Multitalent Willy Wiedmann Foto: privat

Bad Cannstatt erhält ein verlorenes Stück Kunst zurück – die Galerie Wiedmann ist an alter Stelle beim Jakobsbrunnen wiedereröffnet worden.

Bad Cannstatt - Wenn einer verdient, als Multitalent zu gelten, war es Willy Wiedmann (1929–2013). Er studierte nach einer Lehre als Möbeltischler nicht nur an der Stuttgarter Musikhochschule, sondern begann danach an der Stuttgarter Akademie auch ein Kunststudium. Als freier Musiker und Komponist arbeitete er von 1954 bis 1964 beim Württembergischen Staatstheater und bei öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehsendern sogar bis 1982.

Als Künstler erweiterte er mit seiner Polykon-Malerei das herkömmliche Mehrtafelbild des Di- oder Triptychons. Schon 1964 eröffnete er in Bad Cannstatt die Galerie am Jakobsbrunnen, förderte junge Künstler, stellte aber auch berühmte Kollegen wie Dali, Braque oder Picasso aus und unter etlichen Pseudonymen sich selbst.

Als Eugen vom Engelsbogen wagte er sarkastische Blicke in die Zukunft, als Emilio Gräsli erfand er duftig aquarellierte Poeme. Gedichtet hat er sowieso, und Schriftsteller war er auch. Viel Zeit steckte er in die Galeriearbeit, leitete in der Nachfolge von Hermann Metzger das traditionsreiche Kunsthöfle, betreute die Galerie im Amtsgericht Bad Cannstatt und bis 1977 die TWS-Etagengalerie in Stuttgart. Sogar das 1. Polizeirevier rüstete er mit Kunst aus. Nebenher renovierte er in jahrelanger Eigenarbeit das im 16. Jahrhundert erbaute Fachwerkhaus beim Jakobsbrunnen und eröffnete 1983 gleich daneben einen Bildhauergarten.

Die offene Dynamik seiner Polykon-Malerei bewährte sich, als der Maler nach der Renovierung der Pauluskirche in Zuffenhausen 1984 mit deren Ausmalung beauftragt wurde. Die wabenähnliche Verflechtung abgeschrägter Vierecke gestattete die Aneinanderreihung miteinander verschränkter Flächen. Außerdem wusste Wiedmann das geometrische Grundgerüst sowohl gegenständlich als auch abstrakt zu deuten. So stehen sich an den Seiten der Kirche Schöpfungsgeschichte und die „neue Welt Gottes“ gegenüber, während an der Orgelempore die „gefallene Welt“ mit Kain und Abel, dem babylonischen Turmbau, dem Tanz ums goldene Kalb, dem Elend der Armen und einer verdorrten Baumruine zu denken gibt.

Für Willy Wiedmann bedeutete Zuffenhausen den Anstoß zur „Wiedmann-Bibel“, der längsten gemalten Bibel der Welt. Das Mammutwerk beschäftigte ihn 16 Jahre lang bis zur Jahrtausendwende. Seine Premiere hatte es jetzt beim Evangelischen Kirchentag in Stuttgart. Die Kinder des Künstlers, Cornelia und Martin Wiedmann, haben es „sich zur Mission gemacht, den letzten Wunsch ihres Vaters zu erfüllen“, nämlich das inzwischen digitalisierte Werk weltweit zu verbreiten. Es ist jetzt als App mit 3333 Bildern erhältlich. Wer der Kunst lieber leibhaftig begegnen möchte, hat dazu in der neu eröffneten Galerie Wiedmann an alter Stelle beim Jakobsbrunnen Gelegenheit.

Stuttgart-Bad Cannstatt, Tuchmachergasse 6. Bis zum 18. Juli. Mi 10 bis 18, Fr 13 bis 18, Sa 11 bis 16 Uhr.