Musicalstar Kevin Tarte und Moderatorin Frl. Wommy Wonder am Freitagabend bei der CSD-Gala im Friedrichsbau Foto: Lichtgut - Oliver Willikonsky

Die Ehe für alle ist widernatürlich? „So wie ein Herzschrittmacher“, meint Frl. Wommy Wonder. Die Travestie-Lady hat im Friedrichsbau eine schwungvolle und lustige Gala zum Stuttgarter CSD moderiert. Prälatin Gabriele Arnold sang ein Loblied auf ihre schwulen Freunde.

Stuttgart - Eine alte Fotografenweisheit lautet, dass man die Perspektiven des Lebens erst dann erkennt, wenn man sich mal auf den Boden setzt. Dieser Lehrspruch ruft zum Wechsel von Sichtweisen auf. Wer immer nur stehend fotografiert, wird vieles nicht sehen, was sich von unten, von oben oder von der Seite entdecken lässt.

„Perspektivwechsel“ – dieses Motto haben die Veranstalter des Christopher Street Day (CSD) in Stuttgart für dieses Jahr gewählt. Die Feier- und Protesttage der gleichgeschlechtlich Liebenden oder der immer noch nach Liebe suchenden Menschen sind am Freitagabend mit Glamour und bombastischem Sound in die heiße Phase gestartet.

Wie sich die Zeiten ändern und wie es der Ordnungsmacht gelungen ist, die Perspektive zu wechseln, hat sich bei der CSD-Gala im Friedrichsbau Varieté mit dem Auftritt des Landespolizeiorchesters gezeigt. Einst waren Polizisten gefürchtet, weil sie Homosexuelle verfolgten. Heute ist ihnen Beifall der Regenbogen-Community sicher.

Auf die Ehe für alle stoßen alle an

„Sind die nicht geil?!“, rief Musicalstar Kevin Tarte, der Gänsehaut mit dem Hit „I am what i am“ erzeugte. Das Landespolizeiorchester ist neben dem Heeresmusikkorps Ulm das einzige professionelle Blasorchester in Baden-Württemberg. Mit dieser kraftvollen Begleitung sorgte Tarte mit präziser Stimme für Begeisterungsstürme.

Das vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier eben erst unterzeichnete Gesetz zur Ehe für alle war ein beherrschendes Thema im Friedrichsbau. CSD-Sprecher Christoph Michl rief dazu auf, gemeinsam darauf anzustoßen. Alle standen auf und taten, was gewünscht. Die Verabschiedung des Gesetzes hätte er sich „würdevoller“ gewünscht. Michl forderte, nach dem Feiern und nach der Freude über das Erreichte mit dem Demonstrieren zu beginnen. Dass noch nicht alles erreicht sei, zeige nicht zuletzt der Umstand, dass ein katholischer Schirmherr des CSD noch immer undenkbar sei.

Beim Einkaufen, erzählte Moderatorin Frl. Wommy Wonder, habe ihr ein älterer Mann gesagt, die Ehe für alle sei „widernatürlich“. Darauf habe sie erwidert: „Ihr Herzschrittmacher auch.“ Was Katholiken unter Lebensführung verstehen, scherzte die Travestie-Lady, „pfeifen in Regensburg die Domspatzen von den Dächern“.

Eine lesbische Hebamme brachte ihren Sohn zur Welt

Prälatin Gabriele Arnold, die Schirmfrau des Stuttgarter CSD, die mit Bürgermeister Werner Wölfle das Eröffnungsband bei der Gala durchschnitten hat, sagte in ihrer Rede, ohne ihre schwulen Freunde und lesbischen Freundinnen sei ihr Leben „ärmer“. Sie bedankte sich unter anderem bei der lesbischischen Hebamme, die ihren zweiten Sohn zu Welt gebracht habe, sowie bei ihrem schwulen Freund Klaus, der sie regelmäßig ins Theater mitnehme, „damit ich nicht verblöde“. Blumen überreichte die Prälatin im Scheinwerferlicht ihrer Sekretärin, die seit sechs Wochen, sei ihre Schirmfrauschaft bekannt ist, eine Flut an Protestanrufen und Protestmails zu bändigen habe.

Die Reden gingen in donnernde Musik des Landespolizeiorchesters über. Bei einer CSD-Gala darf’s auch mal drunter und drüber gehen, also auch unter die Gürtelline. Die Kölner Comedienne Tahnee tat dies, indem sie Auszüge aus ihrem Programm „#geschicktzerfickt“ vortrug. Schonungslos klärt die Moderatorin der TV-Sendung „Nightwash“ Fragen wie „Kann eine echte Lesbe lange Haaren und Make-up tragen?“

Eric Gauthier als Überraschungsgast auf der Bühne

Außerdem wirkten Poetry-Slammer Sven Hensel mit und Chris Kolonko als Marlene Dietrich. Zwei Tänzer von Gauthier Dance führten das „Ballett 102“ auf, eine Tanzposen-Blödelei von Choreograf Eric Gauthier, der ebenfalls auf der Bühne erschien. Die Tänzer liegen in dem Stück schon mal auf dem Boden. Aus ungewohnter Perspektive sieht man halt oft am besten.