Durch die Corona-Pandemie hat sich die Zahl der Besenwirtschaften im Landkreis gelichtet. Foto: Kreiszeitung Böblinger Bote/Thomas Bischof

Traditionsgut in Gefahr: Die Corona-Pandemie hat besonders die Betreiber der Besenwirtschaften schwer getroffen. Annähernd die Hälfte der befragten Betriebe im Kreis Böblingen wissen nicht ob, sie in der nächsten Saison wieder aufmachen wollen.

Kreis Böblingen - Drangvolle Enge mit wenig Abstand zu anderen Gästen, ein süffiger Tropfen von Streuobstwiesen oder Rebhängen im Glas, ein rustikales Vesper auf dem Teller und ein nettes Gespräch mit den eben noch unbekannten Tischnachbarn. Das ist Besenwirtschaft at it’s best. Doch die Pandemie verändert vieles – auch das schwäbische Wirtschaftswunder. Im Landkreis Böblingen sind Besenwirte mitunter kreativ, um die Hygieneregeln einzuhalten, aber manche haben auch resigniert. Rund die Hälfte der von unserer Zeitung angefragten Betriebe im Kreis Böblingen hat diese Saison zu, und viele Wirte wissen auch jetzt noch nicht, ob sie im nächsten Jahr wieder aufmachen werden.

Corona belastet die Wirte schwer

Wohl für immer geschlossen bleibt pandemiebedingt wohl der Münklinger Mostbesen zum Alten Kuhstall. Immerhin 16 Jahre machten Esther und Rüdiger Fischer mit Maultaschen und Kartoffelsalat ihre Gäste glücklich. Doch mit der Zwangspause verloren beide auch die Motivation, wieder aufzuschließen, wie Esther Fischer einräumt.

Zumindest in dieser Saison bleibt auch die Besenschwirtschaft zum Holzschnitzer in Rutesheim geschlossen. Der Wirtin Corinna Sadlo war es zuviel, die Corona-Auflagen zu handhaben und nebenher noch ihren Betrieb zu führen.

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Ähnlich sieht es in der verschwägerten Familie Sadlo in Malmsheim aus. In der Weinstube Malmsheim ist es nicht nur die Pandemie, die den Betrieb in diesem Jahr ausgebremst hat. Es gibt auch familiäre Gründe, weswegen die Chefin Monika Sadlo nicht weiß, ob der Besen nächste Saison wieder öffnet. Genauso sieht es bei Sabine Marquadt aus, die die Alte Schreinerei in Weil im Schönbuch betreibt. Sie hat außer mit der Pandemie auch mit Personal-Problemen zu kämpfen und ist derzeit noch unschlüssig, ob der Besen eine Zukunft haben wird.

In Weil der Stadt bleibt das „Hechtbrauhaus“ alias „Linsenbesen“ mit Biergarten aufgrund der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Einschränkungen für die Gastronomie zwar bis auf Weiteres geschlossen. Wer allerdings eine große Runde mit Freunden plant, etwa bei einem runden Geburtstag, ist dort richtig. Denn Reservierungsanfragen für geschlossene Gesellschaften sind möglich, weil Besenwirt André Beyerle so mit den auferlegten Beschränkungen besser klar kommt. Und wer seinen privaten Besen Zuhause feiern will, kann das Hechtbrauhaus ansteuern, um den Gerstensaft der Hausbrauerei zu kredenzen.

Auch in Zeiten der Pandemie findet die alte Brautradition der ehemaligen freien Reichsstadt seine Abnehmer. Die Hechtbrauerei Weil der Stadt kann auf eine lange Firmengeschichte verweisen, nämlich von 1791 bis 1960. Der letzte Braumeister war Beyerles Urgroßvater Max Himmelseher. „Um eine zwischenzeitlich vergangene aber längst nicht vergessene Brautradition wieder neu aufleben zu lassen, brauen wir nun seit 2015 wieder unser Weil der Städter Hechtbräu in der Hausbrauerei“, sagt er.

