„Dieses Stück zu Hause zu kreieren, hat sich für mich so angefühlt, als seien die Gauthier-Tänzer Teil meiner eigenen Kompanie, und dadurch war die Atmosphäre sehr entspannt“, sagt Ed Wubbe. Foto: Regina Brocke

Noch nie war eine Premiere bei Gauthier Dance im Theaterhaus so dicht getaktet: Acht Choreografen lieferten für „Deuces“ acht Uraufführungen.

Stuttgart - Langsam tauchen sie aus dem Bühnennebel: Lange Kabel ragen aus den schwarzen Fechtanzügen der Frau und des Mannes, die ein rechteckig beleuchtetes Terrain abchecken, erst für sich, dann parallel Kampfposen vollführen oder sich niederringen. Bei jeder Bewegung quietscht, reibt und knackt es – zu an- und abschwellenden Beats, die an Herzschläge erinnern. Aus den Boxen kommen Geräusche aus der Buxe: Choreograf Rui Horta hat den Tänzern Garazi Perez Oloriz und Rosario Guerra für sein Stück „Scratch“ Mikrofone in die Hosen gesteckt. Es war das erste von acht Duos, kreiert von acht internationalen Starchoreografen für den Tanzabend „Deuces“ – die Zwei beim Würfeln –, uraufgeführt von Gauthier Dance im Theaterhaus. Lange habe er von einem Duo-Abend geträumt, so Eric Gauthier, Chef der Theaterhauskompanie. Weil das ob der dichten Terminkalender der Tanzschaffenden nicht nur in Stuttgart verwirklicht werden konnte, sei eine Reise-Produktion entstanden: Die Tänzer waren je zwei Wochen bei den Choreografen in Portugal, Spanien, Holland, Italien und Israel.

Das Spektrum des zeitgenössischen Tanzes

Der Aufwand hat sich gelohnt. Der Abend zeigte – in schlichter, verschiebbarer Kulisse – spielerisch, experimentell, unterhaltsam, aber auch mutig das Spektrum des zeitgenössischen Tanzes, auf den Punkt interpretiert von der Kompanie. Kurze Filme mit Choreografeninterviews, dem jeweiligen Duo vorangestellt, brachten zudem aufschlussreiche, amüsante Aromen ins Spiel. Hatte doch Gauthier erklärt, dass diese – wie bei der Weinprobe – den Gaumen vorbereiteten. Während Horta von Wagnis und Präzision sprach, schilderte Nacho Duato seinen kindlichen Berufswunsch „Pferd“, als Hedonist genieße er es, Körper tanzen zu sehen. Er verlangt Nora Brown und Barbara Melo Freire in „Julia“ Einiges ab: Sie tanzen das Coming Out seiner Nichte zu einem deutlichen Text im Soundscape, entblößen skulptural Körper und Seele. Zwei Frauen schickt auch Ed Wubbe, bis 2017 Direktor des Scapino Ballet Rotterdam, auf die Bühne: In „Land ho“ geben Sidney Elizabeth Turtschi und Joana Martins Matrosinnen, die in reduzierten Bewegungen sich und eine knifflige Situation zu schwingender Lampe ausloten. Wubbes Inspiration: Eine Frau, die vorgab ein Mann zu sein, um Matrosin zu werden. „Was passiert, wenn eine zweite Frau kommt.“

Ein zweiter Mann zieht in „For D“ von Guy Weizmann und Roni Haver einen am Bühnenrand Wartenden in den Bann: Nur zwei Strahler – einer von oben, einer von hinten – erhellten, wie sich Robert Stephen und Alessio Marchini in indisch anmutenden Fräcken manipulierten.

Szenen einer Ehe

Und während Barack Marschall in „Honigsaft“ – so nannte sein Vater die Mutter – Réginald Lefebvre und Louiza Avraam schwungvoll in Französisch und Griechisch die Szenen einer Ehe geben lässt, belebt Richard Siegal, Chef des noch jungen Ballet of Difference, in „Prima“ einen Klassiker mit „vielen Daten und Tempo“. Zu Benny Goodmans „Sing Sing Sing“ wirbeln Bruna Andrade – auf Spitzenschuhen im Goldkleid – und Nicholas Losada in Bundfaltenhose und Feinrippunterhemd wie weiland die Swingkids über die Bretter.

Auf die schickt auch Mauro Bigonzetti ein weiblich-männliches Paar: Sehr bewegend wie Anneleen Dedroog und Maurus Gauthier sich in „Deep Down“ abtasten, parallel agieren, umschlingen und akrobatisch halten. „Die Körper sind das eine, aber wie sie sich anschauen, so Bigonzetti, das sei im Grunde Magie.

Tief unter die Haut geht auch „Heart“ von Marco Goecke, bald Ballettchef in Hannover. Grandios, wie sich Jonathan dos Santos und Theophilus Veselý energisch und vorsichtig begegnen, mal wild Sätze murmelnd, mal spiegelbildlich stoisch agierend, zwischen Unsicherheit und Leidenschaft zu Markus Mehls eigens komponiertem Saxofon-Jazz und Macy Gray. Zuvor hatte Goecke im Video gefragt, wie viele Millionen wohl eine Bank für seine 75 Choreografien gäbe. „Die würden sagen: wertlos.“ Um zu betonen, dass das wirkliche Leben von der Wirklichkeit der Bühne lernen könne. Kein Schelm muss dabei Böses denken angesichts des aktuellen Finanzlochs im Theaterhaus – Goeckes treffende Analyse der Kulturlage entstand davor.

Weitere Aufführungen bis zum 24. März, dann wieder vom vom 16. Mai an