Generalprobe am 1. Mai: Linke Demonstranten laufen sich für den G-20-Gipfel warm. Foto: dpa

Hamburg rüstet sich für den G-20-Gipfel. Sicherheitstechnisch ist das Treffen der Mächtigen für die Experten ein Albtraum. Und die linke Szene hat sich gut vorbereitet.

Hamburg - Die Schiffe der „Hanseboot 2017“ sind längst abtransportiert. Das Hamburger Ausstellungsgelände, überragt vom Messeturm, steht leer. Trotzdem schützt es die Polizei an diesem sonnigen Junitag mit einem Großaufgebot. Rund um die Uhr. In jeder Seitenstraße, vor jedem Eingang beziehen mehrere Mannschaftswagen Position, mindestens zwei Dutzend an der Zahl. Seit drei Monaten geht das so. Nichts soll dem Zufall überlassen werden an dem Ort, wo sich am 7. und 8. Juli die Mächtigen dieser Welt versammeln. „Wir rechnen mit Störaktionen“, sagt Ulf Wundrack, der Hamburger Polizeisprecher. Mehrere Polizeifahrzeuge sind schon in Flammen aufgegangen. Aufgeheizte Stimmung nennt man das wohl.

Die Anwoher fürchten das „Gefahrengebiet“

Nur einen Steinwurf vom Messegelände entfernt liegen das Schanzenviertel und die Universität – die beiden linken Brennpunkte im linken Hamburg. Kaum eine Wand oder Litfaßsäule, auf der nicht für eine der vielen Demonstrationen und Gegenveranstaltungen zum G-20-Gipfel geworben wird. Dass ausgerechnet in ihrer direkten Nachbarschaft die Vertreter der herrschenden kapitalistischen Weltordnung zusammensitzen und von einem massiven Polizeiaufgebot geschützt werden, kommt hier gar nicht gut an. Eine Rentnerin aus der Grindelallee will nicht so nah am „Gefahrengebiet“ wohnen, wie sie die Sperrzone rund um die Messe bezeichnet. Nicht nur der 68-Jährigen ist unklar, wie sie in den Gipfeltagen von A nach B kommen soll, wenn auch die Zufahrtswege zu Hotels abgeriegelt werden. Ihre Freundin, eine 43-jährige Hochschullehrerin, beklagt sich über „Polizeistaatsallüren“ der Beamten. „Ich finde das provozierend“, sagt auch der 21-jährige Peer, ein Krankenpfleger, zum Austragungsort des Gipfels: „Das schreit nach Ärger.“

Und so stellen sich alle auf diesen Ärger ein – jeder auf seine Weise. Im Polizeipräsidium der Hansestadt im Stadtteil Alsterdorf wird seit rund einem Jahr eine der größten Polizeioperationen der bundesrepublikanischen Geschichte vorbereitet. 15 000 Beamte sind dafür abgestellt, berichtet Wundrack, dazu 3000 Kollegen von der Bundespolizei. Ein Drittel aller Boote und Schiffe, mit denen die Sicherheitskräfte in Deutschland auf dem Wasser unterwegs sind, sollen Anfang Juli in der Stadt sein. Mit vielen Zehntausend Demonstranten, aufgerufen von Kirchen, Gewerkschaften, etablierten Nichtregierungsorganisationen und kleineren Vereinen, rechnen die Behörden. Einem internen Bericht des Landeskriminalamts zufolge werden davon etwa 8000 gewaltbereit sein. Das Polizeipräsidium selbst ist vorsorglich mit Nato-Draht umwickelt worden.

Die Demonstranten agitieren gegen den „Sozialkahlschlag“

Am Hauptbahnhof hat sich an diesem Tag eine kleine Probedemonstration versammelt – organisiert von den Studenten der Stadt, vorsorglich bewacht von fast so vielen Polizisten wie Teilnehmern. 14 000 Unterschriften dafür, die G-20-Gäste wieder auszuladen, werden am Ende der Prozession im Rathaus übergeben werden. Zuerst aber wird marschiert und agitiert. Gegen den Neoliberalismus, den „Sozialkahlschlag“, für Frieden und Abrüstung unter dem Dach der Vereinten Nationen. Eine UN-Konferenz bräuchte nach Ansicht der Demonstranten auch keinen so großen Polizeischutz und kein vorläufiges innerstädtisches Demonstrationsverbot wie der Hamburger Gipfel: „Die G20 verhandeln über die Weiterentwicklung der Welt ohne demokratisches Mandat.“

