Anna Süheyla Harms und William Moragas sind in Mauro Bigonzettis "Pietra Viva" vielfach verbunden: durch Blicke und das Spiel ihrer Füße. Foto: Brocke

Mit "Lucky Seven" unterstreicht Gauthier die Daseinsberechtigung seiner Truppe durch Qualität.

Stuttgart - Eric Gauthier nennt „Lucky Seven“ seine bisher aufregendste Produktion und er hat recht damit. Denn die sieben sorgsam einstudierten Stücke, darunter drei Uraufführungen, befragen hintersinnig den schönen Schein und geben dem Witz einen doppelten Boden.

Es ist bekannt, dass die Existenz von Gauthier Dance in Stuttgart durch finanzielle Engpässe bis vor kurzem auf der Kippe stand. Das war am Premierenabend an diesem Mittwoch, an dem das Theaterhaus zum Treffpunkt der Tanzwelt mutierte, kein Thema. Doch vergessen konnte und sollte das Publikum dieser Umstand nicht. Allein die Unterstützung durch die Anwesenheit fast aller an „Lucky Seven“ beteiligten Choreografen sprach Bände. Hans van Manen, Mauro Bigonzetti, Alejandro Cerrudo, Paul Lightfoot und Sol León – sie alle stellten sich zu und damit auch hinter Gauthier Dance. Ein kluger Schachzug war, Catarina Mora als in Stuttgart heimische Choreografin mit ins Boot zu holen. Die Vernetzung, das machte Eric Gauthier durch sein neues Programm sichtbar, funktioniert weltweit, aber eben auch vor Ort.

„Lucky Seven“ war damit mehr als ein gewöhnlicher Premierenabend. Schließlich hat Gauthier Dance seine finanziellen Sorgen nur für ein Jahr los. Es gilt, sich mit „Lucky Seven“ die Unterstützung und den Respekt zu sichern, den die zwar gut besuchte und vom Publikum umjubelte, aber immer wieder auf sich selbst zurückgeworfene Truppe, zu einem längerfristigen Überleben braucht.

Sorgsam einstudiert, nie lapidar

Schaut man auf das, was tänzerisch und dramaturgisch geboten war, müsste das eigentlich gelingen. Gleich im Eröffnungsstück „Lickety-Split“ des sonst für Hubbard Street Dance Chicago arbeitenden Spaniers Alejandro Cerrudo bewiesen sechs Gauthier-Tänzer ihr hohes Niveau durch eine lustvolle, exakt getimte und weich ineinanderfließende Bewegungssprache. Mal solistisch, dann zu zweit und wieder in der Gruppe fanden die Figuren zu einer geradezu magnetisch wirkenden Ordnung. So entstanden im Fluß der Auf- und Abgänge immer wieder einprägsame Bilder, durchdrungen von Atem und Lebendigkeit.

Sorgsam einstudiert und nie den Grat zum Lapidaren überschreitend, gaben Eric Gauthier und Isabelle Pollet-Villard in van Manens „The Old Man and Me“ ein einander fremd gewordenes Ehepaar, das die alte Vertrautheit sucht, aber nicht mehr findet. Es ist wohl auch dem Einsatz von Egon Madsen zu verdanken, dass aus diesem, für das unvergessene, leider eingesparte Nederlands Dans Theater III geschaffenen Pas de deux kein Schenkelklopfer wurde. Bei allem Humor dosierten die Darsteller ihre verkörperten Gefühle so genau, dass der tiefernste Subtext immer lesbar blieb. Mehr auf Effekt setzte dann Eric Gauthiers erstmals gezeigtes „Punk Love“. Ein bisschen zu pantomimisch am Anfang und das Klischee von der Underground-Szene bedienend, fiel seine Abhandlung über einen Tattoo-Künstler und sein Geschöpf aus. Armando Braswells führte seine Arme und Zeigefinger unter dramatischem Violett-Licht wie die Tintennadel über Garazi Perez Oloriz’ Catsuit, um die Ranken und Kringel durch Drehungen und gewagte Hebungen dann auch im Raum entstehen zu lassen. Nicht nur das Ganzkörpertrikot verhinderte echte Berührung.

Kurz, knapp, urkomisch

Kurz und knapp, aber urkomisch: „Shuttlers Shut“ zur Erzählstimme Gertrude Steins aus der Werkstatt des Choreografenduos Paul Lightfoot & Sol León. Abermals Braswell und Rosario Guerra zeigten mit heiligem Erst, wie verwirrend das Zusammentreffen zweier komplementärer Gestalten sein kann. Dass Mauro Bigonzetti mit „Pietra Viva“ keinen gewöhnlichen Pas de deux beisteuerte, ist mit dem Hinweis, dass es sich um eine Uraufführung handelte, nicht geklärt. Schon das erste Bild zeigte ein ungewöhnlich ineinander verstricktes Paar: Er unter ihrem Haar verborgen, sie auf seinen Zehen stehend. Bigonzettis bekannte Vorliebe für den erotischen, kontaktaufnehmenden Einsatz der Füße wurde hier zum tragenden Prinzip. Als neues Mitglied fügt sich Anna Süheyla Harms nahtlos ein in die Kompanie und steuert doch eine ganz eigene Sinnlichkeit bei. Wie sie und William Moragas sich tastend und mit schöner Langsamkeit einfinden in die sachte Begegnung ihrer Füße, das hat seinen ganz eigenen Reiz.

Unterstützt von Catarina Mora betrat Eric Gauthier erstmals als Flamencotänzer die Bühne und damit Neuland mit „Carlito“. Gauthier machte die Hommage an seinen Sohn zur privaten Auseinandersetzung mit dem Machismo und befragte mit Blick auf eine hellblaue Stoffwindel, wie belastbar die männliche Rolle ist. Kurz vor dem Ende eines bemerkenswerten Solos – ja, Gauthier kann auch Flamenco! – landet er allerdings dort, wo er mit seinem Crashkurs-Stück „Ballet 101“ schon einmal gelandet war – zerschmettert am Boden.

Kein schon erprobtes Rezept, sondern ein ganzes Feuerwerk an Ideen lieferten Jirí Kyliáns „Sechs Tänze“. Die Rokoko-Gesellschaft, die hier zu Mozart so übermütig ihr vergnügungssüchtiges Spiel treibt, wird konfrontiert mit anrollenden schwarzen Gestalten. Doch eine Bedrohung erkennt sie darin nicht. Bitterböse ist dieser auf die Französische Revolution hinweisende Humor. Und ein gefundenes Fressen für Gauthier Dance.