Vollspann zum ersten Turniertor: Giulia Gwinn trifft zum 1:0 gegen China. Foto: dpa

Lena Sophie Oberdorf und Giulia Gwinn bilden das neue Gesicht der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Mit solchen G(e)winnerinnen können die DFB-Frauen bei der WM in Frankreich weit kommen.

Stuttgart - Die von der Trainerin vorgegebenen Laufwege zu befolgen, ist für eine nicht volljährige Nationalspielerin vermutlich einfacher, als nach einer Partie dieser Frauen-WM die vorgeschriebenen Ablaufprotokolle einzuhalten. Unmittelbar nach Spielschluss sollen alle Akteure nach neuester Fifa-Maßgabe die Mixed Zone passieren. Woher aber bitte sollte Lena Sophie Oberdorf im Roazhon Park von Rennes im Nachlauf wissen, wohin sie gehen sollte? Schüchtern verharrte Deutschlands Jüngste hinter Mitspielerin Sara Doorsoun, um eine Fernsehkamera nicht zu stören. Und nachdem sie am Ende ihrer vielen Interviews fast den falschen Ausgang genommen hatte, murmelte sie beim Abgang: „Peinlich, peinlich!“

Noch jünger als einst Birgit Prinz

Nein, das war es nicht! Beim 1:0-Arbeitssieg gegen China hatte die WM-Debütantin ansonsten alles richtig gemacht. Die Allrounderin der SGS Essen löste mit 17 Jahren, fünf Monaten und 20 Tagen als jüngste deutsche WM-Spielerin aller Zeiten sogar Birgit Prinz ab, die bei der WM 1995 noch knapp zwei Monate älter gewesen ist. „Habe ich gar nicht gewusst“, merkte sie kurz an. Sie sah auch keinen Anlass, mit der als Teampsychologin eingebundenen Ikone des deutschen Frauenfußballs deswegen gleich ein persönliches Gespräch zu führen. Denn entschuldigen muss sich diese neue Generation ohnehin nicht, für die auch Giulia Gwinn zum Gesicht werden könnte.

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Die 19-Jährige konnte sich vor Schulterklopfern ebenfalls kaum retten. Ihr Vollspannstoß bedeutete nach 66 Minuten den Siegtreffer, obwohl die Flügelflitzerin vom SC Freiburg nach der Pause als Linksverteidigerin auflief. „Das gelingt mir kein zweites Mal“, räumte die „Spielerin des Spiels“ ein, die damit einen kuriosen Hattrick fabrizierte: heimste sie diese Auszeichnung auch beim Turnierdebüt bei der U17-WM 2016 und der U20-WM 2018 ein. Doch auf der Bühne bei den 24 besten Frauen-Teams der Welt zu treffen, ist noch mal bedeutender. Auf der Tribüne saßen ihre Eltern, die mit dem Wohnmobil durch Frankreich touren. „Mein Vater weint eigentlich nie, aber er hatte Tränen in den Augen“, berichtete die Matchwinnerin, die ihr Tor als „Erlösung“ begriff, nachdem man von den Chinesinnen „viel auf die Socken bekommen“ hätte. Da dürfen bei Papa schon mal die Augen feucht werden.

Unerschrocken und vielseitig

Die deutsche Nummer sechs (Oberdorf) und 15 (Gwinn) bringen vieles mit. Diesen beiden Nesthäkchen sind unbekümmert und unerschrocken, vielseitig und widerstandsfähig. Und sie spielen nicht zufällig für Vereine, die die meisten WM-Spielerinnen abgestellt (Essen) oder die meisten ausgebildet haben (Freiburg). Während die Gymnasiastin aus Gevelsberg noch zwei Jahre an die SGS Essen gebunden ist, wechselt die Sportmanagement-Studentin vom Bodensee nun zum FC Bayern München. „Ich möchte international spielen, Champions-League-Niveau“, erklärte Gwinn. Doch erst mal will sie bei dieser WM möglichst bis zum Halbfinale mitspielen – am 2. Juli feiert sie nämlich ihren 20. Geburtstag.

Kapitänin Alexandra Popp hat mit einem Augenzwinkern gerade über die beiden gesagt: „Lena ist unser Küken, und so verhält sie sich auch. Giuli ist die Hübscheste.“ Dem Team hilft jedoch mehr die fußballerische Frühreife, mit der Oberdorf in ihrem vierten und Gwinn in ihrem neunten Länderspiel jene Impulse gaben, die eigentlich in solch einer heiklen Phase von den älteren Spielerinnen hätten können müssen. Die Jungen spielten Routiniers: Oberdorf besitzt eine solch starke Physis, dass sie wie selbstverständlich nach ihrer Einwechslung erst das Mittelfeld, dann sogar die Abwehr stabilisierte. „Die Vorgabe war: Präsenz im Zentrum zeigen und Ruhe reinzubringen“, erzählte Oberdorf. „Es spricht für Lena, wie sie das gemacht hat“, lobte Bundestrainerin Voss-Tecklenburg.

Am Mittwoch gegen Spanien

Bei Gwinn fiel auf, wie sie trotz schleppenden Einstiegs unbeirrt nach Lösungen suchte; egal, ob sie nun als Rechts-, Linksaußen oder Linksverteidigerin auflief. „Ich freue mich ganz besonders über das Tor von Giulia, weil es vor allem für die jungen Spielerinnen wichtig ist, mit einem guten Gefühl zu starten“, sagte der Sportliche Leiter Nationalmannschaften, Joti Chatzialexiou. Nur mit solchen G(e)winnerinnen werden die DFB-Frauen weit kommen, deshalb böte sich bereits gegen Spanien (Mittwoch 18 Uhr/ZDF) an, beiden von Anfang an zu vertrauen.

„Ich gewöhne mich langsam dran, dass ich überall die Jüngste bin“, erklärte Oberdorf. „Mir sagen viele, dass ich nicht nervös rüberkomme, aber innerlich ist es eine andere Geschichte. Auf dem Platz legt sich das zügig.“ Noch am vergangenen Donnerstag schrieb sie im Teamhotel in der Bretagne eine Klausur in ihrem Leistungsfach Sport zum Thema Muskelphysiologie. Wobei kam sie mehr ins Schwitzen? „Definitiv war das Spiel schwieriger“, erzählte sie, „für eine Klausur kann man lernen, man weiß, was drankommt. Auf dem Platz passieren Sachen, mit denen man nicht gerechnet hat.“ Doch auch diese Prüfung meisterte Oberdorf mit Bravour.

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