Der Angeklagte (vorne) sitzt zu Beginn des Prozesses wegen Geiselnahme seiner Tochter in Hamburg vor Gericht. Foto: dpa/Marcus Brandt

Ein Mann entführt im November 2023 seine kleine Tochter zum Hamburger Flughafen. Er droht, sich mit ihr zu töten. Der Flugbetrieb ist lange Zeit lahmgelegt. Vor Gericht betont der Angeklagte seine Liebe zu dem Kind.

„Es ging immer nur um meine Tochter“ - so erklärt der Hamburger Flughafen-Geiselnehmer seine Tat von Anfang November vergangenen Jahres vor Gericht. „Ich wollte nur Deutschland verlassen, ich wollte, dass die Polizei Wege findet, dass sie uns in die Türkei schicken“, sagt der Angeklagte in einer Erklärung, die seine Verteidigerin am Montag zum Auftakt des Prozesses vor einer Strafkammer am Landgericht Hamburg verliest. Er habe mit der damals Vierjährigen nach Istanbul fliegen wollen, fügt der 35-Jährige auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters am Landgericht, Torsten Schwarz, hinzu. 

 

Die Anklage wirft dem Türken Geiselnahme, die Entziehung Minderjähriger, vorsätzliche Körperverletzung und verschiedene Waffendelikte vor. Der schmächtige Mann mit kurzen dunklen Haaren und Vollbart soll am Abend des 4. November seine Tochter aus der Wohnung der Mutter im niedersächsischen Stade entführt haben. Hintergrund der Tat war ein jahrelanger Sorgerechtsstreit.

Angeklagter gibt sich als eBay-Käufer aus

Bei der Entführung des Kindes griff der Angeklagte zu einer List, wie der Staatsanwalt erklärte: Die Mutter hatte eine Jacke auf eBay-Kleinanzeigen inseriert. Der Beschuldigte klingelte gegen 19.00 Uhr und habe im Flur vor der Wohnung mit verstellter Stimme gesprochen, um sich als Frau auszugeben. Die Mutter öffnete die Tür. Der 35-Jährige habe sie sogleich schmerzhaft am Arm gepackt und mit einer Pistole bedroht. Er habe nach seiner Tochter verlangt, die er 14 Monate lang nicht gesehen habe.

Die Frau habe dennoch flüchten können und um Hilfe gerufen. Der Angeklagte habe mit der Tochter im linken Arm und der Pistole in der rechten Hand das Haus verlassen. Die Mutter sei ihm gefolgt und habe weiter um Hilfe gerufen. Der Angeklagte habe vor dem Haus einmal in die Luft geschossen und geschrien: „Ihr werdet mich zum Mörder machen!“ Der Beschuldigte bestätigte in seiner Erklärung, dass er geschossen habe, um die Frau und die Nachbarn auf Abstand zu halten.

Täter schießt mehrfach in die Luft

Auf dem Rollfeld des Flughafens erklärte er der Polizei laut Anklage: „Ich habe drei Bomber. Ich habe meine Tochter, drei Jahre alt. Ich will Ausreise.“ Dann habe er zwei brennende Molotowcocktails auf das Vorfeld geworfen und zweimal in die Luft geschossen. Als Polizeifahrzeuge auftauchten, habe er einen dritten Schuss in die Luft abgegeben. Wenig später sei er weiter zu einer Flughafenbrücke in die Nähe einer Maschine der Turkish Airlines gefahren. „Entweder wir werden sterben oder wir werden gehen, ohne jemanden einen Schaden zuzufügen“, sagte er der Polizei.

In seiner Erklärung vor Gericht hieß es, er habe mit den Schüssen auf dem Rollfeld die Polizei auf sich aufmerksam machen wollen. Zu den Brandsätzen erklärte er: „Die Polizei sollte durch das Feuer meinen Standort sehen.“ Wegen des Windes, des Flugzeuglärms und der Sprachschwierigkeiten habe er sich mit den Beamten nicht verständigen können. Später habe er der Dolmetscherin gesagt, dass er eine Bombe im Auto habe. „Aber das war eine Lüge.“ Er habe nur die Polizei von einem Eingreifen abhalten wollen. 

Sprengstoffgürtel war Attrappe

Die Dolmetscherin habe ihm gesagt, dass es eine Besprechung der Behörden über das Sorgerecht für sein Kind geben werde. Aber diese Besprechung habe sich bis 3.00 Uhr morgens hingezogen. Die Tochter sei im Auto eingeschlafen. Erst um 7.00 Uhr morgens sei das Kind aufgewacht. Irgendwann habe der Angeklagte verstanden, dass er aufgeben müsse. Die Polizei habe ihm versprochen, dass das Kind direkt der Mutter übergeben werde. 

Bei seiner Festnahme hatte der Angeklagte laut Staatsanwaltschaft eine durchgeladene und scharfe Waffe bei sich, sowie 22 Schuss Munition, ein Messer und ein Reizstoffsprühgerät in der linken Socke. Der vermeintliche Sprengstoffgürtel bestand aus einer Weste sowie Büchern und Kabeln in Alufolie und enttarnte sich somit als Attrappe. Der Flugverkehr konnte erst am frühen Abend des 5. November wieder aufgenommen werden. Der Betrieb war mehr als 20 Stunden unterbrochen.

Angeklagter wollte keine Panik auslösen

Der Angeklagte bat die betroffenen Passagiere und die Polizei um Entschuldigung. „Ich weiß, dass ich Panik ausgelöst habe.“ Er akzeptiere, dass er für den Schaden aufkommen müsse und werde, solange er könne, dafür bezahlen. Die Geschäftsführung des Flughafens hat angekündigt, dass sie nach einer rechtskräftigen Verurteilung 500 000 Euro Schadenersatz fordern werde. 

Verteidigerin Anna Carlotta Bloch verhinderte eine weitere Befragung ihres Mandanten. Er werde am nächsten Verhandlungstag am 13. Mai weitere Fragen beantworten, sagte sie. Das Gericht hat neun weitere Termine bis zum 20. Juni angesetzt.