Auf dem Lautsprecherwagen sitzt Golnar Sepehrnia. Die Anti-G-20-Aktivistin, die an der Uni den Protest mitorganisiert, glaubt nicht daran, dass Hamburg der Ort sein könnte, an dem Bundeskanzlerin Angela Merkel so umstrittenen Staatsmännern wie Donald Trump, Wladimir Putin oder Recep Tayyip Erdogan Zugeständnisse im Sinne einer gerechteren Globalisierung abringt. Natürlich, so Sephernia, „erleichtert jemand wie Trump die Mobilisierung für den Gipfel, aber man sollte das nicht zu sehr personalisieren.“ Der Fehler steckt ihrer Ansicht nach im System, das die Kanzlerin ja keineswegs in Frage stellt. „Deutschland ist doch auch nicht aus Zucker“, sagt Golnar Sepehrnia, „die deutsche Regierung hat Griechenland in ein Armenhaus verwandelt, und in Hamburg lebt jedes fünfte Kind von Hartz IV.“

Willkommen in der Hölle

Vorbei ist es mit der friedlich-fröhlichen Stimmung, als der Protestzug am Jungfernstieg ankommt und wie aus dem Nichts mehrere Dutzend Polizisten in voller Straßenschlachtmontur ihrem plötzlich vorgefahrenen Mannschaftswagen entsteigen. Was wie ein Vorgeschmack auf harte Auseinandersetzungen in der ersten Juliwoche wirkt, hat in diesem Fall einen ganz anderen Hintergrund: Unter den Demonstranten sind Kurden, die Fahnen mit verbotenen Symbolen der Arbeiterpartei PKK geschwenkt haben. Als sie diese wieder einrollen, rücken die schweren Einheiten ab. Und doch verstärkt die kleine Szene den Eindruck, dass es schon bald hoch hergehen könnte in Hamburg.

Willkommen in der Hölle: So lautet das reißerische Begrüßungsmotto in Richtung der G-20-Teilnehmer, mit dem die autonome Szene für ihren Marsch durch St. Pauli am Vorabend des Gipfels wirbt. Rund um die Rote Flora im Schanzenviertel hängt das Plakat besonders oft. Das seit 1989 besetzte Theater, Symbol und Zentrum des linken Widerstands in Hamburg, wirkt von außen professionell vorbereitet. In großen Leuchtbuchstaben steht „No G20“ auf dem Dach, ein Transparent verdammt „Erdogans türkischen Faschismus“, und quer über dem verbarrikadierten Theaterhaupteingang ist auf Englisch zu lesen, dass der Kapitalismus ohnehin enden wird: „Du entscheidest, wann.“ Vor dem Gipfelprotest soll aber erst noch gefeiert werden, wie ein auf die Aufgangstreppe gekritzelter Spruch ankündigt: „Heute tanz‘ ich, morgen G zwanzich.“

Die Gipfelgegner wollen auch den Hafen lahmlegen

Am Abend spielt in der Roten Flora eine Band. Acht Euro Eintritt. Die Lust der Konzertveranstalter mit der bürgerlichen Presse zu reden, hält sich freilich in sehr engen Grenzen. Was zu sagen ist, steht aus ihrer Sicht im Internet. Dass der Kapitalismus immer heftiger wütet, vielen Menschen Abschottung und Ausgrenzung attraktiv erscheinen lässt, einen globalen Rechtsruck ausgelöst hat und deshalb überwunden werden muss. Zitat: „Wir wollen weder einen neoliberalen noch einen national beziehungsweise sozialdemokratisch verwalteten Kapitalismus, sondern gar keinen.“ Die Autonomen wollen deshalb nicht nur den Ablauf des politischen Gipfels stören, wo es nur geht, sondern haben auch den Hamburger Hafen als Drehscheibe des internationalen Warenverkehrs zum Ziel der Attacken erklärt. Ihr Motto lautet: „Logistik angreifen.“

Für diesen Fall wird auf Seiten der Sicherheitskräfte ständig geübt. Gerade erst mit Polizeitauchern im Hafenbecken. Und natürlich mit Motorrädern unterwegs in der Stadt. „Wir proben schon seit Wochen Schleusungen im Echtbetrieb“, erzählt Polizeisprecher Ulf Wundrack in seinem Büro, „das ist unsere größte Herausforderung.“ Die Limousinenkonvois der Staats- und Regierungschefs müssen von ihren Hotels zum Messegelände und wieder zurück durch die Stadt geschleust werden – und schließlich auch zur Elbphilharmonie, wohin Gastgeberin Angela Merkel zum Konzert eingeladen hat. Das sind lange Wege für die Politprominenz, auf denen die Demonstranten ihr größtes Störpotenzial entfalten wollen.

