Bei Nero zu Hause geht es drunter und drüber: Gauthier Dance tanzt Christian Spucks „Poppea/Poppea“ im Theaterhaus Foto: Regina Brocke

„Poppea/Poppea“: Christian Spuck bringt für Gauthier Dance Monteverdis letzte Oper zum Tanzen.

Stuttgart - Christian Spuck, Hauschoreograf des Stuttgarter Balletts, hat ein neues Stück für Gauthier Dance entwickelt: Inspiriert von Monteverdis Oper "L'incoronazione di Poppea" inszeniert er eine choreografische Versuchsanordnung an der Grenze zwischen Realität und Fiktion. Donnerstag ist Premiere.

Herr Spuck, haben Sie sich denn diesen schwierigen Stoff selbst ausgesucht?

Ja. Inhaltlich ist es ein sehr schwieriges Werk, dafür ist die Musik wunderschön. Bei Gauthier Dance stehen mir neun Tänzer zur Verfügung, und für sie habe ich eine Geschichte gesucht, die möglichst viele Figuren hat und möglichst kompliziert ist. Und "Poppea" ist kompliziert: Wer mit wem und warum. Mich hat gereizt, dass ein Liebesbild transportiert wird, das vollkommen unmoralisch ist. Die Liebe gewinnt einfach immer, egal ob sie recht hat oder nicht. Es hat schließlich einen Grund, warum Amor eine Augenbinde trägt: Die Liebe beachtet keinerlei Grenzen oder andere Regeln.

Hat Poppeas Verhältnis zu Nero nicht auch mit Macht zu tun?

Ja, aber die Liebe selbst tritt nicht als Macht auf, der Umgang mit ihr hat mit Macht zu tun. Der Mächtigste ist natürlich Nero, der alles zerstört, was ihm im Weg steht. Er fordert zum Beispiel den Philosophen Seneca, der für die stoische Vernunft steht, auf, sich umzubringen, verbannt seine Frau Ottavia und Poppeas Liebhaber Ottone. Was stört, wird weggeräumt.

Warum wollten Sie für ein so kleines Ensemble unbedingt etwas so Kompliziertes?

Geschichten im Theater sind immer dann spannend, wenn sie konfliktvoll sind und wenn man sich schwertut, sich darin zurechtzufinden. Wobei es mir natürlich wichtig ist, allen, die nicht klarkommen, eine Orientierung zu geben. Wir bringen nicht über den Tanz die Handlung voran, sondern haben eine Erzählerin, die ganz genau zu schildern versucht, worum es geht; aber letztendlich scheitert auch sie. Man sieht neun Tänzer, die versuchen, diese Geschichte nachzuspielen - und irgendwie gerät das aus dem Ruder. Es passieren merkwürdige Dinge. Und gerade das, was schiefläuft, erzählt viel mehr über Poppea als die eigentliche Geschichte.

Das erinnert an Ihr Ballett "La peau blanche".

Ja, vom Ansatz her ist das ähnlich gedacht. Aber dieses Mal wird die Geschichte eher wie eine Folie behandelt. Nichts ist, was es zu sein scheint. Ich zeige Tänzer, die an diesen Stoff heranzukommen versuchen und verstehen wollen, worum es eigentlich geht: um Macht, Liebe und die Konsequenzen daraus.

Das klingt nach einer Komödie . . .

Nein, dieses Mal ist es wirklich todernst, nichts ist auf Komik angelegt. Aber natürlich geht man nicht schwermütig nach Hause. Mein Wunsch war es, ganz weit von "Don Q." wegzukommen, der Revue, die ich kurz vor der Gründung von Gauthier Dance für Egon Madsen und Eric Gauthier choreografiert hatte.

Wird denn gesungen?

Wir sind von der Oper ausgegangen, übrig geblieben sind der Prolog und Ausschnitte aus dem letzten Duett, also nur eine Klammer. Martin Donner, der Komponist, hat die Oper Monteverdis zerlegt und aus Madrigalen und dem "Combattimento" Ausschnitte gewählt, die inhaltlich und textlich etwas mit der Befindlichkeit der Figuren und mit dem zu tun haben, was auf der Bühne passiert. Ich wollte auf keinen Fall die Oper vertanzen - das geht nicht. Wir nehmen die Geschichte nur als Folie; und wir spielen damit, dass die Musik nicht live ist, sondern vom Band kommt - manchmal wird ihr einfach der Saft abgedreht. Ich bin absoluter Monteverdi-Fan und begehe da also eine kleine Sünde. Aber es macht Spaß.

