Mario Gomez brennt auf Einsätze bei der WM Foto: dpa

VfB-Stürmer Mario Gomez spricht im Interview über seine Chancen auf WM-Einsätze, die Konkurrenz im Angriff, Sandro Wagner – und sein Vaterglück.

Eppan - Tiefenentspannt und gut gelaunt erscheint Mario Gomez auf der Terrasse des Mannschaftshotels in Eppan. Die Sonne kommt nicht durch die aufgespannten Schirme. Dafür strahlt Gomez. Zwischen zwei Trainingseinheiten der Nationalelf an der Weinstraße nimmt er sich Zeit für ein Gespräch.

Herr Gomez, die wichtigste Frage vorneweg – wie geht es Ihrem Sohn Levi, der am 11. Mai geboren wurde, und Ihrer Frau?
Alles ist bestens, danke! Es ist das größte Glück für mich, Vater zu sein, und zum Glück hatten wir nach dem Saisonende zehn Tage Zeit für uns, bis es zur Nationalelf ging.
Als frischgebackener Vater übernehmen Sie privat Verantwortung –sportlich sind Sie im aktuellen WM-Kader der älteste Spieler, Sie haben in Ihrer Karriere gefühlt alles erlebt. Sehen Sie sich auch im Kreis der Nationalelf in einer Führungsrolle, so ähnlich vielleicht, wie es zuletzt beim VfB Stuttgart war?
Die Nationalmannschaft lebt von ihrer Homogenität, vom Spaß innerhalb der Truppe und von der Lebendigkeit. Hier ist es völlig egal, ob einer 20 oder 32 Jahre alt ist, alle sind jung oder wie ich jung geblieben (lacht).
Und welche Unterschiede gibt es, was Ihre Rolle im DFB-Team und jene in Stuttgart angeht?

Über die Unterschiede von VfB und Nationalelf

Beim VfB war in diesem Jahr zu Beginn gefühlt alles anders. Da ging es um den Klassenverbleib, da ging es gegen den Abstieg, das ist immer nervenaufreibend. Mit meiner Erfahrung weiß ich, dass man auch in solchen Situationen ruhig bleiben muss und das auch ausstrahlen muss. Allein schon deshalb, damit die anderen Spieler, vor allem die jungen, sehen: Hey, der hat schon einiges erlebt, der bleibt ruhig, auch wenn es sportlich mal brennt. Das kann extrem helfen. Hier bei der Nationalelf geht es ja nicht gegen den Abstieg, hier ist gerade alles im Fluss, also muss ich hier auch niemanden beruhigen (lacht).
Wenn es um Ihre persönlichen Chancen auf Einsätze bei der WM geht – müssen Sie sich da denn manchmal selbst beruhigen und sich sagen: „Wird schon“?
Ich bin in Topform und versuche, mich täglich anzubieten. Alles andere steht nicht in meiner Macht.
Zugespitzt gefragt: Haben Sie Angst davor, dass Sie noch aus dem endgültigen WM-Kader gestrichen werden könnten?
Angst habe ich nur vor ganz wenigen Dingen – davor habe ich zum Beispiel keine Angst (lacht). Es zeichnet doch den Leistungssport aus, dass es einen Konkurrenzkampf gibt, das ist für mich etwas Schönes, und das spornt mich an.

Gomez will auf den Punkt da sein

Wie stufen Sie die Fähigkeiten Ihrer Stürmerkollegen Timo Werner und Nils Petersen ein?
Timo gehört die Zukunft, er kann einer der besten Stürmer der Welt werden, das habe ich schon oft betont. Und für Nils freut es mich einfach, dass er dabei sein darf und dass er das hier erleben darf. Er hat es sich verdient, denn er hat sportlich eine tolle Entwicklung genommen und eine beeindruckende Saison in Freiburg gespielt.
Und wie bewerten Sie Ihre eigene Entwicklung und Ihre Einsatzchancen?
Der Trainer kennt mich schon sehr lange, ich glaube sogar, dass mich kaum ein Trainer so gut kennt wie Joachim Löw. Er weiß, was er an mir hat und was er von mir bekommen kann. Ich will auf den Punkt da sein, dafür tue ich hier jeden Tag alles.
Drehen wir den Spieß um – auch Sie kennen Joachim Löw schon lange, Sie haben fast seine gesamte Zeit als Bundestrainer hautnah miterlebt. Wie hat er sich entwickelt, und was zeichnet ihn aus?
Taktisch und fußballerisch hat er die Nationalmannschaft zu dem gemacht, was sie heute ist. Wir gehen als Titelverteidiger ins Turnier, das sagt ja alles aus. Was mich aber mindestens genauso beeindruckt, ist, dass er trotz immer jünger werdender Spieler immer ganz nah bei den Jungs ist. Joachim Löw interessiert sich immer für die Belange eines jeden Einzelnen, er führt viele Gespräche und fühlt sich in die Jungs hinein, egal, ob einer 19 oder 32 Jahre alt ist.

