Mann hinter Gittern Foto: dpa

Laut Bundesverfassungsgericht müssen Häftlinge bei unwürdigen Haftbedingungen freikommen.

Karlsruhe/Stuttgart - Eine Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts zu den Haftbedingungen in Gefängnissen könnte bald zu einer Klageflut führen. Betroffenen steht nach dem Urteil bei Enge und Gestank nicht nur eine finanzielle Entschädigung in Aussicht, sondern sogar die Entlassung.

Eine Zelle, zwei Gefangene, acht Quadratmeter, und das 23 Stunden am Tag: Das waren die Bedingungen, unter denen ein Gefangener insgesamt 151 Tage in Köln und in Hagen eingesessen hatte. Die Zelle war dem Gefangenen nicht nur zu klein, auch die Bedingungen erschienen ihm unwürdig. Die Toilette war nur durch eine verstellbare Holzwand abgetrennt. Direkt daneben stand der Tisch, an dem die Mahlzeiten eingenommen wurden. Da seine wechselnden Mitgefangenen nur zweimal wöchentlich duschen durften und starke Raucher gewesen seien, habe dies in dem kleinen Haftraum zu einem "unerträglichen Gemisch aus Rauch, Körperausdünstungen und Toilettengeruch geführt", klagte der inzwischen freigelassene Mann.

Beim Land Nordrhein-Westfalen pochte er auf eine Haftentschädigung. Als das Landgericht Köln dies mit der Begründung abwies, dass sein Antrag keinen Erfolg verspreche, klagte er weiter - und bekam recht. Das Bundesverfassungsgericht (BVG) erachtete die Bedingungen als menschenunwürdig. In einer Entscheidung der Karlsruher Richter heißt es, dass zu kleine Zellen ohne getrennte Toilette keinem Häftling zuzumuten seien. Als Mindestgröße nannte das Gericht sechs bis sieben Quadratmeter pro Insasse. Bei Mehrfachbelegung verstoße es gegen die Menschenwürde, wenn die Toilette nicht abgetrennt und belüftet sei. Dies kann nach Festlegung des obersten Gerichts einen Anspruch auf finanzielle Entschädigung begründen. Auch für den Fall, dass aus Platz- oder anderen Gründen keine andere Unterbringung möglich ist, haben die Verfassungsrichter eine Entscheidung getroffen: Dann muss der Häftling eben freikommen.

Vergleich mit der Sicherungsverwahrung

Ein in der Sache ähnliches Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Thema Sicherungsverwahrung aus dem vergangenen Jahr hat die deutsche Justiz und Politik in arge Nöte gestürzt. Noch immer herrscht keine Klarheit, wie mit erzwungenermaßen aus der Haft entlassenen Schwerverbrechern umzugehen ist. Der Sprecher von Justizminister Ulrich Goll (FDP) hält den Vergleich mit dem Urteil zur Sicherungsverwahrung jedoch für abwegig. "Bei den Haftbedingungen liegt kein Missstand vor, zumindest nicht in Baden-Württemberg." Anders als Nordrhein-Westfalen, dessen Haftanstalten einen ziemlich unrühmlichen Ruf genießen, gilt die Mehrheit der baden-württembergischen Haftplätze als annehmbar.

Seit 2005 haben Gefangene 58 Verfahren gegen das Land mit dem Ziel einer Entschädigungszahlung angestrengt. Elf Klagen führten zu einem Erfolg. Die Summen belaufen sich auf insgesamt 18.900 Euro, im Schnitt auf gut 1700 Euro. Die höchste Ausgleichszahlung betrug 3000 Euro. Seit dem BVG-Urteil hat es nach Angaben des Ministeriums in Stuttgart keine neuen Klagen oder gar Anträge auf Freilassung gegeben. In Nordrhein-Westfalen sind derzeit 203 Klagen wegen schlechter Haftbedingungen bei diversen Gerichten anhängig.

Es gilt als wahrscheinlich, dass Anwälte nun bundesweit versuchen werden, aus dem BVG-Urteil Kapital zu schlagen. Das Justizministerium sieht dem jedoch gelassen entgegen. Den meisten Beschwerden würden Überbelegungen zugrunde liegen, und da sehe es im Land gut aus: Auf 8245 Haftplätze kommen 7498 Gefangene. Zahlen, wie viel Platz die Gefangenen haben, konnte das Ministerium nicht nennen. Nach den gesetzlichen Bestimmungen können in Gefängnissen, die vor 2010 errichtet wurden, Zellen mehrfach belegt werden, wenn jedem Gefangenen mindestens 4,5 Quadratmeter zustehen. In neueren Anstalten sind für Einzelzellen neun Quadratmeter und für Mehrfachzellen mindestens sieben Quadratmeter pro Häftling vorgeschrieben.

Der Bund der Strafvollzugsbediensteten (BSBD) sieht die Situation nicht ganz so rosig wie das Ministerium. "Viele Anstalten wurden vor 1918 gebaut und sind baulich daher in keinem guten Zustand", sagt der Landesvorsitzende Alexander Schmid. Kleine Zellen ohne abtrennbare Toiletten würden in aller Regel aber nicht mehrfach belegt. Den Gewerkschafter treibt ohnehin mehr die personelle Ausstattung um. Im baden-württembergischen Strafvollzug kommen auf 100 Gefangene 48 Bedienstete. Das ist zwar mehr als noch vor wenigen Jahren. Im bundesweiten Vergleich rangiert das Land damit aber weiter im hinteren Mittelfeld.