Der Raum ist nur behutsam restauriert worden. In der Ausstellung zu sehen sind auch Fundstücke der NS-Hetze, die dem Historischen Verein zugetragen wurden. Foto: Gottfried Stoppel

Hoffnung auf verkohltem Holz, Relikte des NS-Terrors, ein Geständnis vor dem Tod: Eine neue Gedenkstätte in Welzheim bringt vergessene Stimmen zurück. Und erzählt Geschichte, die lange verdrängt wurde.

Ein einfacher Raum. Kahl. Kalt. Die Fenster vergittert, der Boden gefliest, die schwere Türe mit einer Art Bullauge versehen. Wer den Raum betritt, spürt: Hier war kein Ort zum Leben – sondern zum Brechen. Zum Brechen von Menschen, von Würde, von Hoffnung. Jahrzehntelang lag dieser Ort im Schatten, übertüncht von den stolzen Geschichten römischer Vergangenheit, die man in Welzheim (Rems-Murr-Kreis) lieber erzählt. Doch jetzt, an diesem Sonntag, 27. April, öffnet sich dieser Raum. Nicht mehr, um zu sperren – sondern um zu erzählen.

 

Er wird zur nunmehr dritten Gedenkstätte Welzheims für das ehemalige Konzentrationslager – neben dem Alten Friedhof und dem Henkersteinbruch. Und zugleich zu einem eindrücklichen Symbol dafür, dass sich die Stadt ihrer Vergangenheit stellt: nicht beschönigend, nicht distanziert – sondern eindringlich, ehrlich, unbequem.

Erinnerungsort in Welzheim: Ein Raum gegen das Vergessen

Was einst Gefangenen den letzten Halt nahm, wird nun ein Ort des Erinnerns. Nicht, um Schuld aufzurechnen. Sondern um Verantwortung zu zeigen. Ein Raum gegen das Vergessen. Ein Raum, der bleibt.

Das Hauptgebäude des Lagers ist inzwischen abgerissen. Das Nebengebäude ganz rechts ist als einziges noch erhalten. Foto: Stadt Welzheim/ 

Am Hermann-Schlotterbeck-Platz entsteht aus einem schlichten Nebengebäude der ehemaligen Kommandantur ein würdiger Gedenkort. Nur minimal renoviert, um den historischen Charakter zu bewahren, wird hier die Geschichte des KZ Welzheim auf 14 großformatigen Tafeln erzählt – ergänzt durch Fundstücke und originale Dokumente, die teilweise auf dramatische Weise erhalten blieben.

Der Raum ist laut dem Welzheimer Bürgermeister Thomas Bernlöhr der letzte bauliche Überrest des Lagers, das von 1935 bis 1945 existierte und im offiziellen Sprachgebrauch verharmlosend als „Polizeigefängnis“ geführt wurde. Tatsächlich war es eine Durchgangsstation in den Tod – ein Ort des Schreckens für politische Gegner, Sinti, Roma, Juden, Homosexuelle, sogenannte Asoziale. Menschen, die nicht ins Bild der NS-Ideologie passten. 

Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Welzheim durch angehenden Lehrer

Erst in den 1970er Jahren war dies durch eine Examensarbeit mehr oder weniger ins kollektive Gedächtnis gerufen worden. Der spätere Geschichtslehrer Gerd Keller hatte sich auf die Spurensuche in seiner Heimatstadt begeben. Der Historiker deckte auf, dass das frühere örtliche Amtsgefängnis der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) von 1935 an als Durchgangs- und Ausweichlager diente. Die erschreckende Zahl von 15 000 Menschen wurden von Welzheim aus in die großen Konzentrationslager deportiert. Mindestens 63 Inhaftierte wurden vor Ort gefoltert und ermordet.

Engagierter Historischer Verein bringt KZ-Geschichte nach Welzheim

Der Historische Verein Welzheimer Wald, allen voran Heinrich Lindauer, war es, der später unbequeme Fragen stellte. Der Mann, der bis heute Schulklassen an die Orte des Grauens führt, brachte das Thema vor 15 Jahren in die Vereinsarbeit ein – gegen Widerstände, gegen Schweigen, gegen Verharmlosung. Jetzt ist die von ihm initiierte Wanderausstellung des Historischen Vereins mit 14 Tafeln dauerhaft angekommen – in dem Raum, der einst womöglich für Verhöre genutzt wurde.

Hoffnungszeichen und Relikte: Erinnerungen an das KZ Welzheim

„Das Schloss bricht bald…“ – in ein Stück verkohltes Holz ist die Botschaft der Hoffnung eines Häftlings geritzt, gefunden beim Abriss der Gebäude in den 1950er Jahren. Zur Eröffnung wird es in der neuen Gedenkstätte zu sehen sein. Auch das vergitterte Fenster, das einem Nachbarn jahrelang als Gartentor diente, kehrt nun an den historischen Ort zurück. Dokumente wie das Geständnis eines Aufsehers, der sich das Leben nahm, bevor ihm der Prozess gemacht werden konnte, runden das Bild ab.

