Afrikaner wurden bei der „Kolonialausstellung“ 1928 in Stuttgart zur Schau gestellt. 2028 soll daran erinnert werden. Foto: Archiv

Eine neue Koordinierungsstelle will einen Runden Tisch zum Gedenken in Stuttgart ins Leben rufen. Er soll sich auch über neue Formate Gedanken machen. Themenideen gibt es schon einige.

Stuttgart - Die Stuttgarter wollten auf Trommeln schlagende Männer sehen und Frauen in Baströcken, als sie im Jahr 1928 auf das Stadtgartengelände strömten. Die Veranstalter luden zu einer sogenannten Kolonialausstellung ein. Menschen aus Afrika sollten dabei als Darsteller zeigen, wie das Leben in den Kolonien der europäischen Mächte angeblich aussah. Das Deutsche Reich hatte seinen eigenen Kolonialbesitz 1918 mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg verloren. Der Besuch sollte auch an dessen vergangene Größe erinnern und Appetit machen auf deren Wiederherstellung.

Die für die afrikanischen Darsteller erniedrigende Zurschaustellung in einem Menschenzoo jährt sich in sieben Jahren zum 100. Mal. Eine Anfang Juni gegründete Koordinierungsstelle für Erinnerungskultur der Stadt wird sich unter anderem damit beschäftigen, wie Stuttgart im Jahr 2028 mit der Kolonialausstellung vor 100 Jahren umgehen soll. Ein Runder Tisch zur Erinnerungskultur soll auch darüber in diesem Jahr noch beratschlagen. Die Kulturwissenschaftlerinnen Nadine Seidu und Sonja Lang bereiten die Gesprächsplattform derzeit vor.

Runder Tisch wird vorbereitet

Das Ziel sei es, Stuttgarter Einrichtungen und Initiativen zu versammeln, meint Nadine Seidu von der Koordinierungsstelle. Diese sollen im Austausch miteinander neue Ansätze in der Gedenkkultur der Landeshauptstadt diskutieren und entwickeln, fügt sie hinzu. Seidu nennt als Beispiele für Akteure das Stadtarchiv sowie das Stadtmuseum.

Lindenmuseum könnte mit dabei sein

Auch das Haus der Geschichte oder das Lindenmuseum könnten sich an dem geplanten Runden Tisch beteiligen, meint sie. „Ich denke aber auch an Initiativen Schwarzer, queerer oder muslimischer Menschen in Stuttgart“, sagt sie.

Die neue Koordinierungsstelle wolle mit dem Format des Rundes Tisches erörtern, wie sich die Stadtgesellschaft ihre Gedenkkultur künftig vorstellt und welche Themen dabei in der Gegenwart und künftig besonders von Relevanz sind, erläutert Seidu. „Wir müssen von der Zukunft her denken und im Zusammenhang mit dem, was uns heute bewegt“, sagt die Koordinatorin. Auch bei möglichen Konflikten um die Umbenennung von Straßennamen oder den Abbau von historisch belasteten Denkmälern will die neue Stelle vermitteln.

Die Gesellschaft ist pluralistisch

Die Suche nach dem gemeinsamen Nenner auf dem Minenfeld der Geschichte klingt in einer pluralistischen Gesellschaft mit unterschiedlichen und zum Teil sich auch von einander abgrenzenden Identitäten nach einer Herausforderung. Ein unterschiedlicher persönlicher Betroffenheitsgrad von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund sowie mit und ohne eigener Familiengeschichte in der Zeit des Dritten Reichs wird etwa im Umgang mit dem Nationalsozialismus diskutiert.

Außerdem gibt es beim Gedenken an die Verbrechen der NS-Zeit den Faktor Zeit. Für die heutige Schülergeneration etwa ist die Lebenswelt der 30er und 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts bereits sehr weit weg. Seidu ist überzeugt, dass die Erinnerung Formen entwickeln kann, die universell ansprechen können. Rassismus und Antisemitismus seien auch heute hochaktuell in der gesellschaftlichen Debatte, meint sie. „Neue Formate könnten auch künstlerisch sein“, sagt die Koordinatorin.

Kunst kann Ausdruck von Gedenken sein

Erinnerungskultur muss sich aus Sicht der Koordinatorin nicht zwangsläufig auf die Schattenseiten der Geschichte konzentrieren. Gruppen innerhalb der Stadtgesellschaft wie zum Beispiel Migranten könnten den Blick der Allgemeinheit auf die Vergangenheit durch ihre Perspektive bereichern, meint Seidu. „Ich denke auch an Frauengeschichte“, sagt sie.

Es lohne sich, über den klassischen Kanon des Gedenkens auch auf andere Themen einzugehen, findet sie. „Das Ziel der Erinnerungskultur ist ja, die Gesellschaft zu stärken“, sagt Seidu.