Fliegen schadet dem Klima. Das Geschäft mit dem Ausgleich boomt. Foto: dpa

Als Ausgleich für Flugreisen zahlt Sindelfingen künftig für Umweltprojekte – auf dem Umweg über ein Unternehmen. Der Grünen-Antrag hat keine Mehrheit, ist aber trotzdem angenommen.

Sindelfingen - Im Sindelfinger Ratssaal schlägt das politische Weltbild Kapriolen. Der Liberale Jürgen Konzelmann will Dienstflüge der Rathausoberen verbieten – der Umwelt zuliebe. Zumindest innerhalb der Bundesrepublik sei die Bahn das bessere Mittel für die Reise und gegen den Klimawandel. „Das wäre eine Superlösung“, sagt Konzelmann, hingegen hält er den Vorschlag der Grünen für „einen modernen Ablasshandel“. Die Öko-Fraktion hatte beantragt, dass die Stadt zum Ausgleich für jeden geflogenen Kilometer Geld in Umweltprojekte investiert, dies nicht direkt, sondern auf einem Umweg über die Firma Atmosfair, eine gemeinnützige GmbH.

„Dass manche Menschen das als modernen Ablasshandel bezeichnen, ist uns egal“, sagt Sabine Kober für die Öko-Fraktion. Das Geld sei „ausgezeichnet angelegt, in hervorragende Projekte“. Atmosfair finanziert den Aufbau von Anlagen für Wind- und Wasserkraft oder zur Gewinnung von Biogas aus pflanzlichen Abfällen – beispielsweise – allesamt in fernen Ländern.

Der Umsatz des Marktführers stieg 2018 um 45 Prozent

Das Unternehmen mit Sitz in Berlin ist keineswegs der einzige Anbieter eines guten Gewissens insbesondere für Flugreisende, aber der finanziell erfolgreichste. Allein im Jahr 2018 stieg der Umsatz um 45 Prozent, von rund sieben auf mehr als zehn Millionen Euro. Insgesamt meldete die Branche ein Plus von etwa einem Drittel, wenn auch auf teilweise sehr bescheidener Basis. Mancher Anbieter bewegt im Jahr nur eine sechsstellig Summe.

Konzerne so gut wie aller Branchen beruhigen mit Geld ihr Gewissen – oder das ihrer Kunden. Ob der Handel von ökologischer Unternehmenskultur zeugt oder nur als Werbeargument willkommen ist, lässt sich selbstredend nicht beantworten. Auch die Bundestagsabgeordneten reisten schon mit Öko-Abgabe, aber 2012 strich die CDU-FDP-Koalition den Ausgleich. Dagegen steigt die Zahl der Privatkunden in der jüngeren Vergangenheit geradezu senkrecht.

Eine Eins mit Sternchen von der Stiftung Warentest

Aus Sicht der Sindelfinger Grünen qualifiziert Atmosfair sich mit dem Gütesiegel der Stiftung Warentest. Die Tester haben sechs der kommerziellen Klimakompensatoren bewertet. Die Berliner Firma schnitt als einzige durchweg mit einer Eins mit Sternchen ab. Die Klima-Kollekte und das Primaklima bekamen eine eins minus.

Nebenbei offenbart die Liste, dass der Preis für die Umwelt erheblich schwankt. Beim Testsieger ist eine Tonne Kohlendioxid mit 23 Euro auszugleichen. Die Klimamanufaktur – Note vier – bietet Kompensationsschnäppchen ab fünf Euro. Die Unterschiede begründen sich mit der Art der Projekte. Ein Wasserkraftwerk zu bauen, ist eben erheblich teurer, als eine Wiese aufzuforsten. Außerdem gibt es keine einheitliche Methode, einer Reise eine bestimmte Menge Kohlendioxid zuzurechnen. Atmosfair erklärt frei zugänglich im Internet, wie der hauseigene „Airline-Index“ berechnet wird. Laien werden aber ihre Mühe haben, die Dokumentation nachzuvollziehen. Sie umfasst schlappe 128 Seiten.

Der Moral wegen gibt die Stadt ohnehin mehr Geld aus als nötig

Im Sindelfinger Ratssaal sieht die Bürgermeisterin Corinna Clemens sich genötigt, die Debatte abzukühlen. Angesichts der Summe, die künftig aus der Stadtkasse an Atmosfair fließen dürfte, lohne sich „keine weltanschauliche Grundsatzdiskussion“. Überschlägig 1500 Euro sind pro Jahr veranschlagt. Für andere Zwecke gibt die Verwaltung aus moralischen Gründen schon längst mehr Geld aus als nötig. Der Einkauf meidet Produkte ausbeuterischer oder umweltfeindlicher Betriebe, und die Putzmittel stammen aus dem Öko-Regal.

Trotz solcher Argumente mochte sich im Umweltausschuss des Gemeinderats keine Mehrheit für den Vorschlag der Grünen erwärmen, angenommen ist er trotzdem. Auch wenn das Abstimmungsergebnis „ein bisschen komisch aussieht“, wie Clemens befindet. Vier Hände hoben sich für die Klimakompensation, eine dagegen. Die Mehrheit entschied sich für das Recht, keine Meinung zu haben. Sieben Stadträte enthielten sich.