Der Architekturfotograf Wilfried Dechau ist bevorzugt auf Baustellen unterwegs. Derzeit plant er eine Serie mit dem Arbeitstitel „Stuttgart reißt sich ab“. Foto: Wilfried Dechau

Der Architekturfotograf, ehemalige Chefredakteur und Buchautor Wilfried Dechau hat seine Galerie „f75“ in der Filderstraße 75 am Marienplatz geschlossen. Er widmet sich nun nur noch der eigenen Fotografie.

S-Süd - Sägeblätter schärfen ist nicht gerade ein Traumjob – für ungefähr 50 Pfennig die Stunde erst recht nicht. Wilfried Dechau war das egal. Er brauchte Geld. Einen Sommer lang hat er als Achtjähriger „die Kinderarbeit“ in der elterlichen Schreinerei in Kauf genommen. Schließlich hatte er ein Ziel vor Augen: Er wollte endlich seine altmodische Klappkamera gegen eine neue austauschen. Fotografieren war seine Leidenschaft, seit er fünf Jahre alt war. Dafür schuftete er wochenlang und sparte. Am Ende des Sommers hatte er die 59 Mark für die Kamera „Dacora Dignette“ in der Tasche. Seiner Karriere als Fotograf stand damit nichts mehr im Wege.

Vom Chefredakteur zum Architekturfotograf

Der gebürtige Lübecker wählte zunächst jedoch einen bodenständigen Beruf und wurde Ingenieur. In Braunschweig studierte er Architektur, war danach dort an der Universität als Assistent tätig. Gebäude, Häuser und Baustellen waren seine zweite Leidenschaft. Nach Stuttgart verschlug ihn dann eine Stelle als Redakteur bei der Architekturzeitschrift „db deutsche Bauzeitung“, erzählt der 71-Jährige in seiner Galerie „f75“ an der Filderstraße 75 am Marienplatz.

Knapp 25 Jahre war Dechau dort – zuletzt 16 Jahre als Chefredakteur – als die Zeitschrift von der Konradin Mediengruppe übernommen wurde. Weil er sich selbst nicht als Chefredakteur sah, der gleichzeitig auch Anzeigen akquiriert, ließ er sich kündigen. „Als alter Knacker habe ich mich damals aber auch noch nicht gefühlt“, erzählt Dechau. „Junge, jetzt mach mal was“, habe er sich deshalb selbst gesagt.

Und da war ja noch die alte Leidenschaft für die Architekturfotografie, die ihn zwar Zeit seines Berufslebens immer begleitet hat, der er sich aber doch nie ausschließlich zuwenden konnte. Erst knapp 50 Jahre nach dem Kauf seiner ersten Kamera machte er deshalb mit 62 Jahren sein Hobby zu einem Erwerbsberuf. „Den Schuss vor den Bug habe ich dafür wohl gebraucht“, meint er heute, während er in seiner Galerie immer wieder auf und ab läuft. Still sitzen ist nicht so seine Sache. Als Frührentner wäre er deshalb wohl auch eher ungeeignet gewesen. Dafür hat er auch zu viele Interessen; zu viel treibt ihn um. In seinen Erzählungen schweift er gern immer wieder ab, spricht von befreundeten und geschätzten Fotografen, sucht gleichzeitig nach Ausstellungsunterlagen von seiner Galerie und kritisiert nebenbei noch so manche stadtplanerische Entscheidung in der schwäbischen Landeshauptstadt wie zum Beispiel das Milaneo und das Gerber. „Das war kein Ruhmesblatt für Stuttgart.“

Und dann erzählt er wieder von seiner Zeit als Chefredakteur. Immer habe er seine eigenen Projekte behalten, sagt Dechau. Selbstverständlich hat er auch stets die Fotos zu seinen Texten selbst geschossen. Denn: „Man muss auf einer Baustelle die Dinge anfassen, angucken, dort aufs Klo gehen, um richtig darüber schreiben zu können.“ Da habe er auch gleich die Bilder gemacht – um einen Blick für ein Gebäude zu haben.

Plötzlich arbeitslos, tat Dechau deshalb das, was er schon immer gemacht hatte, er fotografierte Architektur und Baustellen. Seine erste Reise führte in die Schweiz nach Graubünden. Dort begleitet er den Bau einer Fußgänger-Hängebrücke des Bauingenieurs Jörg Conzett über mehrere Wochen. Jeden Schritt dokumentierte er, beobachtete die Bauarbeiter bei ihrer Arbeit und ging nachts noch einmal über die Baustelle, um die täglichen Fortschritte festzuhalten. Entstanden ist daraus das Buch „Traversinersteg“, welches im Jahr 2006 sogar auf der Auswahlliste für den „Deutschen Fotobuchpreis“ war. 16 Fotobücher über Architektur und Projekte hat Dechau insgesamt verfasst; mehrere Preise hat er während seiner Berufslaufbahn erhalten.

Die Galerie ist inzwischen geschlossen

Fünf Jahre hat Dechau zusätzlich im Stuttgarter Süden seine Fotogalerie „f75“ betrieben. Letzte Woche hat er dort seine Pforten geschlossen und die Räume verkauft. Finanzielle Gründe gibt er dafür an. Aber auch andere: „Ich bin jetzt 70 Jahre alt. Ewig Zeit habe ich nicht mehr“, sagt er und fügt hinzu: „Ich möchte nur noch selbst fotografieren.“ Baustellen in Stuttgart hat er auf dem Programm. Der Arbeitstitel: „Stuttgart reißt sich ab“.

Die „Dacora Dignette“ ist inzwischen vermutlich längst im Museum. Heute fotografiert Dechau mit moderneren Geräten. Der Sommer in der Schreinerei hat sich aber wohl definitiv gelohnt.