Thomas Müller probiert im Trainingslager Blindenfußball aus – und hat viel Spaß dabei. Foto: dpa

Trotz ihrer Niederlagen mit dem FC Bayern in der Champions League und im Pokal sind die Münchner Nationalspieler motiviert. Ihre nächstes großes Ziel ist die WM.

Eppan - Thomas Müller sagt man ja gemeinhin nach, dass er weiß, wo das Tor steht. Am Donnerstagmittag war das anders. Nationalsspieler Müller fehlte ganz klar der Durchblick auf dem Platz, man könnte sogar sagen, dass der Weltmeister bisweilen ziemlich orientierungslos über den Rasen irrte. All das passierte aber nicht, weil Müller außer Form ist oder weil ihm die rechte Motivation fehlte.

Nein, Thomas Müller war blind. Zumindest ein paar Augenblicke lang.

Ein so genanntes Showtraining stand auf dem Plan für den Weltmeister des FC Bayern München, zusammen mit Teamkollege Matthias Ginter traf er dabei auf zwei spezielle Spielpartner. Müller und Ginter bekamen in Eppan eine kurze Einführung in den Blindenfußball, zusammen mit Alexander Fangmann, dem Kapitän der deutschen Blindenfußball-Nationalelf in Diensten des MTV Stuttgart, und dessen Mitspieler Alican Pektas wurde ein bisschen gekickt – und um sozusagen faire Voraussetzungen und auch ein Gespür für die besonderen Leistungen der Blindenfußballer zu schaffen, trugen Müller und Ginter während der Einheit im Zeichen der Inklusion eine schwarze Augenbinde.

Den Bayern-Frust im Gepäck

Alle Beteiligten hatten ihren Spaß, vor allem der Gaudibursche Müller gab auch mit Augenbinde den Müller – und lachte am meisten über sich selbst, als er zu Beginn gleich mal aufs Tor schießen wollte, weit ausholte, irgendwie mit rechts abzog, aber anstelle des Balles nur die heiße Südtiroler Luft traf. Denn die freche Kugel, sie hoppelte unentdeckt längst zwei Meter entfernt irgendwo herum.

Thomas Müller also ist gut drauf – das ist normalerweise ja keinerlei Erwähnung wert, aber im Rahmen des Trainingslagers in Südtirol irgendwie doch von Belang. Denn Müller, der Profi des FC Bayern, schleppte wie seine Teamkollegen vom Rekordmeister einen imaginären Rucksack mit nach Eppan, der gemeinhin unter dem Oberbegriff „Bayern-Frust“ firmierte.

Das bittere Aus im Halbfinale der Champions League gegen Real Madrid, die Niederlage im DFB-Pokalfinale gegen Eintracht Frankfurt (1:3) – all das nagte an den erfolgsverwöhnten Bayern-Profis, und deshalb gab es eine entscheidende Frage: Reicht der Münchner Ärger bis ins Trainingslager der Nationalelf oder gar bis in die WM hinein – oder löst sich der Frust doch recht schnell in eine neue Lust auf?

„Wir haben es verarbeitet“

Nun, vor dem ersten Testspiel an diesem Samstag in Klagenfurt gegen Österreich (18 Uhr/ZDF), das auch die erste Partie für die Bayern-Profis nach dem Pokalfinale ist, lässt sich sagen, dass Müller wie immer gut drauf ist – aber auch, dass die anderen Bayern-Akteure den alten Ballast so langsam aber sicher abzuschütteln scheinen.

Innenverteidiger Mats Hummels, der auch dabei war bei den Münchner Negativerlebnissen, drückt am Mittwoch auf dem Pressepodium die Brust raus und betont: „Wir haben es verarbeitet. Es steckt bei keinem mehr drin. Deswegen bin ich überzeugt, dass es keine Auswirkungen haben wird.“ Die Niederlagen seien nicht in Vergessenheit, aber in die Vergangenheit geraten, ergänzte der Weltmeister. Und: „Jetzt haben wir ein neues Ziel.“

Dem Frieden im Kader zu Liebe

Nun muss Hummels in gewisser Weise so etwas sagen. Selbst wenn es um Laune und Motivation gerade anders stünde, würde er es nicht zugeben, allein schon des lieben Friedens im Kader willen. Aber nur das tägliche Treiben auf dem Trainingsplatz zeigt, dass wohl eine große Portion Wahrheit hinter den Aussagen steckt. Denn vor der Südtiroler Bergkulisse rackert Hummels selbst, als gäbe es kein Morgen. Dazu gibt es Schimpftiraden, wenn es im eigenen Team im Trainingsspiel nicht läuft.

Kimmich gibt Vollgas

Auch Joshua Kimmich gibt Vollgas – hätte der Rasen in Eppan ein Schmerzgefühl, er würde sich vor jeder Einheit vor Kimmichs Fäusten fürchten, weil die ihn nach misslungenen Aktionen stets mit Vehemenz malträtieren. Gäbe es ein Sinnbild für neuen Ehrgeiz – Hummels und Kimmich könnten Modell dafür stehen.

Die Motivation der Bayern-Profis also ist hoch, und das aus vielschichtigen Gründen. Es gibt ja nicht nur Müller, Hummels und Kimmich – der lange verletzte Manuel Neuer etwa will nach langer Zwangspause einfach nur wieder spielen, Innenverteidiger Jérôme Boateng, wenn auch nach kürzerer Pause, ebenso. Sebastian Rudy, der in München lange nicht zum Zug kam, auch – und der Abwehrmann Niklas Süle fiebert einfach nur auf sein erstes großes Turnier hin. „Wir sind nach dem bitteren Aus gegen Real in ein Loch gefallen“, sagt Süle: „Aber jetzt zählt nur noch die WM.“

Die Bayern krabbeln gerade wieder nach oben. Und sie sehen schon das Licht.