. . . sowie das eindringliche „Hetaere“ von 1941, . . . Foto: Galerie Valentien

Wie behauptet man sich im breiten Strom der Kunst seit 1920? Gerade im Südwesten gab es darauf immer wieder überraschende Antworten. Ausstellungen in Stuttgart und Grafenau zu Volker Böhringer, Jakob Bräckle sowie Julius Kaesdorf und Romane Holderried-Kaesdorf machen erneut darauf aufmerksam.

Stuttgart - „Hitler bedeutet Krieg“ – die Warnungen vor den Reichstagswahlen im November 1932 sind längst verblasst, als ein junger Maler 1936 eine Szenerie eigener Düsternis schafft. 24 Jahre jung ist der gebürtige Esslinger Volker Böhringer, als er in seinem Bild „Krankenschwester“ eben diese als einzig lebende Person in einer Ruinenstadt zeigt.

Ausstellungsverbot in Hitler-Deutschland

Noch düsterer wird es ein Jahr später. Die „Frau am Zaun“ ist gleichermaßen gänzlich aus- wie eingesperrt. Abgeschattet sind die dunklen Farben – dies schafft Distanz, vermeidet die vordergründige Klage. Und doch ist die Botschaft unmissverständlich: Freiheit kann es in Deutschland auch vor den Zäunen der nahezu überall eingerichteten „Arbeitslager“ nicht geben – die Diktatur hat ein ganzes Volk in Haft genommen.

Es ist das Jahr, in dem sich Böhringers Künstlerschicksal für viele Jahre entscheidet. Hitler-Deutschland sieht in dem Absolvent der Stuttgarter Akademie eine Gefahr. Die Konsequenz: Ausstellungsverbot.

Böhringer erholt sich nie wirklich von diesem Ausschluss aus der Öffentlichkeit, erst im Todesjahr 1961, der Maler stirbt mit 49 Jahren, organisiert der seinerzeit neu gegründete Esslinger Kunstverein eine erste Ausstellung. Fast in 30-Jahr-Schritten geht es weiter – 1987 gibt es in der Ägide Alexander Tolnays eine Retrospektive in der Villa Merkel – und 2006 gilt, wieder in der Villa Merkel, die Aufmerksamkeit den Industrieansichten des Malers und Zeichners. Immerhin Einzelarbeiten halten Böhringer in der Phalanx der Neuen Sachlichkeit in Erinnerung.

Böhringer-Panorama in der Galerie Valentien

Nun schreibt sich die Galerie Valentien in Stuttgart Böhringer auf die Fahnen – und setzt vehement das Wort „Wiederentdeckung“ dazu. Verdienstvoll ist die am Donnerstag mit Jazz der 1920er Jahre eröffnete Schau auf alle Fälle. Möglich erst durch konsequentes Ankaufengagement, wartet die Ausstellung unter anderem mit dem Bild „Hetaere“ auf – ein Frevel seinerzeit, gespickt mit allem offiziell Undeutschen schlechthin. Böhringer zeigt eine Clubszene mit einem afroamerikanischen Paar – einer nackten Tänzerin und Saxofonistin und einem Posaunisten. Ein Aufschrei zur Freiheit, gemalt 1941 und also in jenem Jahr, da Hitler-Deutschland sich nach der Besetzung Kontinentaleuropas anschickt, die „Untermenschen“ in der Sowjetunion zu vernichten.

Die Schau bietet weitere Beweise des künstlerischen Trotzes in dunkler Zeit – eines Trotzes, der nie auf die große Pose setzt, sondern sich ganz auf das zutiefst Menschliche konzentriert. Der Seitenblick auf Arbeiten von Franz Lenk vertieft diese Eigenspannung in Böhringers Schaffen noch.

Volker Böhringer in der Galerie Valentien in Stuttgart (Gellertstraße 6) – bis zum 15. Juli, Di bis Fr 13 bis 18, Sa 11 bis 14 Uhr

Drei aus Biberach bei Schlichtenmaier

Drei aus Biberach

Strikt auf eigenen Pfaden sind auch diese drei: Jakob Bräckle, Julius Kaesdorf und Romane Holderried-Kaesdorf. Drei aus Oberschwaben, drei aus Biberach an der Riß. Ähnlich aber einem anderen, einem, der die Schwäbische Alb zu einem Weltganzen gemacht hat. HAP Grieshabers „Wurzeln ist auch Wanderschaft. Bleibe Achalm“ ist ein Banner, das auch das Wirken von Bräckle, Kaesdorf und Holderried bestimmt.

In den angestammten Räumen im Schloss Dätzingen in Grafenau präsentiert die Galerie Schlichtenmaier Arbeiten der drei aus Biberach. Und erkennbar ist das Bemühen, insbesondere den Blick auf das Schaffen von Jakob Bräckle (1897–1987) zu schärfen. Tatsächlich ergibt sich ja von den „Ähren“ (1929) über die fast unheimlichen Winterfelder von 1938 eine bruchlose Linie hin zu jenen Farbfeldstrukturen der späten 1960er und frühen 1970er Jahre, mit denen Bräckle noch einmal auf die Kunstbühne zurückkehren konnte. Die karge, horizontbetonte Landschaft aus leichter Untersicht ist ebenso Rückversicherung wie Kraftfeld, und so mag man sich nur zu gern eine entsprechend konsequente Auswahl in kühlem musealem Distanzraum vorstellen.

Als Konzeptkünstlerin zu entdecken: Romane Holderried-Kaesdorf

Da haben es vordergründig die eigenwillig verkürzten Figuren in den nicht minder eigenwilligen Farbräumen von Julius Kaesdorf (1914–1993) schwerer. Doch der Hinweis auf das bewusst Naive geht im Grunde fehl – Kaesdorf, aus Ungarn nach Biberach gekommen, entwickelt ja eine ganz eigene Bildwelt, wenn er seine Porträts in Strukturen positioniert, die ohne die konkrete Kunst nicht denkbar sind. Auch Kaesdorf schafft sich so im Bild eine eigene Distanz. Höhepunkt der Ausstellung aber sind zwei Werke von Romane Holderried-Kaesdorf (1922–2007). „Jede Frau hat 1 Treppe“ verkündet eine, die andere verspricht den Moment „Vor der Überquerung des Tales“.

Das Absurde hat hier einen eigenen Klang, und die vorauslaufende Umkehrung der 1980er-Jahre-Doktrin „Bilder werden Worte“ in „Worte werden Bilder“ sollte Romane Holderried-Kaesdorf längst einen deutlich höheren Stellenwert sichern – als Konzeptkünstlerin.

Jakob Bräckle, Julius Kaesdorf und Romane Holderried-Kaesorf in der Galerie Schlichtenmaier (Schloss Dätzingen, Grafenau) bis zum 17. Juni – Di bis Fr 11 bis 18.30, Sa 11 bis 16 Uhr.