Gesprächsbedarf: Die deutschen Nationalspielerinnen Foto: Getty

Bundestrainerin Silvia Neid kocht, Spielführerin Nadine Angerer beruft eine Krisensitzung ein: Bei der Fußball-WM der Frauen in Kanada offenbart die deutsche Mannschaft Schwächen. Dennoch ist es die bisher erfolgreichste Vorrunde.

Stuttgart - Die Torausbeute: Zeit hat sich Nadine Angerer nicht gelassen. Noch auf dem Platz steckte die Spielführerin der deutschen Nationalmannschaft mit Stürmerin Celia Sasic die Köpfe zusammen: Denn so kann es nicht weitergehen. Beim 4:0(1:0)-Sieg gegen Thailand passte eigentlich nur das Ergebnis – weltmeisterlich war die Leistung des deutschen Teams jedenfalls in der letzten Partie der Vorrunde nicht. „Das Spiel kann man so nicht stehen lassen“, murrte Torfrau Angerer, „nun müssen wir älteren Spielerinnen uns etwas einfallen lassen.“ Vor allem, wenn es um die Chancenverwertung geht.

36 Schüsse gaben die deutschen Spielerinnen gegen Thailand ab, nur 16 davon flogen aufs Tor. Auch in den Spielen gegen die Elfenbeinküste (10:0) und Norwegen (1:1) hatte die Ausbeute trotz der insgesamt elf Tore nicht gepasst. Das macht auch Bundestrainerin Silvia Neid „große Sorgen“, denn: „Wenn wir gegen stärkere Gegner spielen, haben wir keine zehn Chancen, da musst du aus drei oder vier deine Tore machen.“ Auf ein starkes Team könnte die deutsche Mannschaft schon im Achtelfinale an diesem Samstag (22 Uhr/ARD und Eurosport) treffen. Wer der Gegner sein wird, hängt noch vom Ausgang der anderen Gruppen ab.

Trotz der mangelnden Chancenverwertung hat sich Deutschland in Gruppe B den Sieg gesichert – mit einem Rekord. 15 Treffer hatten die DFB-Frauen in einer WM-Vorrundengruppe noch nie erzielt. Die bisherige Bestmarke stammt von der WM 2007 mit zwölf Toren aus drei Spielen.

Die Defensive: Noch leistete sich die deutsche Hintermannschaft keine allzu großen Patzer. So richtig gefordert waren Annike Krahn und ihre Kolleginnen in der Abwehr bisher jedoch nicht. Sorgen machen könnte wie schon bei der Offensive die mangelnde Konzentration. Gedanklich waren auch die deutschen Abwehrspielerinnen nicht immer auf Ballhöhe.

Die Bank: Viel gelobt, aber nicht überzeugt – die deutsche Ersatzbank. In der Startelf gegen Thailand standen sieben neue Akteurinnen. Mit dieser Rotation verschaffte Silvia Neid bereits in der Vorrunde jeder deutschen Feldspielerin Einsatzzeit, doch für weitere Nominierungen empfahlen sich letztlich fast nur die zur Pause eingewechselte Stürmerin Lena Petermann, die zwei Tore erzielte, und Melanie Behringer, die als Schaltzentrale immerhin Ordnung ins deutsche Spiel brachte. Dass wegen der Rotation das Team nicht eingespielt gewesen sei, lässt Nadine Angerer nicht gelten: „Wir haben im Vorfeld immer betont, dass wir eine Riesen-qualität im Kader und ein Riesenpotenzial auf der Bank haben. Dann muss man es auch zeigen“, meinte die Torfrau.

Die Kreativität: Ein Trick à la Zinedine Zidane hier, eine Traumkombination dort, und die richtige Taktik hatte Silvia Neid bisher auch auf dem Zettel. Vor allem in der ersten Halbzeit gegen Norwegen, aber auch gegen die Elfenbeinküste und stellenweise gegen Thailand hat die deutsche Mannschaft gezeigt, welches Potenzial in ihr steckt, allen voran Celia Sasic, Anja Mittag und Dzsenifer Marozsan. In den K.-o.-Spielen müssen sie ihre Kreativität dauerhaft abrufen. Nur dann ist das Team ein echter Kandidat für den dritten WM-Titel nach 2003 und 2007.

Die Motivation: Ist noch ausbaufähig. Wenig Laufbereitschaft, zu leichtsinnig, teilweise sogar ein wenig überheblich – gegen Thailand passte die Einstellung bei vielen in der ersten Halbzeit nicht. „Wir haben Standfußball gespielt“, sagte Angerer. Das, was das Team normalerweise stark mache, habe komplett gefehlt: Leidenschaft, Einsatzbereitschaft, Zweikampfstärke. „Das einzige Positive ist, dass wir gewonnen haben“, pflichtete Melanie Leupolz ihr bei.

Die Selbsteinschätzung: „So dürfen wir nicht noch einmal auftreten“, mahnte Nadine Angerer nach dem Thailand-Spiel. Ihre Teamkolleginnen widersprachen nicht. Und deshalb gibt es nun eine Krisensitzung. Vor zwei Jahren bei der Europameisterschaft in Schweden gab es nach dem 0:1 gegen Norwegen im dritten Gruppenspiel übrigens eine ähnliche Situation. Nach dem nicht gerade überzeugenden Auftritt setzte sich die Mannschaft ohne Trainerin zur Aussprache zusammen. Mit Erfolg: Deutschland wurde Europameister.