Fleisch aus eigener Produktion

Eine Woche pro Monat hat der Betrieb von Klaus Bauer geöffnet, es ist die Besenwirtschaft „Zom Äpflbutza“ in Neuweiler bei Weil im Schönbuch. Er ist vom kommenden Dienstag an wieder am Start, und weil da Martinstag sein wird, gibt es in dieser Woche zusätzlich auch Gänsekeule mit Klößen. Ansonsten stehen bodenständige Gerichte auf der Karte: Schnitzel, Schlachtplatte und Rostbraten beispielsweise. Klaus Bauer nutzt den Umstand, dass ein Sohn Metzger von Beruf ist und auch Jäger, so kann er Fleisch aus familiär geführter Metzgerei anbieten und natürlich auch Wein und Most, den Most macht er selber, den Wein liefert ihm der Pächter seines Weingutes. Unter der Woche hat der Besen von 18 Uhr an geöffnet, am Sonntag von 11 Uhr. Auch sein Betrieb hat unter Corona gelitten, besonders weil „fast jede Woche eine neue Vorschrift kam“, wie der Betrieb zu führen sei, sagt Klaus Bauer kritisch.

Gänsezeit bei der Martinskirche

„Wir haben offen, und wir machen auch nicht zu“, sagt Christl Horstmann vom Besenwirt bei der Sindelfinger Martinskirche. Die Besenwirtschaft in der Ziegelstraße bietet das traditionelle Programm aus schwäbischen Gerichten und schenkt Wein aus von regionalen Erzeugern aus Stuttgart und Untertürkheim. Vom 13. November an beginnt auch hier die Gänsezeit, darüber hinaus hat der Besen noch ein Tagesessen auf der Karte für die Mittagspause. Christl Horstmann hört von ihren Gästen immer wieder, wie sehr sie es bedauern, wenn die Besenwirtschaften an anderen Orten des Kreises und der Region geschlossen bleiben. Aber sie lässt sich nicht entmutigen: „Wir machen weiter, so lange wir können.“Die Besen-Wirtschaft von Antje und Stefan Hartmann im Leonberger Stadtteil Eltingen ist nicht identisch mit der Weinstube Weidenbusch. Deren Betreiber, Brigitte und Herbert Hartmann, haben ihr Besen-Lokal bereits im vergangenen Jahr geschlossen. Antje und Stefan Hartmann gehen auch während der Pandemie mit Kreativität neue Wege, um ihren Gästen in Eltingen eine schwäbische Einkehr zu ermöglichen. Die Gäste sitzen dort auf überdachten Biergarnituren an der frischen Luft. Die Ausschanktheke nutzt Stefan Hartmann zugleich als 3-G-Kontrollstation. Wer hineinwill, muss geimpft, genesen oder getestet sein. Viel Aufwand für das Ehepaar, damit nach zweijähriger besenfreier Zeit wieder gemeinsam bis zum 3. Oktober gefeiert werden konnte.

Die Besen laden saisonal ein

Besenwirte
 Die Besenwirtschaften oder auch Straußwirtschaften wurden einst eingeführt, um den im 18. Jahrhundert verarmten schwäbischen Weinbauern ein weiteres Einkommen zu verschaffen. Sie konnten einen Besen oder einen Strauß vor die Tür hängen, und selbst Wein an Gäste verkaufen, das Wohnzimmer diente als Gaststube. Traditionell öffneten die Besenwirtschaften im Herbst, um die Fässer vom alten Wein zu leeren und Platz zu schaffen für die neue Ernte.

Voraussetzungen
 Auch heute noch können landwirtschaftliche Erzeuger Besenwirtschaften öffnen. Es darf allerdings nur in Räumen ausgeschenkt werden, die am Ort des landwirtschaftlichen Betriebes gelegen sind, und es muss sich um eigene Räume handeln. Bis zu 40 Sitzplätze sind zulässig. Eine Besenwirtschaft darf höchstens vier Monate im Jahr in höchstens zwei Zeitabschnitten betrieben werden. Für die Öffnung gibt es aber keine besonderen Bestimmungen, allerdings sind die Sperrzeiten einzuhalten.