In der Ditzinger Kernstadt hat eine Lokalität der besonderen Art aufgemacht. Eine, in der zum Beispiel Preise für Essen und Getränke Fehlanzeige sind.
Es passiert immer wieder: Die Leute laufen in der Kernstadt in der Gartenstraße an der großzügigen Fensterfront entlang, stutzen, verlangsamen ihren Schritt, gucken rein. Rein in die noch recht junge Lokalität, die Alte Apotheke heißt. An der Stelle war einmal eine Apotheke, ehe sie näher ins Stadtzentrum zog. Die Räume standen daraufhin jahrelang leer. Bis ein engagiertes Team der Süddeutschen Gemeinschaft Ditzingen, eine Gemeinde der evangelischen Kirche Ditzingen, der Alten Apotheke neues Leben einhauchte. Der Gastronomiebetrieb unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von einem gewöhnlichen Betrieb.
Die Macherinnen und Macher sprechen davon, dass sie ein „Wohnzimmer für Ditzingen“ eingerichtet haben, einen persönlichen Ort. Als der Eigentümer im Sommer 2021 auf sie zukam – die Süddeutsche Gemeinschaft hat direkt nebenan ihr Domizil –, sei die Idee entstanden, einen Ort der Begegnung zu schaffen, berichtet Thirza Albert. Die Sehnsucht danach habe auch mit der Pandemie und ihren Folgen zu tun. „Wir haben gespürt, dass den Menschen was fehlt“, sagt die 44-Jährige. Sie seien teilweise abgehängt gewesen, einsam, hätten Schwierigkeiten gehabt, wieder mit anderen in Kontakt zu kommen.
Alte Apotheke mit zwei Alleinstellungsmerkmalen
So war es Thirza Albert, die mit Martina Schaible und Martina Haist einen Teil des harten Kerns von zehn Ehrenamtlichen bildet, wichtig, ein niederschwelliges Angebot zu machen – dessen Herzstück das Café ist. Man könne allein kommen, müsse jedoch nicht allein bleiben, man könne aber auch mit Kind und Kegel, als Familie kommen. Das seien die zwei Alleinstellungsmerkmale der Alten Apotheke, meint Thirza Albert. „Die Gäste kommen in Gemeinschaft, ohne dass etwas erwartet wird.“ Dafür sei die Lokalität schnell bekannt geworden. Martina Haist sagt, auch die Mitarbeitenden würden sich Zeit für die Gäste nehmen.
Obendrein hat in Ditzingen offenbar bisher ein Ort für Familien mit kleinen Kindern gefehlt, eine Art Familiencafé. „Hier rennen Kinder herum oder krabbeln zwischen den Stuhlbeinen, was niemanden stört“, sagt Thirza Albert und zeigt auf die Lounge-Ecke mit zehn Plätzen: Dort sind Kinderstühle zu finden, Spielzeug, Bücher. Außerdem gibt es Spiele und Comics und in der Toilette einen ansprechenden Wickeltisch. An den Tischen stehen 34 Plätze zur Verfügung.
Mangelndes Engagement ist Fehlanzeige
„Wir möchten uns für unsere Stadt und die Stadtgemeinschaft engagieren“, sagt Thirza Albert. Bevor sie und ihr Team loslegten, haben sie sich deshalb auch mit der Stadtverwaltung, dem Oberbürgermeister Michael Makurath (parteilos) darüber ausgetauscht, was die Kommune braucht, was ihr guttut. Zwar sei die Alte Apotheke eine Initiative der Süddeutschen Gemeinschaft, dennoch seien die Ehrenamtlichen auch aus anderen Gemeinden oder hätten mit Kirche gar nichts zu tun. Sie eint ihre Begeisterung für das Projekt. Bei der Eröffnung im Oktober hätten sich mehr als 80 Personen eingebracht, erinnert sich Martina Schaible.
Sie koordinierte mit ihrem Mann die Renovierung und konnte sich schon damals nicht über mangelnden Einsatz beklagen. Selbst viele Jugendliche hätten mit angepackt, in den sozialen Medien für die Lokalität geworben, im Internet nach Einrichtungsgegenständen gesucht. Vieles haben die Ehrenamtlichen in Eigenleistung gestemmt, seien Samstag für Samstag vor Ort gewesen. Der Anspruch war, sagt Thirza Albert, die Alte Apotheke so schön wie professionell aufzuziehen – ausgerüstet mit Technik wie einem Fernseher und einer Musikanlage. Denn in der Gartenstraße gibt es nicht nur Cafébetrieb, sondern auch Barbetrieb mit Loungemusik, gedimmtem Licht, Cocktails, Panini. Es finden Spielenachmittage statt und Veranstaltungen wie Konzerte.
Eintopf-Essen ein voller Erfolg
Gefragt ist die Lokalität auch bei den Gästen. Seit der Eröffnung habe es keinen Tag gegeben, an dem man auf Gäste habe warten müssen, sagt Martina Schaible. Auch das Eintopf-Essen mittwochs sei von Anfang an ein Erfolg gewesen. Wurden bei der Premiere 57 Essen verkauft, sind es nun immer um die 50. „Viele Gäste kommen regelmäßig“, sagt Martina Schaible. Eintopf sei ein unkompliziertes Essen und passe aus dem Grund wunderbar zur Alten Apotheke.
Und trotzdem: „Wir hatten schon Bauchweh, das müssen wir zugeben“, sagt Martina Schaible. Die Idee in die Tat umzusetzen, sei für alle ein Sprung ins kalte Wasser gewesen. „Wir sind Laien und hatten keine Ahnung, wie unser Angebot angenommen wird und wie es sich entwickelt“, sagt Martina Haist. Sie leitet das Büro einer Gärtnerei, wenn sie nicht gerade in der Alten Apotheke Kaffee und Kakao zubereitet.
Tischkickerturnier, Lesungen, Vermietungen
Das Angebot finanziert sich über Spenden, Einnahmen und Engagement. Das auch darin besteht, dass sogar Gäste selbstgebackene Kuchen spendieren. „Wir haben keine Preise“, sagt Martina Schaible. „Wir wollen, dass jeder zu uns kommen kann.“ Die Gäste geben, was sie sich leisten können oder für angemessen halten. „Das Konzept ist spannend und funktioniert bis jetzt“, sagt Martina Schaible. Überrascht seien die Frauen auch darüber, „wie viel Spaß uns das alles macht“. Dabei helfe es, dass die Süddeutsche Gemeinschaft mit dem Pastor Paul Mehner – er und seine Frau würden für das Projekt brennen – im Hintergrund sei.
Thirza Albert, Martina Schaible, Martina Haist und die anderen haben noch viel vor. Da ist zum Beispiel das Untergeschoss. Aus dem einen Raum wird eine Werkstatt, in der kreative Workshops stattfinden sollen. Im Raum nebenan stehen Kisten voller Playmobil und ein Tischkicker. Ein Kickerturnier schwebt den Frauen vor, Lesungen planen sie und auch, Nachwuchskünstlern eine Bühne zu bieten sowie ihre Räumlichkeiten zu vermieten. Anfragen hätten sie etliche. „Unsere Liste an Ideen ist lang“, sagt Thirza Albert, die auch sagt: „Wir versuchen, alle Altersgruppen in den Fokus zu nehmen.“ Damit die auch kommen, gelte es zu erfahren, was die Bevölkerung wünscht und braucht.