Auf dem Alten Friedhof wird an die KZ-Opfer erinnert. Foto: Gottfried Stoppel

Der neue Erinnerungsort ergänzt die bestehenden Gedenkstellen: die anonymen Massengräber auf dem Friedhof an der Rudersberger Straße und den Henkersteinbruch – jenen düsteren Ort, an dem die Gestapo Häftlinge hinrichtete. Dort, wo der Wald die Schreie verschluckte und die Erde die Spuren, erinnert heute eine steinerne Tafel.

Engagierte Kooperation für Welzheims neue Gedenkstätte

Dass diese dritte Gedenkstätte nun realisiert wurde, ist einem dichten Netz aus Engagement und Kooperation zu verdanken. ForstBW, die Liegenschaftsverwaltung des Landes und der Eigenbetrieb Vermögen und Bau stellten das Gebäude zur Verfügung. Der Historische Verein um Heinrich Lindauer, Dietrich Frey, Günter Brecht, Edgar Bauer und Uli Deeß kuratierte die Inhalte, die Stadt half bei der Organisation und gab politische Rückendeckung.

Er wird zukünftig für Besuchergruppen zugänglich sein. Führungen durch Mitglieder des Historischen Vereins sind auf Anfrage möglich. Ziel sei es, so Lindauer, „nicht nur zu dokumentieren, sondern zu vermitteln – und dabei Fragen zuzulassen.“ Denn nur, wo Geschichte nicht erstarrt, kann Erinnerung lebendig bleiben.

Zur Einweihung haben sich hochrangige Gäste angekündigt: Regierungspräsidentin Susanne Bay, Rems-Murr-Landrat Richard Sigel und Friedemann Rincke vom Hotel Silber – jenem Ort in Stuttgart, der einst die Gestapozentrale beherbergte. Rincke wird die historische Einordnung vornehmen – ein Brückenschlag zwischen den Tatorten und den heutigen Lernorten.

In einer Zeit, in der rechte Ideologien wieder laut werden, ist das bewusste Erinnern ein Akt des Widerstands. Ein kleiner Raum mit großer Wirkung. Ein Raum, der die Stimme derer zurückbringt, denen sie genommen wurde. Ein Raum gegen das Vergessen.

Steckbrief ehemaliges KZ Welzheim

  • Ort: Welzheim (bei Stuttgart, Baden-Württemberg)
  • Bestehenszeit: 1935–1945
  • Art: Polizeigefängnis/Konzentrationslager unter Leitung der Gestapo Stuttgart
  • Häftlingszahl: Insgesamt rund 15000 Menschen
  • Häftlingsgruppen: Politische Gegner, Juden (besonders nach 1938), Zwangsarbeiter und ausländische Häftlinge, Menschen mit angeblichen „rassischen“ oder gesellschaftlichen Vergehen
  • Haftbedingungen: Gewalt, Folter, Zwangsarbeit, Willkürliche Misshandlungen.
  • Todesopfer: Mindestens 65 dokumentierte Hinrichtungen, zahlreiche weitere Tote durch Misshandlungen und Haft
  • Kommandanten: Karl Buck (1935–1940), Hermann Eberle (1940–1945)
  • Lagerauflösung: 25. April 1945, Todesmärsche Richtung Süden, viele Häftlinge ermordet
  • Nachkriegszeit: Gebäude 1954 abgerissen

Hochrangige Gäste zur Einweihung der Gedenkstätte in Welzheim

Die Bevölkerung ist eingeladen, an der Einweihung der Gedenkstätte teilzunehmen – still, aber nicht schweigend. Denn Geschichte ist kein abgeschlossenes Kapitel. Sie spricht – wenn man ihr zuhört.

Welzheim erlebt Geschichte

Gedenkstätte
Die Gedenk- und Informationsstätte zum ehemaligen Konzentrationslager Welzheim wird am Sonntag, 27. April, um 16.30 Uhr auf dem Hermann-Schlotterbeck-Platz in Welzheim eröffnet. In einer umgestalteten Arrestzelle erinnern originale Elemente wie die Zellentür sowie erklärende Banner an die Geschichte dieses Ortes.

Gottesdienst
Bereits am Vormittag, von 10.30 Uhr an, findet in der St.-Gallus-Kirche ein Gedenkgottesdienst statt. Die Pfarrerin Silke Stürmer fragt in ihrer Predigt: „Kann ich dich hören, Gott?“ – eine Auseinandersetzung mit der Stille Gottes im Angesicht von Leid, damals wie heute.

Theater
Der Tag endet mit dem Theaterstück „Der Boxer“ im Dietrich-Bonhoeffer-Haus. Ab 18.30 Uhr steht Jose Antonio Vaca Lagares auf der Bühne und erzählt die bewegende Geschichte von Johann „Rukeli“ Trollmann – einem Sinto, Boxstar und Opfer der NS-Rassenideologie. Der Saal öffnet um 17.45 Uhr, der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten.