Im Stuttgarter Charlottenhaus werden vom 1. Januar 2019 an keine Kinder mehr auf die Welt kommen. Am Dienstagmorgen um 8 Uhr hat die Klinikleitung die Mitarbeiter informiert, die am Standort gehalten werden sollen. Doch können die anderen Geburtskliniken den Wegfall des Angebots kompensieren?
Stuttgart - Seit mehr als 100 Jahren sind in der Klinik Charlottenhaus Kinder geboren worden. Damit ist es zum Jahreswechsel vorbei. Vom 1. Januar 2019 an wird das traditionsreiche Haus die belegärztliche Geburtshilfe aufgeben. Der Träger, das Robert Bosch Krankenhaus (RBK), hatte noch versucht, das Aus abzuwenden, doch vergeblich. Für einen Belegarzt, der an der Klinik aufhört, konnte kein Ersatz gefunden werden. „Wir müssen die Tatsachen akzeptieren“, sagt der Ärztliche Geschäftsführer des RBK, Mark Dominik Alscher.
Am Dienstagmorgen um 8 Uhr hat er die Mitarbeiter selbst informiert. „Es war eine ruhige Atmosphäre, große Traurigkeit war zu spüren“, berichtet Alscher. Die Entscheidung sei am Abend zuvor getroffen worden. Der am längsten im Charlottenhaus tätige Belegarzt scheidet aus dem Team aus Altersgründen aus. Es bleiben nur noch vier Belegärzte übrig, darunter eine Gynäkologin. Am Montagabend hätten diese vier bei einer Sitzung klar gemacht, „dass sie sich nicht in der Lage sehen, das Angebot aufrecht zu erhalten“, berichtet Alscher. Die Arbeitsbelastung sei zu hoch, die Dienste nicht auf vier Köpfe zu verteilen. Alle sind niedergelassen mit einer Frauenarztpraxis, die sie am Laufen halten müssen. Und die Zitterpartie habe auch an den Nerven gezehrt.
Zahl der Belegärzte in Deutschland stark gesunken
Noch im August hatte sich die Klinikleitung optimistisch gezeigt, eine Lösung zu finden, weil es Kandidaten gab – nur sagte von diesen keiner zu. Deutschlandweit sind immer weniger Frauenärzte und -ärztinnen bereit, belegärztlich zu arbeiten. Laut dem Berufsverband der Frauenärzte ist die Zahl der Belegärzte in Deutschland von 726 im Jahr 2009 auf 301 im Jahr 2017 gesunken.
Dafür verantwortlich gemacht werden enorm gestiegene Haftpflichtkosten (wobei beim Charlottenhaus das RBK zwei Drittel übernimmt) und die hohe Belastung mit Schichten auch an Wochenenden. Man habe noch überlegt, Ärzte vom RBK abzuziehen, so Alscher, doch der Fachkräftemangel lasse das nicht zu. Der Ärztliche Geschäftsführer betont, dass der Standort Charlottenhaus erhalten bleibe. Gynäkologische, chirurgische Eingriffe würden weiter dort vorgenommen, auch die Plastische Chirurgie verbleibe am Haus, ein Stellenabbau sei nicht geplant. 47 Mitarbeiter umfasst das Team.
Seit 37 Jahren Beleghebamme
Aber Fakt ist, bald gibt es in Stuttgart nur vier, statt fünf Geburtskliniken: die Frauenklinik, das RBK, das Marienhospital und die St.-Anna-Klinik, die ab Januar als einzige mit Belegärzten arbeiten wird. Beleghebammen hat nur das Charlottenhaus im Einsatz. Entsprechend gedrückt ist die Stimmung bei diesen. „Wir sind alle wie in Schockstarre, das muss sich erst mal setzen“, sagt die Sprecherin der Beleghebammen des Hauses, Isabell Bartl. Sie hofft, dass sich für das „eingespielte Team“ irgendwo „ein Türchen öffnet“. Sie alle schätzten die Freiberuflichkeit, sie selbst sei seit 37 Jahren Beleghebamme. Als sie vor elf Jahren am Charlottenhaus anfing, seien dort noch elf Belegärzte gewesen. Sie findet die Entwicklung traurig, denn eigentlich habe alles gepasst: Sie seien gerade genügend Hebammen, der Zulauf an Schwangeren sei gegeben, das Arbeitsumfeld sei angenehm.
Isabell Bartl sorgt sich aber nicht nur um die Zukunft der Beleghebammen: Vor allem sei die Aufgabe der Geburtshilfe am Charlottenhaus „eine Katastrophe für die Frauen in Stuttgart.“ Und nicht nur die Hebamme fragt sich, „wo die 1000 Frauen unterkommen sollen?“ Schließlich müssten bekanntlich schon jetzt Kliniken wegen voller Kreißsäle oder fehlender Hebammen immer wieder Frauen abweisen.
Bürgermeister Föll bedauert die Entscheidung des Trägers
944 Frauen hatten im Jahr 2017 im Charlottenhaus entbunden. In diesem Jahr rechnet die Klinikleitung erneut mit 900 bis 1000 Geburten. Mark Dominik Alscher erinnert an den „Versorgungsauftrag“. Er hofft, dass auch von 2019 an alle Stuttgarterinnen tatsächlich in Stuttgart entbinden können.
Krankenhausbürgermeister Michael Föll (CDU) setzt darauf, dass die anderen Geburtskliniken ihre Kapazitäten hochfahren. Doch dafür brauche man die Räume und das Personal. Mit der Frauenklinik habe er schon über das Thema gesprochen, auch die übrigen Träger werde er kontaktieren – und darüber hinaus das Land in die Lösungssuche einbeziehen. Föll ist optimistisch, dass es gelingen wird, den Wegfall, den er sehr bedauere, zu kompensieren. „Ich kann noch nicht abschließend sagen, wie wir die Herausforderungen lösen, aber ich bin durchaus zuversichtlich.“ Die Zusammenarbeit mit den Trägern sei sehr konstruktiv. Eines sei aber klar: Das „spezielle Belegarztsystem des Charlottenhauses werden wir nicht kopieren können“, so Föll.