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Der Seelsorger im Gefängnis in Stammheim, Hans-Ulrich Agster, hat beim Frühstücksgespräch der evangelischen Gemeinde Heumaden von seiner Arbeit berichtet.

Heumaden - Nicht spektakuläre Ausbrüche, katastrophale Haftbedingungen oder sonstige aufsehenerregenden Erlebnisse sind die Themen, wenn der Stammheimer Gefängnisseelsorger Hans-Ulrich Agster von seiner Arbeit berichtet. Er lenkt das Augenmerk eher auf den vermeintlich weniger spannenden Alltag. Dass es auch davon viel zu erzählen gibt, zeigte sich am Dienstagmorgen, als er auf Einladung der evangelischen Kirchengemeinde Heumaden-Süd beim Frühstücksgespräch über „Seelsorge hinter hohen Gefängnismauern“ berichtete.

„Das ist für die Leute oft ein Schock. Sie schlagen in der Untersuchungshaft sehr, sehr hart auf“, gab der Pfarrer einen Hinweis darauf, dass es so manchem den Boden unter den Füßen wegzieht, wenn er einen derart massiven Einschnitt in sein bisheriges Dasein erlebt. Umso mehr, als dass viele U-Häftlinge das erste Mal im Gefängnis sind. Zudem sei die U-Haft – in Stammheim sind lediglich ein Viertel der Gefangenen Strafhäftlinge – „die härteste Haftart, weil alles kontrolliert wird“ und überdies alle Straftaten gemischt seien.

Als Gefängnisseelsorger hört man teils abscheuliche Sachen

Agster sparte auch kritische Punkte nicht aus – sowohl, was die eigene Arbeit betrifft als auch den Umgang mit Häftlingen. So sei das, was die mutmaßlichen Täter ihm anvertrauten, manchmal schwer zu ertragen, machte er unumwunden deutlich. „Das sind zum Teil abscheuliche Sachen.“ Aber das Seelsorgegeheimnis gelte auch im Gefängnis und hänge aus gutem Grund „sehr hoch“. Dabei gehe es ihm nicht darum, Täter in Schutz zu nehmen oder Taten zu beschönigen. Doch er möchte den Menschen mit Respekt begegnen.

Denn solche Gespräche lassen den evangelischen Theologen nicht nur in Abgründe schauen, sondern sie zeigen ihm auch, dass ein Thema immer wiederkehrt: die Würde. Derer würden viele Täter lange vor der ersten Straftat beraubt, und auch dem Justizapparates mangle es immer wieder an einem respektvollen Umgang. „Das Schlimmste war, dass mich der Richter nicht einmal angeschaut hat“, habe ihm ein Häftling einmal gesagt. „Was macht das mit einem Menschen?“, fragte Hans-Ulrich Agster rhetorisch.

Deals zwischen Gericht und Angeklagtem sind üblich

Ein weiterer Punkt, zu dem er Position bezog, waren die „Deals“ zwischen Gericht und Angeklagtem – Geständnis gegen Entlassung aus der U-Haft oder sonstige Erleichterungen. Die hält er für „höchst problematisch“. Denn oft genug werde da Druck auf die Gefangenen ausgeübt, was sogar dazu führen könne, dass einer etwas gestehe, was er nicht getan habe. Auch die Tatsache, dass solvente Angeklagte, die sich die besten Anwälte leisten können, vor Gericht besser dastünden als mutmaßliche Täter, die auf einen Pflichtverteidiger angewiesen seien, ist für Agster ebenso offensichtlich wie kritikwürdig. „Da gibt es ganz klar zwei Klassen.“

Obwohl Hans-Ulrich Agster berufshalber nur mit mutmaßlichen oder tatsächlichen Straftätern zu tun hat, ist ihm bewusst, dass das nur eine Seite ist. Und dass die Opfer und deren Familien ebenso der Hilfe bedürfen. „Auf beiden Seiten gibt es ganz viele Betroffene“, sagte er und machte deutlich, dass sich eine Straftat und deren Folgen nicht allein auf das Opfer und den Täter auswirken, sondern auch auf deren Umfeld.