Cristiano Ronaldo bei seinem fulminanten Treffer zum 3:3 gegen Spanien. Es war der erste direkt erzielte Freistoßtreffer bei der WM in Russland. Foto: xinhua

Standardsituationen sind einer der großen Trends der bisherigen WM – das Gros der Tore fällt nach ruhenden Bällen. Das ist nicht neu – doch das die Standards eine derart beeindruckende Rolle erfahren, war nicht erwartet worden.

Samara - Der moderne Fußball wird immer schneller, immer athletischer - doch die meiste Gefahr besteht, wenn der Ball ruht. In den ersten 15 WM-Spielen von Russland fielen 20 der 35 Tore nach Standardsituationen. Also mehr als jeder zweite Treffer. Vor vier Jahren in Brasilien lag die Quote bei „nur“ knapp einem Viertel. Spieler, Trainer und Experten sind von dieser Entwicklung nicht sonderlich überrascht. „Standardsituationen werden ein wichtiges Thema sein, weil man aus ihnen viel machen kann“, sagte Bundestrainer Joachim Löw: „Das ist ein Thema bei Besprechungen und auf dem Platz.“

Die Deutsche Nationalmannschaft profitiert noch nicht

Bei der Auftaktpleite gegen Mexiko (0:1) konnte sich der Weltmeister daraus noch keinen Vorteil verschaffen - anders als zum Beispiel England. Beim 2:1 im ersten Gruppenspiel am Montagabend gegen Tunesien profitierte Torjäger Harry Kane bei seinen beiden Treffern von einstudierten Eckbällen der Three Lions. 11. Minute: Ecke Ashley Young, Kopfball John Stones, Abstauber Kane. 90.+1: Ecke Kieran Trippier, Kopfballverlängerung Harry Maguire, Kopfballtor Kane. „Unsere Standards waren immer gefährlich heute“, sagte Englands Teammanager Gareth Southgate nicht ohne Stolz: „Wir haben viel daran gearbeitet. Und haben uns dafür belohnt.“

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Genau wie die Kroaten, die gegen Nigeria dank eines Eigentores nach einer Ecke und eines verwandelten Strafstoßes durch Luka Modric 2:0 gewannen. „Es sind genau diese Elemente, an denen wir im Training arbeiten“, sagte Modric. Der zwischenzeitliche Ausgleich der Tunesier gegen England fiel nach einem Elfmeter und damit auch nach einem ruhenden Ball. Tunesiens Nationaltrainer Nabil Maaloul glaubt, dass durch die Einführung des Videobeweises bei dieser Weltmeisterschaft mehr Strafstöße gepfiffen werden, durch den VAR „hat sich das Spiel geändert“.

Auffällig viele Elfmeter

Mit sieben Elfmetertoren hat die WM in Russland schon jetzt mehr als die Hälfte der Gesamtbilanz des Endturniers von Brasilien (12) erreicht. Und direkte Freistoßtreffer gibt es in Russland (4) schon jetzt mehr als in Brasilien (3). Standardsituationen werden vor allem deshalb so wichtig, weil sich die Qualitäten der Teams immer stärker annähern. „Inzwischen stehen fast alle Teams defensiv gut, es wird immer schwerer, offensiv etwas zu kreieren“, sagte TV-Experte Christoph Kramer im ZDF. Der Weltmeister glaubt: „Der Fokus verschiebt sich im Fußball.“ Die Leidtragenden sind die Torhüter. Sie müssen es nicht nur mit immer besser trainierten Freistoß-Spezialisten aufnehmen, sondern kämpfen auch mit den kuriosen Flugeigenschaften der neuen Bälle.

Ägyptens Ersatztorwart Essam Al-Hadari hat sich deshalb schon als „Opfer der FIFA und des Fußballs, der sich immer weiter entwickelt“ bezeichnet. Eine Neuheit wie den legendären „Malediven-Trick“ des deutschen Teams bei der WM in Brasilien, als Thomas Müller stolperte und Toni Kroos den Ball in die algerische Abwehr lupfte, gab es in Russland noch nicht zu sehen. Müller beharrt bis heute darauf, dass der Trick ein guter gewesen sei, Kroos’ Freistoß sei nur „ein paar Zentimeter zu tief gewesen“. Bei Standards kommt es eben auf das Timing an, und das ist bei vielen WM-Teams derzeit perfekt.