Psychiater Borwin Bandelow über Angst. Klicken Sie sich durch unsere Galerie der Phobien.
Stuttgart - Alles kann fürchterlich sein. Was nicht bedrohlich ist, denn nicht alle Phobien müssen auch behandelt werden, sagt Professor Borwin Bandelow. Der Psychiater und international renommierte Experte erforscht an der Universität Göttingen unser unsicheres Innenleben.
Herr Bandelow, in Vechta haben Schüler einer Lehrerin Hasen auf die Tafel gemalt. Sie hat geklagt, weil sie sich gemobbt fühlt, schließlich hätten die Schüler von ihrer Hasenphobie gewusst. Muss der Begriff Angsthase neu definiert werden?
Das ist ein kurioser Fall. Natürlich kann man vor allem Angst haben - dass zum Beispiel die Erdnussbutter am Gaumen kleben bleibt, die sogenannte Arachibutyrophobie. Aber normalerweise sind die Objekte von solchen einfachen Phobien sehr stereotyp, die Angst vor Wasser und vor der Dunkelheit gehören dazu.
Im konkreten Fall handelte es sich um keinen echten Hasen. Kann auch ein Abbild die gleiche Angstreaktion im Gehirn auslösen?
Bei den Hasen bin ich etwas skeptisch. Aber im Kino wurde neulich auf der Leinwand eine Spinne in Großaufnahme gezeigt. Der ganze Saal hat geschrien, obwohl sie nicht real war. Das zeigt, dass unser Angstsystem sehr primitiv ist.
Weshalb?
Dieses Warnsystem stammt aus unserer Höhlenmenschenzeit. Früher konnten Spinnenbisse den Tod bedeuten. Wer Angst hatte, konnte sich schützen und fortpflanzen. Heute haben laut Umfragen 48 Prozent aller Deutschen eine Spinnenphobie, obwohl diese Tiere keine Gefahr mehr bedeuten. Phobien haben wir häufig vor Dingen, die vor langer Zeit einmal gefährlich waren, aber heute nicht notwendigerweise mehr sind.
Könnte es demnach in zehntausend Jahren Steckdosenphobien geben?
Das ist ein gutes Beispiel. Jeder hat mal eine gewischt bekommen, dennoch entwickelt man keine Phobie, sondern lediglich Vorsicht.
"Man muss sich der Gefahr aussetzen"
Sind ängstliche Menschen eigentlich klüger?
Nein, diese primitiven Ängste sind ja nicht durch unsere Intelligenz zu beeinflussen. Das Angstsystem hat den Vorrang vor dem vernünftigen Gehirn, weil es ein Überlebenssystem ist.
Was kann man dann gegen Ängste überhaupt tun?
Mit Reden kommt man gegen sie nicht an. Man muss sich der Gefahr aussetzen - und das möglichst häufig. Neulich musste ich mir bei einer Fernsehsendung eine Vogelspinne auf den Arm setzen, obwohl ich mich vor Spinnen fürchte. Das hat mich extrem viel Mut gekostet. Aber seitdem darf mich jede Spinne besuchen.
Welche Fälle behandeln Sie selbst?
Fast niemand, der in meine Praxis kommt, hat eine einfache Phobie. Wer würde schon wegen einer Spinnenfurcht zum Arzt gehen? Die häufigsten Fälle sind Panikstörungen, häufig verbunden mit der Angst in Menschenmengen. Laut Untersuchungen haben übrigens 18,1 Prozent aller Menschen die vergangenen zwölf Monate Ängste gehabt. Da sind aber auch einfache Phobien darunter. Die behandlungsbedürftigen Fälle machen zwölf Prozent aus.
Das ist trotzdem eine hohe Zahl. Wie erklären Sie sich das?
Weil kein Mensch angstfrei ist und die Übergänge zwischen normaler und unrealistischer Angst fließend sind. Aber keine Angst: Die Zahl der Phobien ist in den vergangenen Jahrzehnten nicht gestiegen.
Zurück zum Fall der Lehrerin. Wenn sie tatsächlich unter einer Hasenphobie leidet - haben ihr dann die Schüler eigentlich nicht geholfen, sich ihrer Angst zu stellen?
Den Prozess dürfte sie verlieren. Denn das, was die Schüler gemacht haben, war eigentlich ein Therapieversuch, eine Konfrontationsstrategie. Eigentlich müsste sie den Schülern dafür Geld zahlen.