Duell: Bielefelds Torjäger Fabian Klos (links) gegen Holger Badstuber vom VfB. Foto: dpa/Friso Gentsch

Es ist nicht der VfB Stuttgart, es ist nicht der Hamburger SV: Arminia Bielefeld heißt der Tabellenführer in Liga zwei. Warum der nächste VfB-Gegner souverän an der Spitze thront – und dies in keinster Weise zu erwarten war.

Stuttgart/Bielefeld - In Zeiten der überbordenden Euphorie ist es gut, einen Mann zu hören, der die Dinge sachlich auf den Punkt bringt. Einen Typen wie Ansgar Brinkmann etwa, der die Dinge in Zeiten des Rausches nüchtern kommuniziert. „Bin bis 5 Uhr früh in meiner Stammkneipe zu erreichen“ – das sprach die Vereinsikone von Arminia Bielefeld einst als Profi vor knapp 30 Jahren auf seinen Anrufbeantworter, der Satz ist Kult.

Gut möglich ist, dass Brinkmann (50) sich Mitte Mai eine Woche lang zum Feiern in seiner Stammkneipe einschließen wird (und dort, da es mittlerweile Handys gibt, direkt zu erreichen wäre). Das könnte dann der Fall sein, wenn seine Arminia, die an diesem Montagabend um 20.30 Uhr als Tabellenführer zum Spitzenspiel beim VfB Stuttgart antritt, am Ende der Saison den Aufstieg schaffen sollte.

Schon jetzt wird Ex-Profi Brinkmann oft auf den großen Wurf angesprochen – und seine Analyse der aktuellen Situation ist ähnlich prägnant wie damals seine Ansage am Anrufbeantworter. „Die Vorstellung ist schon geil“, sagt der Mann, der heute selten bis nie ein Heimspiel der Arminia verpasst, über den möglichen Aufstieg. Und: „Wir sind alle hungrig.“

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Das ist wohl wahr, denn die Liga-Ausbeute mit 16 von 18 möglichen Punkten im Jahr 2020 ist nicht nur die Bilanz eines nimmersatten Teams – sie lässt ganz Bielefeld obendrein vom insgesamt achten Aufstieg in die erste Liga träumen. Wie also konnte das alles so kommen, dass die kleine Arminia so souverän ganz oben steht in der zweiten Liga und die Großen der Liga namens VfB Stuttgart und Hamburger SV dahinter platziert sind?

In Bielefeld schienen die Lichter auszugehen

Vorsichtig sollte man sein mit Begriffen wie „Wunder“ oder „Märchen“ im Sport – wenn die Arminia nun aber aufsteigen sollte, dann wäre das mit Blick auf die jüngere Vergangenheit des Clubs, nun ja, ein Wunder, ein kleines zumindest. Denn vor etwas mehr als zwei Jahren wäre der Club noch fast am Ende gewesen. Damals stellte ein gewisser Markus Rejek, der gerade als neuer Geschäftsführer für Finanzen angetreten war, fest, dass nicht einmal mehr die laufende Saison 2016/17 zu Ende finanziert werden kann. Es klaffte ein Loch in Höhe von 4,5 Millionen Euro in der Kasse, und das bei einem klammen Verein, dessen Verbindlichkeiten ohnehin schon auf knapp 30 Millionen Euro angewachsen waren.

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In Bielefeld schienen die Lichter auszugehen, bis Rejek das kleine Wunder startete. Der Mann, der angeblich kurz nach Amtsantritt überlegt hatte, gleich wieder zu kündigen, ging Klinken putzen bei Firmen und führte Gespräche – was sich dann daraus entwickelte, ist eine Partnerschaft mit der regionalen Wirtschaft, die heute als „Bündnis Ostwestfalen“ firmiert. Der Zusammenschluss von zehn mittelständischen Unternehmen in und um Bielefeld rettete die Arminia.

Uwe Neuhaus bringt einen neuen Stil ein

Zunächst gab es eine Soforthilfe von vier Millionen Euro für den Club. Dann warben die Unternehmer bei den Gläubigern erfolgreich für einen Schuldenschnitt. Anschließend legte das Bündnis einen Immobilienfonds auf und kaufte dem Verein das Stadion ab. Mit dem Erlös wurden die Restschulden getilgt. Innerhalb eines halben Jahres war die Arminia gänzlich schuldenfrei – und konnte wieder investieren. Zu Beginn der vergangenen Saison konnte der Verein erstmals wieder sorgenfrei in ein Spieljahr gehen. „Wir waren ein Boot auf Sinkkurs, mittlerweile sind wir ein Flugzeug auf der Startbahn“, sagte Rejek anschaulich dazu der „Welt am Sonntag“.

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Die Unternehmer bringen die Arminia-Maschine dabei nicht als klassische Investoren auf Zack, sondern nur als Partner und Ratgeber für die Vereinsführung. Es ist ein Pfund, mit dem die Arminia auch beim eigenen Anhang wuchern kann. Jetzt soll der Höhenflug schnurstracks in die erste Liga führen – auch dank des Mannes, der die Maschine technisch auf Vordermann brachte. Im Dezember 2017 kam Uwe Neuhaus als Trainer nach Bielefeld. Er impfte einer Mannschaft, die nicht viel mehr konnte als das Spiel des Gegners zu zerstören, zu kämpfen und lange Bälle zu schlagen, einen neuen Stil ein. Ballbesitz, Mut, austarierter Offensivfußball: Die Arminia bietet unter Neuhaus was fürs Auge – was auch den Mann verblüfft, der die schweren Zeiten (fußballerisch und finanziell) hautnah miterlebt hat. Torjäger Fabian Klos sagt heute mit Blick auf die neue Spielkultur noch immer ungläubig dies: „Es ist ja weitgehend das gleiche Personal, das vorher mit dem Ball nicht unbedingt viel anfangen konnte.“

Ein selbstbewusster Torjäger

Klos (32) ist ein Profi für Fußballromantiker. Der Mann, der mit 16 Treffern die Torschützenliste der zweiten Liga souverän anführt, kickt seit 2011 für die Ostwestfalen, er machte drei Spielzeiten in der dritten Liga mit, ein Wechsel kam für ihn nie infrage.

Fabian Klos, geboren in Gifhorn (Niedersachsen), hat die berühmte ostwestfälische Nüchternheit längst angenommen. Er sagt zwar fast schon rührig, dass er „Arminia Bielefeld liebt“, von der allgemeinen Aufstiegseuphorie aber lässt er sich nicht anstecken. Der Stürmer sagt stattdessen staubtrocken: „Es ist sicher kein Wunder, wenn wir aufsteigen – wir wissen, was wir seit über einem Jahr investiert haben, um oben zu stehen. Und dass wir es schaffen können, wenn wir so weitermachen.“

Der VfB und der HSV dürfen das getrost als Drohung verstehen.

Unsere Bildergalerie zeigt die Akteure mit Stuttgarter und Bielefelder Vergangenheit – viel Spaß beim Lesen und Staunen!