G8-Schüler sind schon ein Jahr früher aus der Schule draußen - was nicht heißt, dass sie weniger gut sind als G9-Schüler Foto: dpa

Ob Schüler nach acht oder neun Jahren Gymnasium Abitur machen, wirkt sich auf ihre Leistungen kaum aus, sagt eine neue Studie. Unterschiede gibt es aber in puncto Belastung.

Stuttgart - Die Mathe-Noten der Schüler, die das achtjährige Gymnasium (G 8) besucht haben, sind kaum schlechter als die derer, die noch neun Jahre Zeit bis zur Reifeprüfung (G 9) hatten. Das geht aus einer Studie der Universität Tübingen hervor, die Kultusminister Andreas Stoch (SPD) und der Tübinger Erziehungswissenschaftler Ulrich Trautwein am Montag in Stuttgart vorstellten.

Auch in den Fächern Physik und Biologie sind die Leistungsunterschiede relativ gering. Auffällig hingegen sind sie in Englisch, dort schneiden die G-9-Absolventen deutlich besser ab.

Seit 2004 weniger Fremdsprachenunterricht

„Das dürfte vor allem damit zusammenhängen, dass Gymnasiasten seit der Verkürzung der Gymnasialzeit im Jahr 2004 weniger Fremdsprachenunterricht erhalten“, sagte Minister Stoch. Bis dahin erhielten sie bis zur Klasse zwölf insgesamt 48 Wochenstunden in Englisch und Französisch, jetzt sind es bis zu Beginn des Kurssystems in der elften Klasse noch 40 Stunden. Die damalige CDU-FDP-Regierung rechtfertigte die Kürzungen seinerzeit auch mit der Einführung von Englisch oder Französisch ab Klasse eins. Trautwein sieht die Leistungsunterschiede in Englisch gelassen. Dafür gewännen die G-8-Schüler ein ganzes Jahr Lebenszeit, sagte er. Wer diese Zeit für einen Auslandsaufenthalt nutze, werde mögliche Defizite schnell aufholen.

Der Studie zufolge hat die Verkürzung der Gymnasialzeit auch kaum Auswirkungen auf das Freizeitverhalten der Schüler. Festgestellt wurde allerdings, dass Schüler im achtjährigen Gymnasium häufiger über Stress, Kopf- und Bauchschmerzen klagen. Dies sei überraschend, weil sie in den letzten beiden Jahren die gleichen Anforderungen wie die G-9-Schüler hatten, sagte Stoch. Möglicherweise mache sich hier bemerkbar, dass es die Vorbereitungsphase auf die Kursstufe – früher die Klasse elf – in der bisherigen Form nicht mehr gebe.

Zusätzliche Stunden für die individuelle Förderung

Weitere G-9-Züge einzuführen, halten Stoch und Trautwein für den falschen Weg. Um die Schüler zu entlasten, sollten die Gymnasiasten noch besser unterstützt werden, sagte Stoch. Bereits 2012 und 2014 habe das Land zusätzliche Stunden für die individuelle Förderung in der Unterstufe bereitgestellt. Für die Mittelstufe plant er ein Coaching-System, in dem jeder Schüler von einem Lehrer begleitet, beraten und bei Bedarf unterstützt. wird. Auch die Eingangsphase in die Oberstufe soll neu gestaltet werden, „damit die Schüler die Kursstufe nicht als Bruch empfinden, sondern optimal vorbereitet den Weg zum Abitur antreten“.

An den Schulen wie auch in der Politik und der Wirtschaft gehen die Meinungen weit auseinander. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) lehnt weitere neunjährige Züge ab und fordert mehr Un- terstützung für die achtjährigen Gymnasien.

„Kleinere Klassen und Investitionen in die Schul- und Unterrichtsentwicklung dür-fen nicht auf die ferne Zukunft verschoben werden“, sagte GEW-Landeschefin Doro Moritz. „Wir brauchen keine teuren Parallelstrukturen am Gymnasium. Das gut ausgebaute Angebot an beruflichen Gymnasien bietet Absolventen mit mittlerem Abschluss eine hervorragende Möglichkeit, in neun Jahren die Hochschulreife zu erreichen“, erklärte Stefan Küpper, Geschäftsführer Bildung der Arbeitgeber Baden-Württemberg. „Die Beruflichen Gymnasien sowie die Berufskollegs und Berufsoberschulen sind im Verbund mit den Werkrealschulen, Realschulen und Gemeinschaftsschulen (GMS) das neunjährige Gymnasium“, erklärte Herbert Huber, Landesvorsitzender des Berufsschullehrerverbandes.

Ausbau der Ganztagsschule als ein Baustein

Sandra Boser, bildungspolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, setzt auf den Ausbau der Ganztagsschule an Gymnasien, um die Schüler besser zu unterstützen und zu entlasten. „Dass dies gelingt, können wir bereits bei einigen Schulen mit Ganztagsangeboten feststellen.“ Die Studie belege, dass die Teilrückkehr zu G 9 an 44 Gymnasien „eine sinnentleerte Veranstaltung war“, sagte der FDP-Bildungsexperte Timm Kern. Er bringe keine Verbesserungen und verunsichere nur.

Das sieht der Philologenverband, der viele Gymnasiallehrer vertritt, anders. Landeschef Bernd Saur fordert, dass Schüler die Wahl zwischen G 8 und G 9 haben. „Doch Kultusminister Stoch stellt seine eigenen strukturpolitischen Ambitionen über den Wunsch von Eltern und Schülern“, kritisierte er. Wahlfreiheit fordern auch der Landeselternbeirat und der Städtetag. Für den bildungspolitischen Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Stefan Fulst-Blei, ist das letzte Wort ebenfalls noch nicht gesprochen. „Wenn uns massenhaft der Wunsch nach Rückkehr zum G 9 rückgemeldet wird, dann basiert dies ja nicht auf eingebildeten, sondern auf erlebten Missständen im G8.“