Beim G20-Gipfel in Hamburg wurde 32 Journalisten die Akkreditierung entzogen, zum Teil unrechtmäßig. Zwölf davon zeigen nun ihre Arbeiten in Berlin und machen so auf bedrohte Pressefreiheit und Datenschutz aufmerksam.
Berlin - Ein junger Mann in Jeans und einem Fußballtrikot, mit einer Zigarette im Mund, hockt vor einem abgebrannten BMW und macht ein Selfie mit seinem Smartphone. SEK-Beamte in voller Ausrüstung marschieren durch das Hamburger Schanzenviertel. Hinter einer zerbrochenen Glasscheibe plündern Vermummte einen Supermarkt.
Solche oder ähnliche Bilder gab es in diesem Sommer aus Deutschland zu sehen. In den Augen des Publikums haben die gewalttätigen Ausschreitungen zwischen linksradikalen Protestierenden und der Polizei den G20-Wirtschaftsgipfel wohl mehr geprägt, als der Gipfel selbst. Doch an diesem Abend drei Monate später in Berlin sind es weniger die Menschen auf den Bildern, die diese Aufnahmen besonders machen – vielmehr sind es ihre Schöpfer.
Keine Begründung vor Ort
„Die Diskreditierten“ – so heißt eine Ausstellung, die am Dienstag im Berliner Lokal „La Marmite“ in der Schützenstraße in Steglitz eröffnet wurde und bis zum 12. Dezember zu sehen ist. An den Wänden über warm beleuchteten Holztischen und zwischen Weinregalen brennen Straßen und zischen Wasserwerfer. Das wirkt härter auf den Betrachter, als wenn er es wie üblich in einer Galerie sehen würde. Zwölf Journalisten – elf Fotografen und eine Textautorin – zeigen hier ihre Arbeit von jenem Gipfel, auf dem ihnen die offiziell erteilte Journalisten-Akkreditierung kurzfristig wieder entzogen wurde.
Eine Akkreditierung ist ein geläufiges Mittel im Journalismus: eine Zugangserlaubnis zu vor der Öffentlichkeit eigentlich geschützten Bereichen, die bestätigt, dass der Journalist im Auftrag eines Mediums arbeitet. In Hamburg tauchte allerdings während des Gipfels unter den Beamten plötzlich eine Liste auf: Journalisten wurden kontrolliert, ihre Namen mit jenen auf der Liste verglichen. Gab es Übereinstimmung, verloren sie ihre Akkreditierungspässe und damit eigentlich ihre Arbeitsmöglichkeit. „Es würden Erkenntnisse über mich vorliegen, hieß die Begründung“, berichtet in Berlin der Stuttgarter Fotograf Alfred Denzinger. Die Beamten hätten ihn als „Sicherheitsrisiko“ beschrieben und für weitere Information an den Bundeskriminalamt (BKA) verwiesen.
Behörden kommunizieren „uneinheitlich“ miteinander
Ein Antrag beim BKA auf Information dauert mehrere Wochen. An Ende bekommt man eine Kopie seiner Akte – eine Liste von Ermittlungen, Strafverfahren und Straftaten, die das BKA über die Person gespeichert hat. Laut Gesetz ist das BKA dazu verpflichtet, Delikte nach gerichtlichen Freisprüchen aus seiner Datenbank zu löschen, ebenso alle Ermittlungen, in deren Verlauf festgestellt wurde, „dass der Betroffene die Tat nicht oder nicht rechtswidrig begangen hat“. Dabei ist das BKA auf die Staatsanwaltschaft angewiesen, welche über die Ausgänge von Verfahren informieren soll. Allerdings gab die Bundesregierung in der Zwischenzeit in einer Antwort auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linken zu, dass in der Praxis „ein uneinheitliches Meldeverfahren der Justizbehörden“ bestehe, „so dass die Polizei teilweise keine Kenntnis von der Beendigung des Verfahrens und deren Gründen erhält“. Bei dem Foto-Journalisten Björn Kietzmann etwa standen auf den ersten Blick sehr schwerwiegende Vorwurfe im Raum. Aus dem Jahr 2011 schlägt bei ihm die „Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion“ auf einer Demonstration zu Buche – nachweislich zu Unrecht. Ein anderer Fall stammt aus dem Jahr 2016. Damals hat Kietzmann Flüchtlinge in Griechenland begleitet und fotografiert. An der mazedonischen Grenze wurde er von der mazedonischen Polizei wegen „nicht regulären Grenzübergangs“ belangt. In seiner BKA-Akte heißt es, „dass 72 Personen, darunter Journalisten und Aktivisten verschiedener Staaten, am 14. 03. 2016 illegal über die griechisch-mazedonische Grenze . . . einreisten, hierunter Herr Kietzmann“. Ob ein Beamte, dem der Fall nicht näher vertraut ist, so verstehen kann, dass Kietzmann als Journalist beteiligt war, nicht als Aktivist? Das scheint sehr zweifelhaft.
Auch im Nachhinein diskreditiert
Wird eine Ermittlung oder das Verfahren aus anderen Gründen eingestellt (zum Beispiel mangels Beweisen), darf der Vorwurf aufgelistet bleiben, weil ja ein Restverdacht besteht. Doch auch hier lauern Fallstricke. Dem Stuttgarter Alfred Denzigner wurde in Hamburg der Eintrag zum Verhängnis, er habe 2011 bei einer Demonstration in Stuttgart gegen die radikal-katholische Piusbrüderschaft, die er als Fotograf dokumentierte, „Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Gemeinschädliche Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch und ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz“ begangen.
In einem Schreiben vom 2. Oktober an Denzingers Anwalt, das dieser Zeitung vorliegt, hat das BKA nun eingeräumt, dass Denzinger „lediglich der Hausfriedensbruch“ betreffe, der inzwischen eingestellt wurde. „Die weiteren Eintragungen betreffen Dritte“. Die Daten hat das BKA nun allerdings gelöscht, sodass ein Nachweis des Fehlers nicht mehr möglich ist. Und dies, obwohl Denzingers Anwalt in einem Schreiben vom 4. Oktober an das Landeskriminalamt Baden-Württemberg ausdrücklich der Löschung der Datensammlung widersprochen hat. So bleiben die Diskreditierten auch im Nachhinein von den Behörden diskreditiert.