Für viele Minijobber dürfte sich der Kellnerjob nach der Gesetzesänderung nicht mehr lohnen, behaupten hiesige Gastwirte. Foto: dpa-Zentralbild

Gastronomen aus Plieningen, Degerloch und Sillenbuch sind sich einig: Der neue Mindestlohn erschwert ihnen das Geschäft. Dabei gehe es ihnen nicht ums Geld, sondern um die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter, die sie nun penibel erfassen müssen.

Filder - Das Wort, das Kersten Richter zur neuen Gesetzeslage zuerst einfällt, ist zu drastisch, um es in der Zeitung zu zitieren. Das sachliche Urteil des Pächters der Plieninger Garbe lautet: lebensfremd. Die Politik hätte mal wieder bewiesen, dass sie keine Ahnung davon habe, wie die Menschen leben, sagt er. Zwei Monate nach der Einführung des Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro stehen für das Restaurant die ersten Veränderungen an. Der Mittagstisch soll künftig nicht mehr angeboten werden. Die Garbe müsste neue Leute einstellen, weil die bisherigen Mitarbeiter schon abends gebraucht werden. „Das wäre betriebswirtschaftlich sinnlos“, sagt Richter. Mitnichten läge das am Mindestlohn selbst. „Den finde ich gut, alle sollen ordentlich bezahlt werden“, sagt Richter.

Doch die gesetzliche Einführung des Mindestlohns hat etwas ausgelöst, unter dem nicht nur die Plieninger Garbe leidet. Nun rückt der Zoll an, um anhand der vorgeschriebenen Zeiterfassung aller Mitarbeiter zu überprüfen, ob diese auch den Mindestlohn erhalten. In der Vergangenheit hätten sie bei einer solchen Prüfung wohl in vielen Fällen festgestellt, was bisher als offenes Geheimnis galt: Gerade Minijobber arbeiten häufig länger als die vom Gesetzgeber vorgeschriebene Arbeitszeit von maximal zehn Stunden am Tag. Um das zu verhindern, bietet Kersten Richter von der Garbe keinen Mittagstisch mehr an.

Lange Schichten abdecken

Das, so sagen Gastronomen, sei für die Branche nötig, weil sich nur so die oft langen Arbeitsschichten abdecken ließen. Rüdiger Spahr, Wirt beim SV Hoffeld und HTC Stuttgarter Kickers, erklärt die Folgen: „Jetzt kann es sein, dass Gäste, die abends zu uns kommen, bei dem einen bestellen und bei dem anderen bezahlen müssen, weil die erste Kraft schon acht Stunden im Büro gearbeitet hat und bei uns nach zwei Stunden aufhören muss.“

Die mögliche Verärgerung von Gästen sei eine Folge, sagt er. Doch der Schuh drückt ihn, weil der Gastronom für die gleichen Tätigkeiten nun mehr Personal anstellen muss. Anders als bisher kann Spahr in Stoßzeiten, wenn er viele Kräfte braucht, auch sein Personal nicht mehr flexibel einsetzen. Er muss nun darauf achten, dass der Mitarbeiter nicht schon länger als zehn Stunden gearbeitet hat.

Zu viel Zeit im Büro

Der Aufwand bei der Erfassung der Arbeitszeit sei außerdem immens, klagen sowohl der Plieninger als auch der Degerlocher Gastronom. „Langsam verbringe ich mehr Zeit im Büro als am Tresen oder in der Küche. Das macht keinen Spaß mehr“, sagt Rüdiger Spahr. Die Heumadener Gastronomin Ella Grünwald teilt diese Erfahrung nicht. Es falle durch die Zeiterfassung zwar durchaus mehr Arbeit an. „Aber ein Problem sehe ich darin nicht“, sagt sie. Anders als ihre Kollegen arbeiten in ihrem Restaurant „Zur Linde“ an der Nellinger Straße auch keine Minijobber. „Ich habe genug Festangestellte“, sagt sie.

Claus-Peter Wolf von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) kritisiert das Rechtsverständnis der Gastronomen, die sich darüber beschweren, dass der Staat bei der Arbeitszeit der Mitarbeiter nun genau hinschaut. „Das ist wie bei Autofahrern, die ständig bei Rot über die Ampel fahren und sich dann beschweren, dass ein Blitzer aufgestellt wird“, sagt Wolf.

Gewerkschaft hält Sorgen für übertrieben

Die Klage von Gastronomen über einen Zuwachs an Bürokratie durch die nun obligatorische Zeiterfassung hält der Gewerkschafter für übertrieben. „Dafür kann jeder im Handel heute ein Computersystem kaufen, das leicht zu bedienen ist.“ Wolf kritisiert, dass der wirtschaftliche Erfolg vieler gastronomischer Betriebe darauf fußen würde, dass Menschen aus Geldnot bereit seien, über ihre Kräfte zu gehen. „Wer über Jahre nach dem regulären Job noch stundenlang kellnert, der ist irgendwann fertig. Das ist ein Knochenjob“, sagt Wolf. Der Staat tue deshalb gut daran, der Branche stärker auf die Finger zu klopfen.

Daniel Ohl vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) Baden-Württemberg entrüsten solche Aussagen. Er wehrt sich dagegen, dass Gastronomen dafür verantwortlich gemacht würden, dass einige Menschen in Deutschland viel arbeiten wollten. „Es gibt ja auch die Fälle, in denen jemand ein Haus abbezahlen muss. Das ist doch dann eine freie Entscheidung“, sagt er. Überstunden jenseits der gesetzlich vorgeschriebenen Höchstarbeitszeit kämen in jeder Branche vor, würden nun aber in der Gastronomie besonders kontrolliert, sagt Ohl.

Die Gastronomiebranche funktioniere nun mal nicht im starren Rahmen der gesetzlichen Arbeitszeiten, sagt er. Die Dehoga fordert deshalb dringend eine Flexibilisierung der bisherigen Regelung bei Beachtung eines entsprechenden Freizeitausgleichs. Sonst würden die überwiegend kleinen Betriebe in der Gastronomie bald große Probleme bekommen, heißt es.