Gut dotierte Stipendien für Autoren, eine Abnahmegarantie für Verlage: Norwegen, Gastland der Frankfurter Buchmesse tut einiges dafür, um Literatur zu fördern.
Oslo/Frankfurt am Main - Einen prominenteren Platz gibt es kaum in Oslo. Direkt neben der berühmten gläsernen Oper wächst am Wasser die neue, kaum weniger imposante Nationalbibliothek empor. Zufällig ist die Ortswahl am Oslofjord nicht. Die Literatur hat in Norwegen, Gastland der Frankfurter Buchmesse, traditionell einen hohen Stellenwert. Sie spielte im Prozess der norwegischen Identitätsbildung im 19. Jahrhundert eine zentrale Rolle. Der Schriftsteller Erik Fosnes Hansen, der seit seinem Roman „Choral am Ende der Reise“ zu den bekanntesten und erfolgreichsten Autoren im Land zählt, spricht mit Blick auf jene Zeit gar von einer „Poetokratie“ und sagt: „Was auf der Bühne im Nationaltheater gezeigt wurde, war ebenso bedeutsam für die Gesellschaftsentwicklung wie die Reden im benachbarten Parlament. In dem einen Haus diskutierten die Politiker, aber im anderen spielte Ibsen seine Stücke.“
Die enorme Wertschätzung für Bücher zeigt sich heute auch in einem einzigartigen Fördersystem, das bereits in den 1960er Jahren etabliert wurde, also noch bevor die Ölförderung vor der Küste das Land zu einem der reichsten der Welt machte. Der Staat kauft seither von etwa 600 ausgewählten Novitäten Jahr für Jahr 555 bis 1500 Exemplare und verteilt sie an die öffentlichen Bibliotheken im Land. Derzeit hat sich die Zahl bei 700 Exemplaren eingependelt. Die sogenannte Abnahmeregelung war zunächst auf norwegische Prosa beschränkt. Doch bald kamen Kinder- und Jugendbücher hinzu, später auch Übersetzungen, Sachbücher und Graphic Novels.
Die Abnahmeregelung sichert Verlagen das Überleben
Die wohl einmalige Bestimmung wurde zum wichtigsten Baustein für ein prosperierendes Literatursystem und einen florierenden Buchmarkt. Der Chef des norwegischen Verlegerverbandes, Kristenn Einarsson, erklärt die segensreichen Auswirkungen so: „Ein Verleger, der gehaltvolle Titel produziert, weiß, dass er von diesen Büchern mindestens 700 Exemplare verkauft. Das hat der Entwicklung der norwegischen Literatur enorm geholfen. Verlage werden ermutigt, neue Autoren zu veröffentlichen. Zugleich wird es ihnen leichter gemacht, Schriftstellerkarrieren über lange Zeiträume zu fördern und an Autoren auch dann festzuhalten, wenn deren erste Bücher nicht rentabel sind.“
In einem dünn besiedelten Land mit lediglich knapp über fünf Millionen Einwohnern und damit einer potenziell kleinen Leserschaft ist die Regelung für viele Verlage überlebenswichtig, und sie hilft Autoren. Großzügige Stipendien schaffen überdies ein Auskommen, wie es sich Schriftsteller in vielen anderen Ländern nur erträumen können. Einer der glücklichen Norweger ist Simon Stranger. Er hat bereits 14 Bücher geschrieben, die meisten davon für Kinder. Stipendien haben ihm über Jahre hinweg ein stabiles monatliches Salär garantiert, das er mit verschiedenen Zusatzjobs aufbessern konnte. „Wenn man die Einnahmen miteinander kombiniert, hat man ein ganz normales Leben“, sagt er. Doch mit den Nebeneinkünften ist es für Stranger erst einmal vorbei. Er braucht sie nicht mehr. Seit im Vorjahr in Norwegen sein neuer Roman „Vergesst unsere Namen nicht“ (deutsch bei Eichborn) erschienen ist, der in die Zeit des Zweiten Weltkriegs zurückführt und zum Überraschungserfolg wurde, konzentriert sich der Autor ganz auf das eigene Schreiben.
Norwegen ist immer noch Leseland
Der Gleichheitsgedanke, der für die norwegische Gesellschaft von jeher eine wichtige Rolle spielt, prägt auch das Geschäft mit Büchern: Jeder Autor, unabhängig davon, ob er bekannt oder unbekannt ist, unterschreibt zu den gleichen Honorarkonditionen – egal bei welchem Verlag. Aufgrund dieser einmalig guten Rahmenbedingungen werden junge Karrieren befördert. Davon ist auch Per Petterson, einer der stilleren Stars der norwegische Literaturszene, überzeugt: „Wir haben eine Art Ökosystem“, sagt er.
Und trotzdem scheint auch das Literaturparadies Norwegen gefährdet. Bücher haben wie überall in der Welt auch in dem skandinavischen Land an Stellenwert verloren. Erik Fosnes Hansen klagt: „Die Leute lesen viel weniger als früher. Und wenn sie lesen, bevorzugen sie leichte Literatur.“
Die Verleger sehen sich nicht in erster Linie als Erzieher. Auch in Norwegen gilt: Ein verkauftes Buch ist ein gutes Buch für die Bilanz – unabhängig von seiner literarischen Qualität. Die Verlage können zudem noch immer auf ein Interesse an Büchern zählen, das weltrekordverdächtig ist: 88 Prozent der Bevölkerung im lesefähigen Alter greifen mindestens einmal im Jahr zu einem Buch. Im Durchschnitt liest jeder Norweger und jede Norwegerin jährlich 15 Bücher. Trotzdem verbringen auch in Norwegen immer mehr Menschen immer mehr Zeit am Handy.
Abtrünnige sollen wieder lesen
Eine landesweite Kampagne unter der Überschrift „Ganz Norwegen liest“, die im Herbst parallel zum Auftritt der Norweger auf der Frankfurter Buchmesse startet, soll dabei helfen, die Abtrünnigen zurück zur Literatur zu führen. Die Organisatoren sind dabei durchaus optimistisch – und das nicht ohne Grund. Als in den 1990er Jahren zu dem bis dato einzigen norwegischen Fernsehsender ein viel größeres Angebot an Programmen hinzukam, ließen sich die Verleger schon einmal etwas einfallen, um Bücher in den Fokus zu rücken. Seinerzeit wurde in der Hauptstadt Oslo eine Buchmesse etabliert, und Schriftsteller gingen auf ausgedehnte Lesereisen.
Was Engagement gepaart mit Einfallsreichtum bewirken kann, hat der Bibliothekar Reinert Mithassel mit seinem Team unlängst bewiesen. Ausgerechnet in Tøyen, einem Problemviertel Oslos, hat der engagierte Mann vor drei Jahren eine außergewöhnliche Bibliothek mitbegründet. Es gibt darin zwar Bücherregale wie in anderen Bibliotheken, aber auffälliger sind die ausrangierten Kleinlaster und Seilbahnkabinen, die zu Rückzugsorten umfunktioniert wurden. Erwachsene haben keinen Zutritt, die Teenager des Viertels kommen deshalb umso lieber. Die Jugendbibliothek Tøyen hat mittlerweile zahlreiche Preise gewonnen und erste Nachahmer gefunden. Denn während andernorts im Land die Ausleihen leicht rückläufig sind, freute sich Mithassel im Vorjahr über einen Zuwachs von 80 Prozent.