Wie gehen Sie choreografisch mit dieser Musik um?

Monteverdis Musik ist irre schwer zu vertanzen, weil sie ein geschlossenes Universum ist. Sie ist für Stimme komponiert und lebt davon, wie die Stimme mit Phrasierungen umgeht. Tanz könnte da nur bebildern, das interessiert mich nicht. In ein paar Szenen funktioniert das Zusammenspiel von Musik und Tanz, in anderen nicht. Die haben wir aber einfach so stehen gelassen, um dieses Scheitern auch zu zeigen. Das Ganze kann man sich vielleicht wie eine riesige Collage von Robert Rauschenberg zum Thema "Poppea" vorstellen - wenn wir das Niveau erreichen, bin ich total glücklich.

Haben Sie neben den Planungen für das Zürcher Ballett, das Sie zur Spielzeit 2012/13 übernehmen, überhaupt den Kopf frei für Projekte wie "Poppea/Poppea"?

Ich stehe jeden Morgen sehr früh auf und arbeite zwei Stunden intensiv an den Plänen für Zürich, bereite vor, kläre Termine ab. Für die erste Spielzeit habe ich indirekt Zusagen von allen angefragten Choreografen; auch die beiden nächsten stehen. Danach kann ich mich voll aufs Choreografieren konzentrieren. Aber momentan läuft sehr viel parallel: In München kommt eine Woche nach "Poppea/Poppea" am Gärtnerplatz "Sleepers Chamber" heraus, ein Stück, das ich 2007 für das Stuttgarter Ballett gemacht hatte. In Stuttgart und in Montreal laufen die Vorbereitungen für "Leonce und Lena", und für die große Produktion in Oslo, die im September 2011 Premiere hat, müssen jetzt schon die Kostüm- und Bühnenentwürfe fertig sein.

Steht Ihre erste Spielzeit in Zürich unter einem besonderen Motto?

Nein. Im Schauspiel ist es einfacher, ein Thema von verschiedenen Aspekten anzugehen; Ballette und Choreografen zu finden, die die Vielfältigkeit eines Themas zeigen, ist eher schwer. Eine Spielzeit zum Überbegriff "Neoklassisches Ballett" zum Beispiel fände ich langweilig. Außerdem bin ich Anfänger und muss mich erst einmal herantasten, statt gleich Behauptungen aufzustellen. Ich möchte mit den Choreografen arbeiten, die momentan prägend sind; mein Wunsch ist es, ein Repertoire zu entwickeln, das einzigartig ist. Aber jetzt sehe ich auch, wie schwierig das ist - wie wenig Stücke es überhaupt gibt, die da funktionieren. Ich habe auch den Auftrag, eine Institution aufrechtzuerhalten und ihr Publikum zu respektieren. Das Zürcher Ballett ist die einzige klassische Kompanie in der Schweiz und muss sich von den anderen Kompanien im Land abgrenzen.

Eine Arbeit, die Eric Gauthier im lokalen Kontext leisten muss . . .

Ja, und man kann ihm und dem Theaterhaus nur dazu gratulieren, dass sie es geschafft haben, eine Tanzkompanie zu etablieren. Dazu eine mit großartigen Tänzern, der es gelungen ist, außerhalb des Schattens des Stuttgarter Balletts zu stehen. Den leichten, unterhaltsamen Stücken, die Eric Gauthier selbst macht, wollen wir mit "Poppea/Poppea" etwas anderes zur Seite stellen. Der Einsatz der Tänzer dafür ist unglaublich hoch, sie arbeiten enorm hart und saugen mit großem Wissenshunger Neues auf.

"Poppea/Poppea" hat am 1. Juli um 20 Uhr im Theaterhaus Premiere. Weitere Vorstellungen bis zum 22. Juli, jeweils um 20 Uhr. Karten gibt es unter Telefon 0711/ 4 02 07 20 / -21 /-22 / -23.