Renate Großmann kommuniziert mit ihren jungen Theaterschülern über eine Internetplattform. Foto: Frank Eppler

Das Backnanger Galli-Theater bietet Märchenworkshops für Kinder via Internet an. Wie die Wiederbelebung der Bühne vor Publikum aussehen soll, steht für die kleine Spielstätte indes noch in den Sternen.

Backnang - Der siebenjährige David hat sich extra ein schickes Hemd angezogen, Victoria, ebenfalls sieben, ein lila Kleid, ihre Schwester Alexandra (5) ein rosa Tüllröckchen. Sie und weitere sechs Kinder haben sich jeweils von Zuhause aus am Vatertagsvormittag ins Backnanger Galli-Theater zugeschaltet. Dort hat Renate Großmann zu einem Märchenkurs eingeladen.

Die Theaterschule, das Herzstück der kleinen, ungewöhnlichen Spielstätte, ist seit drei Wochen wieder ein bisschen in Gang gekommen, allerdings nur sehr eingeschränkt in dem Gewölbekeller des schmucken Fachwerkhauses am Backnanger Ölberg. Die Bühne ist mittlerweile wie für viele örtlichen Kulturtreibenden das Internet. Über eine Videochat-Plattform bietet das Team um Renate und Dieter Großmann sowie Iris Guggenberger Märchenkurse für Kinder im Alter von fünf bis zwölf Jahren an. Aktuell ist das mit eigener Musik und pädagogischem Konzept aufgegriffene Thema „Schneewittchen“. In den Pfingstferien stehen „Die kleine Seejungfrau“ und die „Bremer Stadtmusikanten“ an.

Vorteile eine Franchise-Theaters

Dass das recht gut funktioniere, habe das Mini-Theater den Vorteilen eines Franchise-Unternehmens zu verdanken, räumt Iris Guggenberger ein, die seit 15 Jahren in Backnang spielt und unterrichtet. In Wiesbaden, dem Trainningszentrum der von Johannes Galli gegründeten Theatergruppe, gebe es zum Glück einige technisch versierte Leute. „Für uns alte“, sagt die 56-Jährige schmunzelnd, „ist das ja nicht alles eine Selbstverständlichkeit“.

Johannes Galli hat seine künstlerische Karriere einst als Straßenclown begonnen. Sein Motto „Im Spiel ist der Mensch wirklich“ hat er später zu einer eigenen Lehrmethode ausgebaut und in den 1990er-Jahren ausgehend von Freiburg in Deutschland nach und nach mehrere Theater aus der Taufe gehoben, die Galli-Stücke spielen, aber auf eigene Rechnung arbeiten. International gibt es mittlerweile Spielstätten in New York und Peking. Im Kinderbereich werden vor allem die Grimmschen Märchen sowie Clown-Theaterstücke inszeniert – und mittlerweile eben auch über das Internet.

Und so bieten die aus der Corona-Not heraus in kurzer Zeit entwickelten Online-Kurse auch in Backnang die Möglichkeit, ein wenig mit dem Publikum und den Klienten in Verbindung zu bleiben. „Die Schule verändert sich“, sagt Iris Guggenberger, „aber man merkt auch, wir müssen unbedingt wieder raus.“ Das auch, weil mit den Online-Kursen nicht wirklich Geld zu verdienen ist und zudem die Auftritte in den eigenen Stücken ruhen. Man halte sich zurzeit mit Wirtschaftssoforthilfe und anderen Überbrückungsunterstützungen mehr oder weniger über Wasser, sagt Guggenberger.

Abstandsregeln im kleinen Gewölbekeller? Schwierig!

Wie der Betrieb wieder aufgenommen werden solle, stehe freilich noch in den Sternen. Nicht nur, weil lediglich der vage Zeitraum – nach den Pfingstferien – definiert worden sei, auch die Auflagen, die mit möglichen Aufführungen verbunden würden, seien noch unklar.

Für die eigenen Räumlichkeiten in dem rund 80 Quadratmeter kleinen Gewölbekeller aus dem späten 16. Jahrhundert, der gerade einmal 50 bis 60 Zuschauer fasst, sieht Iris Guggenberger ohnehin eher schwarz. „Das wird dort mit den Abstandsregelungen kaum machbar sein.“ Man müsse wohl darauf hoffen, an anderen oder aber an improvisierten Spielstätten seiner Berufung nachgehen zu können, so die Theaterfrau.

