in der Galerie Reinhard Hauff in Stuttgart (Paulinenstraße 47, Di–Fr 13–18 Uhr). Foto:  

Thomas Locher zählt zu den wichtigsten deutschen Gegenwartskünstlern. Wie Locher sich mit der Bedeutung von Texten und Zeichen auseinandersetzt, belegen auch seine neuen Arbeiten in der Stuttgarter Galerie Reinhard Hauff.

Stuttgart - Wie schafft man Ordnung in der Kunst? Welchen Rang hat das Diffuse – und welchen Raum kann und muss es beanspruchen? Was bedeutet es, mit Kunst über Kunst zu forschen? Und kann es darin so etwas wie Poesie geben?

Thomas Locher, 1956 in Munderkingen geboren, fügt solchen für sein Schaffen typischen Fragen in seiner nun siebten Einzelschau in der Stuttgarter Galerie Reinhard Hauff (Paulinenstraße 47) noch eine Diskussionsebene hinzu.

Was bedeutet es eigentlich, wenn sich gänzlich eigenständige Inhalte in einem eigens geschaffenen Raum (der Kunst) begegnen, wenn sie sich durchdringen und die doch eigentlich internen Diskussionen so zwanghaft wie selbstverständlich auf neuer Bühne und mit gegenseitiger Überprüfung fortführen?

Worte werden Bilder

Die Auseinandersetzung mit Sprache ist seit Beginn des 20. Jahrhunderts ein zentrales Thema der Kunst. Um 1910 werden Buchstaben, Wörter, Wortfetzen und Ausrisse aus Tageszeitungen zu eigenwertigen Bildelementen. Die Schrift ist nicht mehr kommentierendes Beiwerk, sondern selbst Hauptakteur. Nach welchen Regeln aber entstehen diese Worte, nach welchen Gesetzen funktionieren Sätze, in welcher Systematik ist Sprache organisiert? Konsequent macht Thomas Locher seit den frühen 1980er Jahren solche Fragestellungen zum Thema. Sprache selbst, macht Locher deutlich, basiert auf ihren eingeschriebenen Macht- und Ordnungssystemen. Macht man diese sichtbar, erklärt man Funktionsweisen in der Gesellschaft.

Seit 30 Jahren an der Spitze

Seit fast 30 Jahren zählt Locher zur Spitze des deutschen Kunstgeschehens. Auch deshalb, weil Locher wohl seinem Generalthema treu bleibt, sich diesem aber in immer neuen und nicht selten gegensätzlichen Äußerungsformen nähert. So überrascht er 2002/2003 in der Auseinandersetzung mit dem Grundgesetztext mit großformatigen Werken – seinerzeit ebenfalls bei Hauff vorgestellt – , die eine neue Lust am direkt spürbaren subjektiven Impuls verraten.

2012 dann präsentiert Locher im Kunstpalais Erlangen in der Auseinandersetzung mit der europäischen Finanzkrise und der sich damit verbindenden Begriffskaskade in der von Claudia Emmert erarbeiteten Ausstellung „Parcours“ unter anderem Arbeiten, auf denen mit Farbbeuteln beworfene Zitate aus dem „Kapital“ von Karl Marx zu lesen sind. Lochers Fragenpanorama ist konkret: Was ist gesetzt, was bleibt, was verwischt, was wird verwischt?

„Wie die Ökonomie einen Überschuss an Waren, Dingen und Energien produziert“, sagt Locher, „produziert die Sprache einen Überschuss an signifikanten Bedeutungen, der möglicherweise auch ohne Bedeutung ist, der nicht mehr in Tauschverhältnisse eingespeist werden kann, der wie ein Rest übrig bleibt.“

In der Dichte des Dazwischen

Und nun? Entführt uns Locher, zuletzt in Kopenhagen lehrend und von Mitte April an in eigenwilliger Umkehrung der Erwartungen an diesen Ort als Rektor der Kunsthochschule in Leipzig tätig, neuerlich in die Dichte des Dazwischen. „Dead Letters. Living Words. Dying Metaphors. graft, press, hang“ heißt in klassischer Konzept-Ankündigung die Schau. Zu sehen ist genau dies: die Veränderung von Zeichen und Buchstaben im Pfropfen, Drücken und Hängen.

Folgerichtig taucht in diesem Feld die vormalige Hochschule für Gestaltung in Ulm auf, und gerade, als wolle Locher kein Spiel ohne Ernst gelten lassen, antwortet der HfG-Hommage „Play“ in der Reihe „Hang“ scheinbar eine pure Buchstaben-Kombinatorik. Im Südwesten wird man sich hierbei an die 1960er Jahre erinnern und hoffentlich einen Pfad eröffnen, sich nicht nur dem Schaffen Josua Reicherts neu zu nähern.

Blick ins Weltall

Locher aber treibt die Kombinatorik in andere Richtungen, in buchstäblich andere Weiten. Hinter seinen „Hang“-Buchstaben – die zugleich die Ebene des (Farb-)Klangs in das Werk einführen – lauert, wartet, lockt mitunter nicht weniger als das Weltall. Ein Verweis, den Locher folgerichtig in kleineren Papierarbeiten buchstäblich in der Nahaufnahme studiert.