möglich – apokalyptisch gesinnte Zeitgenossen sprechen da gerne vom baldigen Platzen einer Blase.

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Also abwarten mit dem Häusletraum? Martin Güth, Immobilienmarktanalyst von LBBW Research, mag diesen Rat so nicht geben. „Konkret für Stuttgart denke ich, dass die Luft nach oben hin zunehmend dünner werden wird“, sagt er. „Aber ich rechne dann eher mit einer Plateauphase. Mit einer kräftigen Umkehrung rechne ich nicht.“

Sinkt der Druck auf dem Markt?

Zwar, legte Güth in der LBBW-Studie „Wohnimmobilien im Höhenflug“ vom August nahe, sei die Zahl der Einwohner in Stuttgart 2020 um ein Prozent gesunken und die Coronakrise habe die Zuwanderung verringert, was mittelfristig Druck aus dem Immobilienmarkt nehme. Andererseits existiere jedoch eine „deutlich aufgestaute Nachfrage“, was gegen einen raschen Preisverfall spreche. Für Kaufinteressenten könne es sich lohnen, nach einem Eigenheim in B-Lagen zu schauen. Dort heizten zumindest die institutionellen Investoren nicht auch noch die Preise an. „Die wollen nicht in kleine Dörfer gehen, wo sie überhaupt keine Expertise haben.“

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Wer räumlich flexibel ist und unter Umständen tägliche Staufahrten an den Arbeitsplatz akzeptiert, für den kann der Blick aufs Land also ein guter Ratschlag sein. Da läuft auch längst ein Trend, sagt Kathrin Alldieck, Stuttgarter Niederlassungsleiterin des Kreditvermittlers Interhyp. „Bezogen auf Gesamtdeutschland kauften 2019, also vor der Coronakrise, noch 60 Prozent der Metropolbewohner in einer Metropole, 2021 waren es nur noch knapp 57 Prozent.“ Weil hier wie dort die Preise rasen, rät sie, sich die aktuell noch relativ niedrigen Bauzinsen möglichst langfristig zu sichern. Und sich auch sonst nach Geldquellen umzuschauen. „Vielleicht gibt es im privaten Umfeld jemanden, der einem ein Privatdarlehen gibt.“

Geschicke frühzeitig in die eigenen Hände nehmen.

Wohl allen Teilnehmenden der deutschen Erbengesellschaft, ließe sich da sagen. Obwohl: Ein späteres Erbe in die Immobilienfinanzierung einzupreisen ist auch nicht jedermanns Sache. Erstens leben Mütter und Väter in Zeiten der Hochleistungsmedizin zunehmend lang. Und zweitens gibt es da eine nicht unerhebliche psychologische Hürde, die schon Erich Kästner in einem Epigramm beschrieb: „Sollen die Kinder erben, müssen die Eltern sterben.“ Nicht schön.

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Anstatt auf die Vorlebenden zu hoffen, rät Johannes Koch, Leiter Kredit im Privatkundengeschäft der BW-Bank, die Geschicke frühzeitig in die eigenen Hände zu nehmen. Das heißt erst einmal, genau zu rechnen. Die alte Formel, wonach ein Kaufpreis sich am Nettoeinkommen mal 100 orientieren sollte, ist für Koch überholt. „Ich empfehle, maximal ein Drittel des Haushaltseinkommens für die Wohnkosten aufzuwenden.“ Wer eine andere „Wohlfühlgrenze“ habe, könne noch mehr Risiko gehen – und höhere Kreditraten wagen. „Das können am Ende auch 25 Prozent vom Einkommen sein oder 40 Prozent.“

Wer lange Laufzeiten bis 20 Jahre oder darüber hinaus vereinbart hat, besitzt bei fallenden Zinsen übrigens eine Ausstiegsmöglichkeit. Laut dem Bürgerlichen Gesetzbuch können Darlehensnehmer Immobilienkredite und sonstige Darlehen nach Ablauf von zehn Jahren unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten ganz oder teilweise kündigen – und sich unter Umständen mit billigerem Geld versorgen.

Heute muss man bei der Kredittilgung länger rechnen

Noch eine gute alte Faustformel des Immobilienkaufs liegt laut Experten heute in Trümmern. Sie lautete, dass im Alter von 55 Jahren der Kredit getilgt sein sollte, damit bis zum Erreichen der Rente noch alle Sanierungsmaßnahmen abgearbeitet sind. Das schaffe er privat leider auch nicht, sagt Thomas Hein, Leiter Vertrieb Immobilienfinanzierung bei der ING-Bank. Man müsse heute länger rechnen, aber wiederum nicht länger als 30 Jahre.

Und man braucht einen Batzen Geld zum Start, mindestens „die Kaufnebenkosten als Eigenkapital“, sagt Hein. Das können mit Grundsteuer, Notargebühren und Maklerkosten in Großstädten, je nach Objekt, schon einmal 100 000 Euro sein. Wer das gerade noch stemmt, beginnt dann trotzdem mit einer Hundert-Prozent-Finanzierung. Und wer so schwach auf der Brust ist, muss damit rechnen, dass die Banken schlimmer nachbohren als jeder Zahnarzt. Drei oder vier Prozent anfänglicher Tilgungsrate rufen viele Geldhäuser in Zeiten der Hochpreisspiralen inzwischen auf. Wer da nicht nickt, muss unter Umständen wieder gehen.

„Fangt mit einer Zwei-Zimmer-Wohnung an“

BW-Kreditspezialist Koch hat schon Kunden erlebt, die kamen, begeistert von einem gerade besichtigten Objekt, zum Bankgespräch. Dann erwies sich, dass wegen eines laufenden Auto-Leasingvertrags und eines auf Pump gekauften Fernsehers der Schufa-Score kaputt war. Und dann sanken die Köpfe, und die Traurigkeit war groß.

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Jungen Menschen empfehle er, sagt Koch: „Fangt mit einer Zwei-Zimmer-Wohnung an. Zieht selbst ein und vermietet das zweite Zimmer als WG.“ Später lasse sich dann leichter der nächste Schritt machen. Für den ING-Kreditexperten Hein gehören solche Fragen eigentlich sogar in den Schulunterricht.

Für wen diese Ratschläge längst zu spät kommen, kann Trost bei Albert Einstein finden. Er wusste: „Die besten Dinge im Leben sind nicht die, die man für Geld bekommt.“