Manfred Birk (links) und Kai Buschmann finden es problematisch, dass im neuen G9 viele Hauptfächer über Jahre hinweg nur noch mit drei Wochenstunden unterrichtet werden. Foto: Lichtgut

Ab dem kommenden Schuljahr kehrt Baden-Württemberg zurück zum neunjährigen Gymnasium. Zwei bekannte Rektoren aus Stuttgart sehen da einige Schwachstellen.

Nach den Sommerferien startet in Baden-Württemberg das neue neunjährige Gymnasium. Das erklärte Ziel ist es, dass Kinder und Jugendliche vor allem in der Unter- und Mittelstufe entlastet werden und weniger Nachmittagsunterricht haben. Doch das neue G9 soll nicht einfach nur ein gestrecktes G8 werden, sondern dank verschiedener Innovationselemente moderner und zeitgemäßer.

 

„Uns ist wichtig, dass die Schulen im kommenden Schuljahr gut und solide mit ,G9 neu’ starten“, schreibt das Kultusministerium in einer Antwort auf eine Anfrage unserer Redaktion. Bei der Konzeptentwicklung seien neben den Verbänden, Gremien und der Wissenschaft auch viele Schulpraktikerinnen und -praktiker eingebunden worden – „gerade auch zur Frage, was die Schulen benötigen, um das neue G9 gut implementieren zu können“.

Trotzdem gibt es viel Kritik – und zwar auch von Schulpraktikern. Kai Buschmann, der scheidende Rektor der Waldschule Degerloch und Sprecher der Privatschulen in Stuttgart, räumte in einem Interview mit unserer Zeitung ein: „Ich sehe die Stundentafel beim neuen G9 sehr kritisch.“

Der Staat habe in den Hauptfächern einfach eine Stundenstreckung gemacht. Man habe ein Schuljahr mehr, aber es gebe kein zusätzliches Geld, um ein ganzes Jahr mehr Unterricht zu machen. Also seien Mathe, Deutsch, Englisch, Französisch und die Profilfächer ab Klasse acht sehr häufig von vierstündigen zu dreistündigen Fächern in der Woche geworden. „Durch viele Ausfallzeiten werden die Fächer zukünftig dann nur zweistündig in der Woche unterrichtet. Das wird man in Mathe, Deutsch und Englisch garantiert merken nach ein paar Jahren.“

Drei Wochenstunden in der Fremdsprache seien „nicht günstig“

Auch Manfred Birk, Rektor des Dillmann-Gymnasiums und geschäftsführender Rektor aller Gymnasien in Stuttgart, findet das problematisch. „Für eine neu zu lernende Fremdsprache zum Beispiel ist das nicht günstig“, sagt der Pädagoge. Allerdings seien bei drei Wochenstunden auch nur noch drei Klassenarbeiten vorgeschrieben, was den Korrekturaufwand für die Lehrkräfte reduziere. „Das hat für ein Aufatmen gesorgt“, räumt Birk ein.

Bei drei Wochenstunden sind auch nur noch drei Klassenarbeiten vorgeschrieben, was den Korrekturaufwand für die Lehrkräfte reduziert. Foto: picture alliance / dpa

Besonders kritisch sieht Manfred Birk, dass die Gestaltungsfreiheit der Gymnasien mit dem neuen G9 vor allem beim Thema Poolstunden beschnitten werde. Denn viele Poolstunden stehen den Schulen nicht mehr zur freien Verfügung – vor allem dann nicht, wenn diese ein besonderes Profil haben, also zum Beispiel einen bilingualen Zug. Früher hätten viele Schulen Poolstunden vor allem für ihr Sozialcurriculum verwendet. „Es ist schade, wenn das jetzt verloren geht“, sagt Birk.

Der Wunsch vieler Eltern in der G8-G9-Debatte war es, dass die Kinder weniger Wochenstunden haben und entlastet werden. Künftig gibt es in der Unterstufe kaum noch Nachmittagsunterricht. Aus Birks Sicht passt das nicht mehr in die Zeit, viele berufstätige Eltern wünschten sich, dass ihre Kinder auch nachmittags versorgt seien. Seiner Meinung nach habe an dieser Stelle „die gesellschaftliche Entwicklung die G9-Diskussion überholt“.

„Die Rückkehr zu G9 ist eine politische Fehlentscheidung“

Als scheidender Rektor an einer Privatschule findet Kai Buschmann deutliche Worte: „Da hat sich die Schulpolitik aus finanziellen Gründen ein Ei gelegt. Die Rückkehr zu G9 ist eine politische Fehlentscheidung aufgrund eines nicht zu Ende gedachten Elterndrucks.“ Die Kosten, die ab 2030 doch am Gymnasium entstehen, hätten an anderen Stellen des Bildungssystems mehr Effekt gehabt, zum Beispiel in den Grundschulen oder im beruflichen Schulsystem.