Driss Ben Kedal ist Koch aus Leidenschaft und gehörlos. Foto: Ursula Vollmer

Für einen Koch ohne Gehörsinn hat Kommunikation viele Facetten. Mittlerweile kann Driss Ben Kedal auf seine 40-jährige Betriebszugehörigkeit im Mövenpick-Restaurant zurückschauen.

Echterdingen - Jeder Handgriff sitzt: Die Spargelstangen arrangiert Driss Ben Kedal akkurat auf dem Teller, die Hollandaise fließt buttergelb ins Dipschälchen, schnell noch fürs Auge eine appetitliche Tomaten-Petersilien-Deko – dem Gast wird’s schmecken, und Driss Kedal strahlt. Daumen in die Höhe, der Koch nickt zufrieden. In seiner blütenweißen Jacke steht er im Mövenpick Hotel am Flughafen jeden Tag „am Pass“, dem Herzstück der Restaurantküche. „Hier heften die Service-Leute aus dem Restaurant die Bestell-Bons an“, erklärt Kathrin Lobsch, die stellvertretende Küchenchefin, „am Pass zu arbeiten, gehört zur Königsdisziplin“.

Flink muss man sein, wenn mittags zwischen sechzig und achtzig hungrige Menschen gleichzeitig zum Lunch eintrudeln und am Abend bis zu 150 Menüs geordert werden, abgesehen vom Firmen-Bankett oder der privaten Feier. Natürlich wird zur Stoßzeit das Küchen-Gewusel gern hektisch und der Ton mitunter rau. Mittendrin pflückt Driss Kedal geschäftig seinen nächsten Bon vom Tresen, kein Laut dringt an sein Ohr, und doch entgeht ihm nichts. Vor 57 Jahren ist er in Casablanca ohne Hörvermögen zur Welt gekommen, seit 40 Jahren gehört er zum Stuttgarter Mövenpick-Team. „Wir haben hier durchaus das eine oder andere Urgestein“, sagt Simona Pasqualin, aber eine Betriebszugehörigkeit von vier Jahrzehnten ist auch für die Sales Managerin etwas Besonderes. Dass der Jubilar überhaupt ziemlich ungewöhnlich ist, fällt im Mitarbeiterkreis hingegen kaum noch auf.

Auch wenn die Kinder zu Besuch kommen, kocht immer Kedal

„Ich bin gehörlos geboren“, bestätigt Kedal mit familiärer Unterstützung und versichert gelassen, das Fehlen des Gehörsinnes und damit auch der akustischen Lautsprache habe nie wirklich eine Rolle gespielt. Wahrscheinlich präsentierte sich bereits der junge Driss als selbstbewusstes Kommunikationstalent. Seine Zielstrebigkeit hat ihm jedenfalls am 25. Juni 1976 einen Job als Büfettier in den damaligen Mövenpick Restaurants am Stuttgarter Kleinen Schlossplatz gesichert. Ein paar Jahre später folgte der Wechsel vom Service in die Küche und 2001 der Umzug zum neuen Standort am Flughafen. „Wahrscheinlich bin ich als Koch geboren“, erklärt er seine Leidenschaft, die bis heute anhalte: Wenn die mittlerweile drei erwachsenen Kinder zum wöchentlichen Besuch vorbei schauen, bekoche er selbstverständlich die Tafelrunde, „gern schwäbisch oder exotisch“. Die Unterhaltung ist im Hause Kedal ohnehin kein Problem: „Meine ganze Familie beherrscht die Gebärdensprache“.

Auch am Arbeitsplatz hat sich längst Routine eingespielt: „Vieles läuft über Augenkontakt oder Handzeichen“, gibt Kedal zu verstehen und lächelt entspannt: „Das hört sich schwieriger an als es ist.“ Dennis Wangler, der direkte Kollege, bestätigt das unkomplizierte Miteinander: „Wir verstehen uns, das klappt.“ Grinsend behauptet Kathrin Lobsch gar, Driss habe schon mal die Nase vorn: „Er weiß vieles noch vor mir“, sagt die Vizechefin der 25-köpfigen Küchen-Crew. „Wir sind in unserem Trubel viel abgelenkter, er bleibt fokussiert, hat eine schnelle Auffassungsgabe und speichert Infos zuverlässig ab.“

Ein Stups an die Nase bedeutet „Schwein“

In vierteljährlichem Rhythmus, erläutert Lobsch, ändere sich die Restaurantkarte. Alle neuen Gerichte würden dann einmal zubereitet, angerichtet und fotografiert, eine Orientierung, die dem Service und natürlich auch Kedal zugutekomme. Darüber hinaus hat er eine eigene Sprache entwickelt, die sich über Mimik und Gestik selbst erklärt: Mit den Fingerspitzen über die Innenseite des Unterarms streichen steht für „paniertes Schnitzel“, ein Stups an die Nase bedeutet „Schwein“, die schlängelnde Hand gehört zum „Fisch“, der gekrümmte Zeigefinger zur „Garnele“, und der Griff zum imaginären Krawattenknoten bleibt dem „Chef“ vorbehalten, so die schalkhafte Erklärung. „Er teilt sich mit und macht es damit für uns alle einfach“, ist man sich in der Küche einig.

Seine Gehörlosigkeit empfindet Driss Kedal keineswegs als Defizit. Er sei wunschlos glücklich, betont er: „Ich habe nur gute Erfahrungen gemacht und kann mit Stolz sagen, dass ich eine Bereicherung des Mövenpick-Teams bin.“ Wenn es nach ihm geht, kann es „grad so weitergehen“.