Sehnsucht nach Stille: Das Schützenhaus auf der Dornhalde soll zu einem Ort des Innehaltens werden. Müssen Smartphones draußen bleiben?
Sehnsucht nach Stille: Das Schützenhaus auf der Dornhalde soll zu einem Ort des Innehaltens werden. Müssen Smartphones draußen bleiben?
Tragen Sie, liebe Leserinnen und Leser, eine Uhr am Handgelenk? Nein? Das ist nicht gut. Denn eine ganz normale Armbanduhr – also keine Watch mit Apple drauf, die jetzt auf den Markt kommt – könnte Sie vor einer neuen Form von Abhängigkeit wirksam schützen.
Zwei Forscher aus Ulm, so steht’s in der neuen Ausgabe des „Spiegels“, haben herausgefunden, dass armbanduhrlose Zeitgenossen anderthalbmal so lange wie alle anderen auf ihr Taschentelefon starren und daher anfälliger für die immer härter um sich greifende Smartphone-Sucht sind. Viele würden regelmäßig ihr Handy zücken, um eigentlich nur die Uhrzeit zu checken – doch dann nutzen sie die günstige Gelegenheit nutzen, um bei Whats-App, Facebook oder sonst wo im Internet vorbeizusurfen.
Ertappt! Schon lange trage ich keine Uhr mehr. Das birgt die Gefahr, unsympathisch zu werden. Denn wer ständig an seinem Handy rummacht, nervt wie Kettenraucher, steht im „Spiegel“. Die von ihrem Mobilgerät Getriebenen werden wie Nikotinabhängige oder Alkoholiker als schwach, krank und charakterlos eingestuft. Das Smartphone ist auch flach, Mann! Laut einer Studie greifen Süchtige alle 18 Minuten danach.
Für Menschen, die die Welt nur durch ihr kleines Spielgerät sehen, dürfte es schwierig werden, wenn sie einmal das geplante Haus der Stille beim Dornhaldenfriedhof besuchen. Die Initiative, die von der Stadt den Zuschlag erhalten hat, das frühere, seit fünf Jahren leer stehende Schützenhaus zu einem Ort des Innehaltens umzubauen, diskutiert gerade, ob man Smartphones beim Betreten des Kulturdenkmals verbieten soll.
Je hektischer und lauter es in einer Großstadt ist, desto größer wird der Drang, dem Lärm und Stress zu entfliehen. Hier oben auf der Dornhalde will man die Sehnsucht nach der Ruhe stillen. Wer es nicht schafft, von Zeit zu Zeit die Pausentaste zu drücken, könnte von sich selbst ausgebremst werden – vom eigenen Körper, der mit Krankheit reagiert. Pssst! Schweigeklöster haben Zulauf. Der Markt für Wellness boomt. Bundesweit wächst die Zahl der Stille-Häuser, ob von Kirchen oder Yoga-Schulen getragen, in denen man weniger die akustische Stille sucht als die Stille in sich selbst.
Die Hochgeschwindigkeits-Kommunikation sorgt für den Gegentrend. Stuttgarter Blogger, Kreative, Historiker und Naturfreunde haben sich zu der Initiative für das 1893 erbaute Schützenhaus zusammengetan. Sie wollen eine Bürgergenossenschaft bilden, um die Sanierung des Ensembles (auch ein Nebengebäude und ein Garten gehören dazu) zu finanzieren, das im Besitz der Stadt bleibt. Wer sich mit 1000 Euro beteiligt, kann sein Geld jederzeit aus dem Projekt holen – bei einer Rendite von zwei Prozent. Das Haus der Stille soll die Abschieds- und Trauerkultur pflegen, Angebote zum Rückzug und Verschnaufen bieten sowie das Bewusstsein für Naturschutz stärken. Trauergesellschaften des nahen Friedhofs und viele andere könnten einen der beiden Veranstaltungsräume nutzen, Stipendiaten sollen einziehen, an eine Ausstellung ist gedacht, an ein ehrenamtlich betriebenes Café sowie an einen „Garten der Stille“.
Hört sich gut an. Die Initiative um den Filmschaffenden Christian Dosch muss jetzt richtig Gas geben, weil der Gemeinderat bereits im Sommer Klarheit über Nutzung und Finanzierung haben will. An Ruhe ist also nicht zu denken.
Ruhe ist ein seltenes Gut im Getriebe einer Großstadt. Selbst wenn wir keine Uhr am Arm tragen, lässt sich die Zeit nicht anhalten. Aber innehalten – das können wir zu jeder Zeit.