Ein „Aktionsprogramm“ soll die Szene fitmachen

In einem Hinterhof der Hermannstraße im Berliner Bezirk Neukölln werden an einem Sonntagnachmittag entsprechende Sitzblockaden geprobt. Schließlich bleibt die Hamburger Szene nicht unter sich, der G-20-Protest wird national und international sein. Angeboten von der „Interventionistischen Linken“ nehmen rund 25 junge Männer und Frauen an einem „Aktionstraining“ teil, das sie fit machen soll für Hamburg. Ein paar aufblasbare Gummidelfine spielen dabei eine Rolle, und ein Teil der Truppe mimt eine Reihe von Polizisten, während die anderen sitzen – mehr aber soll der Gast nicht sehen. Dafür bitten ihn zwei Teilnehmerinnen, nachdem überprüft ist, ob er auch wirklich Journalist ist, zum Gespräch.

22 und 27 Jahre sind sie alt, eine von ihnen hat für die Hamburger Tage extra freigenommen. Das Training dient ihnen auch zur Selbstvergewisserung. Welche Rechte haben sie als Demonstranten, wenn sie am Gipfelfreitag „Aktionen des zivilen Ungehorsams“ durchführen, also nicht gewalttätig werden, sich aber vielleicht irgendwo anketten, um Zufahrtswege zu blockieren? Zumindest an die Straßenverkehrsordnung wollen sie sich in Hamburg nicht halten. Empört ist die Szene darüber, dass in Polizeiberichten schon jetzt mögliche Verletzte und Festnahmen auftauchen. Im Berliner Hinterhofseminar wird deshalb darüber gesprochen, „wie wir uns selbst schützen können und mit unserer Angst vor rechtswidrigen Polizeiaktionen umgehen“. Die beiden jungen Berliner Frauen sehen es trotzdem irgendwie als ihre Pflicht an, in Hamburg Widerstand zu leisten gegen ein „System, das viele Menschen in Armut hält oder in den Tod treibt“.

Für Unterkunft und Verpflegung ist gesorgt – auch bei den Gegnern

In Hamburg selbst sind linke Logistiker vor allem damit beschäftigt, Übernachtungsmöglichkeiten für ihre anreisenden Gäste zu organisieren: Die großen Hotels sind, falls nicht ohnehin zu teuer, von insgesamt drei Dutzend politischen Großdelegationen belegt, auch wenn die Nobeladressen „Atlantic“ und „Vier Jahreszeiten“ dem US-Präsidenten Trump einen Korb gegeben haben. Große Protestcamps sind bisher behördlich untersagt, weshalb auf der Probedemo am Jungfernstieg auch zahlreiche Zelte zu sehen sind. Wie viele andere stellt auch jene Rentnerin, die nicht im Gefahrengebiet wohnen will, wegen des Bettennotstands sechs Schlafplätze zur Verfügung.

Die Aktivistin Golnar Sepehrnia ist stolz darauf, wie sich die Gipfelgegner ihrer Stadt selbst organisieren. Wie für Unterkunft und Verpflegung gesorgt ist und ein alternatives Medienzentrum in den Klubräumen des FC St. Pauli am Millerntor entsteht, mit der Erfahrung des Engagements für Flüchtlinge im Rücken. „Die Stadt wäre ohne diese Eigeninitiative untergegangen – das war eine gute Lernerfahrung, weil die Menschen jetzt wissen, dass sie keine Erlaubnis von oben brauchen, um sich selbst zu organisieren“, meint die Studentin: „Die Linke hier hat schon was drauf. “

Und so steuert Hamburg ziemlich zielsicher auf eine Konfrontation zu. Als Gipfelveranstalterin ist Angela Merkel am Montag eigens nach Hamburg gereist, um auf einer Vorkonferenz mit den großen Nichtregierungsorganisationen auch deren Anliegen zu hören und vielleicht ein wenig beschwichtigend zu wirken. Die Polizei der Hansestadt hat nicht weniger als 200 Beamte für die Kommunikation mit der Öffentlichkeit abgestellt, die in mobilen Teams auch in die Kieze ausschwärmen, um – wie Polizeisprecher Wundrack sagt – „die Stadt mit Informationen zu fluten“.

Aber ob das reicht, um die erhöhte Temperatur im angeblich so kühlen Norden wieder zu senken, scheint so kurz vor dem G-20-Gipfel zumindest fraglich. Die Zeichen in Hamburg stehen auf Sturm.