Das tiefe Loch in der Kasse sei die eine Sache, aber was man schmerzlich vermisse, sei die direkte Beziehung zum Publikum. „Das fehlt sehr und ist online nicht das gleiche“, sagt Guggenberger. Doch resignieren gilt für sie nicht: „Wir entwickeln uns weiter, und irgendwie wird sich unsere kreative Kraft einen Weg bahnen – wir haben schon öfter kämpfen müssen, und immer hat etwas geklappt.“

In den „Schneewittchen“-Kurs ist jedenfalls in kürzester Zeit viel Bewegung gekommen: David hat sich zu seinem karierten Hemd eine grüne Zwergenmütze aufgezogen und spielt vor, was die Schneewittchen-Verbündeten im Wald so machen, während andere von seinem Tellerchen essen und aus seinem Becherchen trinken. Fiona (9) mimt die eitle Königin, während die anderen – heute mal acht – Zwerge im Chor den ernüchternden und zornbringenden Kommentar ihres Spiegels übernehmen.

Am Ende tanzen nicht nur Victoria und Alexandra freudig durch das heimische Wohnzimmer, weil alles gut ausgegangen ist. Auch Renate Großmann ist sichtlich zufrieden. Das Hin- und Herschalten mit Kamera und Ton hat geklappt, das manchmal verzögert-verzerrte Stimmengewirr hat sich bändigen lassen. Alle zusammen auf einer Bühne zu haben, wäre ihr aber dennoch wohl deutlich lieber gewesen.

Wie andere Theater die Zwangspause überbrücken

Figurentheater Phoenix
Die Schließzeit ihres Schorndorfer Figurentheaters Phoenix haben Ute und Soran Assef genutzt, um neue Inszenierungen zu erarbeiten, Kostüme und Requisiten auszubessern. Aber: „Das Publikum fehlt“, sagt Ute Assef. Mitte Juni soll es im kleinen Rahmen wieder mit Vorstellungen losgehen, derzeit feilt die Familie Assef an einem Konzept, wie sich die Zuschauer möglichst wenig begegnen. Statt 120 dürfen maximal 35 Besucher auf den Rängen Platz nehmen. Das rechnet sich kaum, zumal die Hygienestandards höhere Kosten verursachen. Normalerweise finden von April bis Sommer kaum Sonntagsvorstellungen für Familien statt, das Hauptaugenmerk liegt stattdessen auf dem Programm für Schulen und Kindergärten. Da Klassenausflüge und ähnliches untersagt sind, wollen es Ute und Soran Assef doch ausprobieren mit einem Familienprogramm – Infos sollen Anfang Juni im Internet veröffentlicht werden. Zum Erliegen gekommen ist auch die theaterpädagogische Arbeit. Mit ihrem internationalen Ensemble „Lebenswelten“ sollte bis zum Herbst dieses Jahres ein Shakespeare-Stück erarbeitet werden, die Zusage für Fördergelder ist da. „Aber Theaterarbeit ohne Nähe ist schwierig“, sagt Soran Assef.

Bandhaus-Theater Backnang
Die Zwangspause bringt für Jasmin Meindl eine ganz eigene Qualität mit sich: „Ich hatte noch nie so viel Zeit zum Schreiben“, sagt die Leiterin des Bandhaus-Theater Backnang. Und die kann sie auch nutzen, denn dank Soforthilfe, einer großzügigen Stiftungsspende und vielen privaten Geldgaben gehe es dem Theater relativ gut. Bis zum Herbst ruht der Betrieb. „Schade war, dass wir gerade erst mit den Proben für unser neues Stück angefangen hatten“, berichtet Jasmin Meindl. „Die letzte Sau“ sollte eigentlich am 26. April Premiere feiern. Die Proben sollen im Sommer wieder aufgenommen werden, neuer Termin für die erste Aufführung ist Ende September. Festhalten wird das Theater auch an dem Amateurtheaterfestival zu 30 Jahre Wiedervereinigung, zu dem mehrere Gruppen aus ganz Deutschland kommen werden. „Ich bin verhalten optimistisch“, sagt Jasmin Meindl, die trotzdem einen Ersatztermin im kommenden Frühjahr als Ass im Ärmel hat.