Nanine Linning gestaltet für Gauthier Dance das Goya-Ballett „The Black Painting“ Foto: Antoinette Mooy

Ausverkauft heißt es am Heidelberger Theater, wenn Nanine Linnings Tänzer auftreten. Mit überwältigendem Erfolg füllt die niederländische Choreografin dort die einst weggesparte Tanzsparte mit neuem Leben. Jetzt arbeitet sie zum ersten Mal mit einer fremden Kompanie: mit Gauthier Dance in Stuttgart.

Stuttgart - „Hieronymus B.“ heißt das Stück, das derzeit das Heidelberger Tanzpublikum bewegt. So sehr, dass die Theaterkasse bereits Karten für die nächste Spielzeit verkauft. „Es ist schön für mich und meine Tänzer, wie sich das Publikum mit uns identifiziert“, freut sich Nanine Linning über die große Resonanz.

Mit der Niederländerin zog 2012 die Tanzsparte wieder am Heidelberger Theater ein. Sie selbst kann am Neckar eine Erfolgsgeschichte fortsetzen, die bereits 2009 in Osnabrück begann. Seither ist jede Vorstellung ihrer Kompanie ausverkauft.

Wer „Hieronymus B.“ gesehen hat, ahnt, was das Publikum an Nanine Linnings Stücken fasziniert. Bildgewaltig, betörend und erschreckend zugleich bringt die Choreografin Leben in eine Kunstwelt, deren Fabelwesen von der Zerrissenheit des Menschen zwischen Himmel und Hölle, zwischen Lebenslust und Todesangst berichten.

Choreografin will sich dem Ungeheuerlichen nähern

Eine ähnliche Stimmung wird das Stück ins Theaterhaus bringen, das Nanine Linning nun mit Eric Gauthiers Tänzern erarbeitet. Inspiriert hat sie zu „The Black Painting“, so sein Titel, wieder die Kunst, genauer: Goyas finsteres Gemälde „Saturn verschlingt eines seiner Kinder“. Die Darstellung des Vaters, der Angst davor hat, die Macht an seine Kinder zu verlieren, löse in jedem starke Gefühle aus, meint Nanine Linning.

Die Choreografin will sich dem Ungeheuerlichen nähern, indem sie zwei Welten im Streit zeigt – drei Tänzer wirken in hautfarbenen Kostümen nackt, die anderen lauern mit Masken, Auspolsterungen und kriechenden Bewegungen wie Reptilien. Menschen aus ihrer Zivilisiertheit zu holen, sie zu reduzieren, bis sie primitiv wie Tiere werden, interessiert Nanine Linning. „Was passiert mit jemandem körperlich und psychisch, den so starke Ängste verfolgen?“, wollte sie wissen und begibt sich mit acht Tänzern auf eine Erkundung der Gewalt, die schwer wie Lava auf Bewegungen lastet.

Erst Hieronymus Bosch, nun Goya. Neben der Kunst, sagt Nanine Linning, faszinierten sie vor allem Wissenschaften und ihre Erkenntnisse. „Ich finde es sehr spannend, wenn Tanz mit anderen Künsten und Medien verschmilzt“, sagt die Choreografin. „Mir geht es in meinen Tanzstücken um eine Illusion, darum, etwas sichtbar zu machen, was eigentlich gar nicht da ist. Mit der Körperspannung und der Energie des Tanzes kann man dem Publikum sehr viel intuitiv und emotional mitgeben. Würde man es in Worte fassen, wäre das schnell verkopft. Ich will aber ein emotionales Erlebnis, in das man eintauchen kann wie in eine neue Welt.“

"Ein Traum für mich, so arbeiten zu können"

Diese Welten entstehen zu lassen ist mit viel Aufwand verbunden. Für „Hieronymus B.“ etwa setzte das Künstlerduo Les deux garçons Boschs Bestiarium plastisch um und gab den Heidelberger Werkstätten viel zu tun. Das deutsche Theatersystem kommt dem spartenübergreifenden Denken von Nanine Linning entgegen; alle Künstler findet sie unter einem Dach. „Es ist ein Traum für mich, so arbeiten zu können“, sagt Linning, die im Juni 2014 in Heidelberg Philip Glass’ „Echnaton“ als Tanzoper inszenierte.

Allerdings bleibt wenig Raum für Auswärtsspiele; und so ist Gauthier Dance die erste fremde Kompanie, für die Nanine Linning choreografiert. „Für ein kleines Ensemble mit kurzen Produktionszeiten zu arbeiten ist spannend“, sagt sie. „Ich bin froh, dass ich diese Chance bekommen habe und ausprobieren kann, wie es ist, wieder ein kurzes Stück von 15 Minuten zu machen.“

Gerade laufen Gespräche, um ihren Fünfjahresvertrag in Heidelberg zu verlängern. „Ich würde sehr gerne bleiben, habe aber einige Bedingungen“, sagt Linning, die sich für große Produktionen und Tourneen mehr Unterstützung bei der Verwaltungs- und Organisationsarbeit wünscht. 2016 etwa, dann jährt sich der Tod von Hieronymus Bosch zum 500. Mal, soll Linnings Kompanie „Hieronymus B.“ in 11 Vorstellungen in den Niederlanden und Frankreich zeigen.

Dass ein kleines Land wie ihre Heimat eine derart reiche Tanzszene hat, ist ein Gut, das Nanine Linning in Gefahr sieht. „Bis 2009 waren die Niederlande ein Mekka für den Tanz. Es gab eine wunderbare freie Szene mit guten Produktions- und Förderstrukturen“, sagt sie – und international renommierte Ausbildungsstätten, wie sie Linning selbst in Rotterdam kennenlernte. Dann, erzählt sie, kamen 2009 der Rechtspopulist Geert Wilders und die Sparpolitik der neuen Regierung, die Ausgaben im Kulturbereich um 40 Prozent senkte. „Gerade für die freie Szene ist die Situation schwierig; viele Künstler sind wieder weg.“

Weg ist auch Nanine Linning. Die neue Situation in ihrer Heimat hat ihr die Entscheidung erleichtert. „Ich bin in einem Land groß geworden, in dem Freiheit, Offenheit und die Gleichheit aller wichtig waren. Die Polarisierung, die heute betrieben wird, finde ich schrecklich“, sagt die Choreografin, die in „The Black Painting“ vielleicht auch auf diese dunkle Macht anspielt.