Damit die Feuerwehr bei einem Brand Zugang zur Schule hat, musste alle paar Meter die Fassade geöffnet werden. Diese Stellen wurden mit weißer Folie verklebt (Bild links). Joachim Burkert vom Bauamt zeigt, wo Feuchtigkeit und verrutschte Holzelemente die Funktion der Fassadenelemente beeinträchtigen. Rechts oben: Der gesperrte einsturzgefährdete Anbau ist mit Stützen gesichert. Fotos: Ines Rudel Foto:  

Die millionenschwere Bauruine des Michelberggymnasiums stürzt die Kommune in eine tiefe Schuldenkrise. Die Stadt kann weder die erneute Sanierung noch einen Neubau bezahlen.

Geislingen - Mit Wut und Enttäuschung haben die Betroffenen auf die Nachricht vom bevorstehenden Aus für das Geislinger Michelberggymnasium reagiert. „Die Botschaft ist hart und unvorstellbar“, erklärte der Rektor der Schule, Heiner Sämann, in seinem jüngsten Elternbrief. Sämann reagierte damit auf die Ankündigung des Regierungspräsidiums, den Haushalt der Kommune für 2020 nicht zu genehmigen. Das heißt: Weder die Sanierung noch einen Neubau der Schule kann sich Geislingen nach Ansicht der Behörde leisten.

Eine Mutter wirft der Stadtverwaltung Versagen vor

„Die Stadtverwaltung hat hier auf allen Ebenen versagt“, kommentiert das die Mutter einer Schülerin. Die Verantwortlichen in der städtischen Verwaltung hätten bereits im vergangenen Jahr wissen müssen, dass der Haushaltsplan so nicht durchgehen könne, schimpft Jennifer Röcker aus Kuchen, die zwei Kinder auf dem Michelberggymnasium hat. Sie ärgert sich über den geringen Informationsfluss vonseiten der Kommune, die sich viel zu spät Gedanken über die Schulversorgung der Michelbergschüler mache.

Ihre Familie wisse nicht, wie es für ihre Jüngste, die in der achten Klasse ist – die ältere Schwester steht vor dem Abitur –, weitergehen solle. Denn das gut besuchte Helfensteingymnasium in Geislingen sei keine Alternative, wenn dort Schüler aus der Stadt bevorzugt aufgenommen würden. Und angesichts der üblen Zustände auf der Filstalbahn sei der Weg zu Schulen nach Laichingen (Alb-Donau-Kreis) oder Göppingen auch keine Option.

Die Kommune kann weder die Sanierung der Schule noch einen Neubau bezahlen

Ein blauer Brief des Stuttgarter Regierungspräsidiums hat alle Hoffnungen auf eine Lösung für die Baumisere am Michelberggymnasium zunichtegemacht. Eine Sanierung oder gar ein Neubau der Schule für geschätzte 25 bis 37 Millionen Euro würde millionenschwere Deckungslücken und damit ein großes Loch in die Geislinger Stadtkasse reißen. Dann drohe eine Haushaltsnotlage – und das gelte auch für die kommenden Jahre. Schon der Etat für das laufende Jahr sei nicht genehmigungsfähig, zitiert die Stadtverwaltung in einer Mitteilung die Aufsichtsbehörde.

Der Hintergrund für den Ärger auf allen Seiten ist ein rund 21 Millionen Euro schwerer Bauskandal bei der Sanierung der Schule. Pfusch bei der Statik, Planung und handwerklichen Ausführung hatten zur Sperrung des naturwissenschaftlichen Trakts geführt, der einsturzgefährdet ist. Und weil der vorbeugende Brandschutz als völlig missglückt gilt, muss die gesamte Schule sicherheitshalber spätestens Ende Juli geräumt werden.

Die Nachbarn in Deggingen planen ein eigenes neues Gymnasium

Zu einem Umzug in eine Containeranlage, der als Übergangslösung geplant war, wird es wohl nun nicht mehr kommen. „Uns sind finanziell die Hände gebunden. Selbst die Finanzierung der Container ist nicht darstellbar“, erklärt der Oberbürgermeister Frank Dehmer (parteilos). „Und jetzt ein Containerdorf aufzubauen ohne die Option einer mittel- bis langfristigen Lösung würde die verbliebenen Finanzreserven der Stadt aufzehren.“

Mit Hochdruck werde jetzt an einer guten Schulversorgung für alle Schülerinnen und Schüler des Michelberggymnasiums gearbeitet. Dazu würden Gespräche mit allen Beteiligten geführt, auch mit den Umlandkommunen. Die Nachbarn im oberen Filstal stricken momentan an einem Konzept für ein eigenes neues Gymnasium in Deggingen, denn immerhin 358 Schülerinnen und Schüler pendeln aus den Tälesgemeinden in die beiden Geislinger Gymnasien. Ihr Anteil am Michelberggymnasium beträgt in diesem Schuljahr 224 Köpfe. Von den 595 Schülern des Michelberggymnasiums kommen lediglich 210 direkt aus Geislingen.

Statt ökologischem Vorzeigeprojekt eine millionenschwere Bauruine

„Es ist wirklich zum Heulen, das hätte ein tolles Projekt sein können“, beschreibt Joachim Burkert, der im städtischen Bauamt für das Immobilienmanagement zuständig ist, die Misere. Anstelle eines innovativen Plusenergiegebäudes, mit Wärmespeichern unter dem Schulhof und Solarzellen auf den Dächern, hat die Kommune nun eine millionenteure Bauruine zu verkraften.

Inzwischen laufen mehrere Schadenersatzklagen – auch gegen den federführenden Siegener Architekten Horst Höfler. Weitere Verfahren sind in Vorbereitung, mit deren Hilfe die Kommune klären lassen möchte, wer für den mannigfachen Pfusch am Bau verantwortlich ist. Auch Planer, Statiker und Handwerker stehen im Fokus.

Einsturzgefahr und eine kaputte Fassade

Auf der Rückseite der Schule lässt sich das Ausmaß der Probleme erahnen: Dort stehen alle paar Meter Gerüsttürme, die zu mit weißer Folie verschlossenen Ausschnitten der vorgesetzten neuen Fassade führen. Sollte es brennen, kann die Feuerwehr die Folie entfernen und ins Gebäude vordringen. Denn das ist die Voraussetzung dafür, dass der Schulbetrieb bis zum 31. Juli weitergehen kann.

Im vergangenen November hatten Sachverständige des Ulmer Landgerichts die Fassade der Schule untersucht und Beweise gesichert. Eine ihrer Erkenntnisse: Feuchtigkeit, umgekippte Holzlamellen und Edelstahlwinkel in Hunderten Fassadenelementen verursachen Ärger. Und seitdem mehrere Stahlträger des neuen solaren Flachdachs zu reißen drohen, besteht im Anbau Einsturzgefahr.