Es gab ein paar Proteste der engsten Anhänger, doch der große Volksaufstand in Brasilien blieb nach der Verurteilung von Lula da Silva aus. Das liegt auch daran, dass im Ausland das Image von Brasiliens Ex-Präsidenten deutlich besser ist, als im eigenen Land.
Rio - Nein, ein Nelson Mandela ist Luiz Inacio Lula da Silva (72) nun wirklich nicht. Und der Vergleich mit dem jahrzehntelang inhaftierten und gefolterten ehemaligen Aktivisten und Politikers Südafrikas, der wenige Stunden nach der Niederlage im Berufungsprozess in Porto Alegre von Lula und seinen Anhängern gezogen wurde, zeigt wie sehr sich Lula inzwischen selbst überschätzt und die Realität verkennt. „Ich bin für ein Luxusapartment verurteilt worden, das ich gar nicht besitze“, zitierten brasilianische Medien Lula am Abend. Die Richter sahen das allerdings ganz anders und verurteilten Lula auch in zweiter Instanz mit 3:0-Richterstimmen, nun sogar zu zwölf Jahren Haft.
Im Rest der Welt ist Lulas Image längst nicht so beschädigt wie in Brasilien selbst. Außerhalb des südamerikanischen Riesenreiches sehen viele in dem zweifellos sympathischen Ex-Arbeiter immer noch so etwas wie den liebevollen Großvater, der um sein Volk besorgt ist. Seine oft widersprüchlichen Aussagen im Prozess um ein Luxusapartment werden dabei vielleicht auch etwas wohlwollend übersehen. Zweifellos ist die Strafe von zwölf Jahren im Vergleich mit den viel größeren Vergehen anderer Spitzenpolitiker deutlich zu hoch. Ob Lula sie je antreten muss, wird sich noch zeigen. Noch stehen im juristische Wege offen.
Flachbildschirme und Mobiltelefone lösen das Problem nicht
Ja, unter Lula ist die Armut in Brasilien zumindest statistisch gesunken. Der Präsident pumpte einerseits in besten Absichten, andererseits auch mit dem Kalkül so wiedergewählt zu werden, Millionen via Sozialprogramme in die Armenviertel. Er hat es gut gemeint, aber schlecht gemacht. Nachhaltig waren diese Aktionen nie. In Brasiliens Favelas gibt es den geflügelten Spruch: „Vor Lula waren wir arm, nach Lula waren wir ruiniert.“ Lulas Sozialprogramme haben die Binnenkonjunktur angekurbelt, weil Flachbildschirme und Mobiltelefone gekauft wurden. Sie haben ein Konsum-Strohfeuer ausgelöst. Geblieben ist davon nichts. Statt viel stärker die Ursachen des Problems zu bekämpfen, die marode Bildungslandschaft zu modernisieren und das Gesundheitssystem zu reformieren, bekämpfte Lula die Probleme an der Oberfläche.
Als er dann auch noch WM und Olympia ins Land holte und damit das Land nicht nur völlig überforderte, sondern auch der korrupten Bauwirtschaft zum Fraß vorwarf, für die er später als Lobbyist arbeitete, war das Unheil nicht mehr aufzuhalten. Das ist auch der Grund warum zumindest bis jetzt der große Aufstand der Straße ausbleibt. Abgesehen von den engsten Vertrauten und einigen bezahlten Gewerkschaftlern, die mit Bussen nach Sao Paulo und Porto Alegre gekarrt wurden, blieb es verhältnismäßig ruhig in Brasilien. Keine Schlacht um Porto Alegre, keine Straßenschlachten in Rio de Janeiro oder Sao Paulo. Stattdessen übten die Samba-Schulen für den Karneval und im Fernsehen gab es Live-Fußball. Auch das ist angesichts der markigen und unverantwortlichen Worte der neuen PT-Parteivorsitzenden Gleisi Hoffmann, die mit einem Aufruf zu Gewalt kokettierte und zur Radikalisierung aufrief, eine Niederlage für Lula.
Tiefe Entäuschung über die Politik
Der Grund für die Zurückhaltung der Menschen nach dem Lula-Urteil ist in der tiefen Enttäuschung der Brasilianer in die Politik zu sehen. Die weltweit beachteten Massenproteste vor dem Confedcup 2013 und der WM 2014 richteten sich gegen die oben genannten Probleme: Bildungsmisere, Gesundheitsnotstand und Korruption. Viele Brasilianer machen die über ein Jahrzehnt regierende „PT“ mitverantwortlich. Am Abend meldete sich Umweltaktivistin Marina Silva zu Wort. Sie gilt im Ausland als das brasilianische Gewissen. Silva war einst Mitstreiterin Lulas, ehe sie sich 2008 als Umweltministerin zum Rücktritt entschloss, weil Lula im Rahmen des hoch umstrittenen „Plano Amazônia Sustentável“ die Abholzung Amazoniens im großen Stil erlaubte. Silva stellte sich hinter die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen. Korruptionsvorwürfe müssten Rücksicht auf die ideologische Ausrichtung oder der Parteizugehörigkeit geführt werden.
Vielleicht ist das die klügste Äußerung des Abends und die große Chance, die in diesem Urteil steckt. Künftige Korruptionsprozesse werden an diesem Urteil gemessen werden. Für korrupte Politiker ist das eine Warnung. Wenn Brasiliens Staatsanwaltschaft ihren unbestechlichen Kurs durchhält und gegen Politiker aller politischen Richtungen weiter ermittelt, wäre das ein großer Schritt nach vorn.