Zeichen des Protests gegen das Polizeiaufgabengesetz in der Cannstatter Kurve des VfB Stuttgart. Foto: dpa

Der Widerstand gegen das neue Polizeiaufgabengesetz der bayerischen Landesregierung ist über die Grenzen des Freistaats hinausgeschwappt. Sogar die Fußballfanclubs gehen bundesweit auf die Barrikaden – alle Kritiker fürchten eine Vorbildwirkung des Gesetzes.

Stuttgart - Eine Welle des Protestes schwappt gen Ende der Fußballsaison durch die deutschen Stadien. Eine Vielzahl von Fanclubs hat schon gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz (PAG) Stimmung gemacht, das der Polizei außergewöhnliche Eingriffsbefugnisse im Kampf gegen Terror und allgemeine Straftaten einräumt. „Widerstand! Nein zum Neuen PAG!“ war auch beim letzten Saisonheimspiel des VfB Stuttgart auf einem großen Spruchband in der Cannstatter Kurve zu lesen. An diesem Samstag gastiert der Club ausgerechnet in München. Mit weiteren Unmutsbotschaften ist dort zu rechnen.

Die plötzlich hochpolitisch gewordenen Fanclubs sorgen sich, dass sie künftig bei Auswärtsspielen in Bayern von dem Gesetz besonders tangiert sein könnten, indem sie wie potenzielle Gefährder behandelt werden: dass sie verstärkt mit Aufenthaltsverboten belegt werden, dass ihre Whatsapp-Chats mitgelesen und dass Fotos in der Handy-Cloud durchsucht werden, dass die Polizei in Echtzeit die Daten ihrer Body-Cams auswerten und danach agieren darf – oder dass Verdächtige bis zu drei Monate ohne Straftat in Gewahrsam genommen werden, wonach ein Richter über die Verlängerung entscheidet. Auch eine DNA-Analyse zur Identitätsfeststellung auf bloßen Verdacht hin wird erlaubt.

Alles dreht sich um die „drohende Gefahr“

Am höchsten schlagen die Wellen naturgemäß in Bayern selbst: Dort hat sich ein ungewöhnlich buntes Bündnis #noPAG von mehr als 90 zivilgesellschaftlichen Organisationen gebildet, das am Himmelfahrtstag in München gut 30 000 Menschen mobilisiert hat. Es war die letzte Aufwallung, bevor die absolute CSU-Mehrheit im bayerischen Landtag am 15. Mai das Gesetz absegnet. Die Kritiker fürchten, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) Teile des Gesetzes auf seine Ebene übernehmen will und dass andere Länder wie Nordrhein-Westfalen oder Sachsen ähnliche Regelungen einführen, wie es sich bereits andeutet. „Heute Bayern, morgen Deutschland“, warnen viele Fußball-Fanclubs.

Im Kern dreht sich die hitzige Debatte um die „drohende Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut“, zu deren Abwehr die Polizei künftig präventiv eine Vielzahl von (Überwachungs-)Maßnahmen einleiten darf – wobei die „bedeutenden Rechtsgüter“ nur vage umrissen sind. Zur Begründung bedarf es somit nicht mehr der „konkreten Gefahr“ einer Straftat. Das Verfassungsgericht hatte die „drohende Gefahr“ zur Terrorabwehr eingebracht.

Die Grünen verhinderten schärfere Regeln

Das Münchner Innenministerium bezieht sich in seiner Begründung auffällig oft auf andere Bundesländer – speziell den westlichen Nachbarn. Dabei geht das CSU-Vorhaben weiter als das baden-württembergische Polizeigesetz, das nach intensivem Ringen zum 8. Dezember 2017 geändert wurde. Auch CDU-Innenminister Thomas Strobl hatte ein Mustergesetz im Kampf gegen die Kriminalität angepeilt. Erhalten hat er zum Beispiel die Fußfessel für terroristische Gefährder sowie den Einsatz „intelligenter Videoüberwachung“ an Kriminalitätsschwerpunkten und gefährdeten Objekten, aber auch die präventive Kontrolle von Handy-Kommunikation über verschlüsselte Nachrichtendienste wie Whatsapp in schwerwiegenden Fällen. Strobl wollte die sogenannte Quellen-Telekommunikations-Überwachung jedoch schon bei kleineren Verbrechen. Dies blockierte der grüne Koalitionspartner ebenso wie die präventive Online-Durchsuchung von fremden Computern oder die Vorratsdatenspeicherung aufgezeichneter Telefondaten. So stimmte sogar die SPD zu.

Keine Nachbesserung nach bayerischem Vorbild

Das Innenministerium in Stuttgart sieht in seinem „hochmodernen Polizeigesetz“ einen „Quantensprung“, weshalb nicht über Nachbesserungen nach bayerischem Vorbild nachgedacht werde, wie ein Sprecher sagt. Allerdings wird an einer Novellierung des Gesetzes gearbeitet, die vor allem die Umsetzung der EU-Datenschutzreform und Anpassungen im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz von April 2016 beinhalten soll. Da werde man auch über eine Gefährderhaftung, also die erweiterte Abschiebehaft von Gefährdern, sprechen.