Wie denkt er über Sandro Wagner?

Keinen Draht hat Joachim Löw mehr zu Ihrem ehemaligen Konkurrenten im Sturm der Nationalelf, Sandro Wagner, der nach seiner Nichtnominierung massive Kritik geäußert hat. Können Sie Wagners Enttäuschung nachvollziehen?
Ich habe es eher als ein Spiel einiger Medien empfunden, die Sandro und mich gegeneinander ausspielen wollten. Ich selber habe mich nie daran beteiligt, weil das nicht meinem Charakter entspricht. Mit Sandro selbst jedenfalls hatte ich nie ein Problem.
Sie haben dagegen beste Chancen, mit nach Russland zu fahren. Im Juli werden Sie 33 Jahre alt – wird das Ihr letztes großes Turnier?
Über die WM hinaus mache ich mir gar keine Gedanken. Was danach passiert, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich in der nächsten Saison sicher beim VfB spielen werde.
Stichwort VfB: Ihr Stuttgarter Teamkollege Benjamin Pavard steht im Kader der Franzosen, die zumindest zu den Mitfavoriten gehören. Was trauen Sie ihm bei der WM zu?
Benjamin hat eine wahnsinnige Qualität, es spricht für ihn, dass er schon in so jungen Jahren im WM-Kader einer so starken Truppe steht. Ich bin mir auch sicher, dass er auf seine Einsätze in der Abwehrreihe der Franzosen kommen wird.
Haben Sie schon eine Verabredung fürs Finale?
Bisher haben wir da noch keine Pläne aufgestellt. Aber wenn Sie mich so fragen – unterschreiben würden wir das natürlich beide sofort (lacht).

Die Gelassenheit des Alters

Sie wirken auch hier in Südtirol wie zuletzt in Stuttgart extrem gelassen. Woher kommt diese Ausgeglichenheit, gerade im Kreis der Nationalelf, wo Sie ja auch schon heftige Rückschläge erlitten haben? Stichwort vergebene Großchance bei der EM 2008, Stichwort Pfiffe bei Heimspielen von deutschen Fans, Stichwort Mehmet Scholl und dessen heftige Kritik bei der EM 2012.
Diese innere Ruhe und diese Gelassenheit ist ein jahrelanger Prozess, das kommt nicht von heute auf morgen. Ich mache mir nicht mehr den Stress wie früher. Als junger Profi willst du die perfekte Karriere hinlegen und nimmst dir das auch immer vor. Heute bin ich so weit, dass ich nur noch im Hier und Jetzt bin. Ich kann den Moment leben und ihn genießen. Auch, weil ich schon so viel erlebt habe in meiner Karriere.
Wie würde denn der Mario Gomez von heute mit dem ganzen Spott umgehen, der vor zehn Jahren bei der EM nach dem Fehlschuss gegen Österreich auf ihn einprasselte?
(Überlegt) Damals wollte ich es als junger Profi allen sofort zeigen, dass ich es besser kann und dass das ein einmaliger Ausrutscher war. Damit setzt du dich aber nur noch mehr unter Druck und verkrampfst. Heute weiß ich, dass Fußball ein tolles Spiel für die ganze Gesellschaft ist. Die Leute können darüber diskutieren, der eine denkt so und der andere so. Jeder darf sagen und tun und lassen, was er will, und das meine ich nicht negativ. Ich glaube, dass ich mittlerweile über den Dingen stehe, die über mich gesagt und geschrieben werden. Aber das ist ein Prozess, da muss man erst mal hinkommen.