Mit Schutzmann und Autos: die Königstraße in den fünfziger Jahren. Foto: Archiv

In hitzigen Zeiten, da Autos und Menschen gegeneinander ausgespielt werden, empfiehlt sich ein Blick zurück. Denn Geschichte wiederholt sich doch, meint unser Lokalchef Holger Gayer.

Stuttgart - Wie gut, dass der moderne Mensch so viel Erfahrung hat. Man stelle sich nur vor, es gäbe in dieser zivilisierten Stadt immer noch Politiker, die neue Straßen als höchstes Menschenglück empfänden, oder Kaufleute, die glaubten, dass autofreie Zonen dem Handel schadeten. Nein, vollkommen ausgeschlossen ist das. Leute, die Fraktionen oder Kaufhäuser führen, wissen schließlich, wovon sie reden. Ihnen ist bekannt, dass große Teile der Innenstadt schon seit Jahrzehnten den Zweibeinern vorbehalten sind, ohne dass Stuttgart deswegen untergegangen wäre.

„Heute von neun Uhr an gesperrt“ titelte die Stuttgarter Zeitung am 11. Dezember 1968. Es ging um das Ende des Durchgangsverkehrs in der unteren Königstraße. Unter der Rubrik „Nicht mogeln!“ hieß es in dem Artikel: „Die Polizei bittet die Autofahrer nochmals, sich an die neuen Verkehrswege zu halten. Dringend wird davor gewarnt, sich durch die Lautenschlager- und Kronenstraße zum Schlossplatz zu mogeln!“ Dabei war es nicht die erste Fußgängerzone, die in Stuttgart entstehen sollte. 1953 wurde bereits die Schulstraße verkehrsfrei gemacht. Bei der Königstraße dauerte es zwanzig Jahre länger, ehe offenbar wurde, was aus ihr werden sollte. „Bei badischem Wein (Umweger Rießling) und Schwarzwälder Kirsch ließen sich in der Killesberghalle neun Experten vor allem aus Stuttgart von den 49 Arbeiten überzeugen“, hieß es in der StZ vom 10. Mai 1973. Die 49 Arbeiten waren Entwürfe namhafter Architekten, die der „Herrenrunde“ um OB Arnulf Klett und Finanzminister Robert Gleichauf zeigten, was den Boulevard der Zukunft auszeichnen sollte: „Tropenbau und Kinderfeld, Pflasterhügel und Wiesenhang, Kindertheater und Fliegende Händler, Flohmarkt und Kleintierzoo.“

Eine motorisierte Pferdebahn soll in der Fußgängerzone fahren

Gewonnen hat den Wettbewerb übrigens der Münchner Olympiastadion-Planer Günter Behnisch. Seine Vision von der Mobilität in der autofreien Innenstadt war eine motorisierte Pferdebahn. Sie sollte die Attraktion einer neuen Zeit werden, die an die industriellen Wurzeln der Stadt erinnerte. Gebaut werden sollte das Vehikel nach dem Vorbild einer Daimler-Kutsche. „Unter touristischen Gesichtspunkten gar nicht so dumm“, urteilte Baubürgermeister Hansmartin Bruckmann 1975, „aber kein ernst zu nehmendes Verkehrsmittel“ und als „Karussell“ dann doch zu verspielt.

Dass Stuttgart trotzdem die „abwechslungsreichste Fußgängerzone der Bundesrepublik“ (Stadtdirektor Hans-Dieter Künne) geschaffen habe, erfüllte vor allem die Händler mit Stolz. 76 Inhaber von 100 Fachgeschäften in der Innenstadt gründeten die City-Kundenkarte GmbH (CKK) und führten ein Plastikkärtchen als bargeldloses Zahlungsmittel ein. CKK-Geschäftsführer Ulrich Braun ließ seinem Glück freien Lauf: „Wir leben im Einklang mit der Stadtverwaltung und freuen uns auf die Neubauten im Schwabenzentrum und an der Calwer Straße sowie auf die Umgestaltung der oberen Königstraße.“Nur beim Bekleidungshaus Fischer kam diese Begeisterung nicht an, im Gegenteil. Die Modespezialisten forderten die Rückkehr des Autos in die obere Königstraße und verklagten die Stadt. Die Fußgängerzone beeinträchtige die geschäftliche Entwicklung, betonte der Anwalt des Klägers, es sei „zweifelhaft, dass die gesteckten Ziele Verschönerung und Stadtbelebung zu erreichen sind“. Ansässige Betriebe würden infolge der Verkehrseinschränkung in wirtschaftliche Not geraten.

Das Urteil von 1978 könnte auch von 2017 stammen

Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. „Die Richter haben aus dem Urteilsspruch eine Fleißarbeit gemacht“, berichtete die StZ am 15. August 1978. Auf 22 Seiten hätten die Juristen dargelegt, dass Fahrzeug- und Fußgängerverkehr unbedingt zu entflechten seien. Autofreie Zonen dienten „dem Umweltschutz, der Hygiene, der Krankheitsvorbeugung und der Lärmbekämpfung“. Bei den „heute gegebenen Verkehrsverhältnissen“ ließe es sich „in den Geschäftszentren nicht mehr ohne weiteres verantworten, eine Vielzahl von Menschen Unfallgefahren, Abgasen, Straßenschmutz und Lärm und damit weit über das Normalmaß erhöhten körperlichen und nervlichen Belastungen auszusetzen“.

Kluge Leute, diese Richter.