Serge Gnabry hat seinen Torriecher nicht nur im Spiel gegen Argentinien beweisen, sondern auch gegen die Niederlande und Nordirland getroffen. Foto: dpa/Marius Becker

Er hat in elf Länderspielen zehn Tore erzielt – doch nicht nur deshalb ist Serge Gnabry in der Nationalmannschaft gesetzt. In Estland soll der 24-Jährige nun wieder treffen.

Tallinn - Der Bundestrainer selbst war es, der gegen das neue Grundgesetz in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft verstieß. Bereits nach 72 Minuten holte Joachim Löw am Mittwochabend Serge Gnabry vom Spielfeld des Dortmunder Stadions und ließ seine Auswahl im Prestigeduell mit Argentinien (2:2) ohne ihren derzeit besten Stürmer weiterspielen. „Weil wir ihn noch brauchen“, erklärte Löw – zum Beispiel an diesem Sonntag (20.45 Uhr/RTL) im EM-Qualifikationsspiel gegen Estland in Tallinn.

„Serge spielt bei mir immer“, das hatte der Bundestrainer vor dem ersten Länderspiel dieser Saison in Hamburg verkündet (2:4 gegen die Niederlande) – und in überraschte Gesichter auf Zuhörerseite geblickt. Zwar ließ Löw in seinen 13 Jahren als Deutschlands oberster Fußballlehrer die Öffentlichkeit immer mal wieder an seiner Bewunderung für einzelne Spieler teilhaben, für Philipp Lahm etwa, Mesut Özil oder Miroslav Klose. Die Vergabe von Stammplätzen und entsprechenden Garantien jedoch empfindet er seit Jahren als Fall für die Fußball-Mottenkiste. Inzwischen glaubt man zu wissen, warum der Bundestrainer ausgerechnet im Falle von Serge Gnabry eine Ausnahme von der Regel gemacht hat.

Gnabry ist unverzichtbar

Es mag nur ein Zufall sein – aber seit der 24 Jahre alte und äußerst flexibel einsetzbare Offensivspieler des FC Bayern zum unverzichtbaren Bestandteil der DFB-Mannschaft geadelt wurde, startet er erst so richtig durch. Mit seinen vier Treffern beim Münchner 7:2-Sieg bei Tottenham Hotspur katapultierte er sich vergangene Woche in die Riege der Champions-League-Stars. Und im Nationaltrikot traf er nicht nur gegen die Niederländer und in Nordirland (2:0), sondern auch am Mittwochabend in Dortmund gegen Argentinien.

Ein Gemälde war sein 1:0-Führungstreffer (sein zehntes Tor im elften Länderspiel), ein Lehrbeispiel moderner Stürmerkunst: Ballannahme auf engstem Raum, elegant vorbei an drei grätschenden Gegenspielern, überlegter Torabschluss mit dem Außenrist – all das in fließenden Bewegungen. „Ich habe selten einen Spieler gesehen, der so zielstrebig ist Richtung Tor“, sagte sein Münchner DFB-Kollege Joshua Kimmich, 24 Jahre alt wie Gnabry, und sah sich bestätigt in seiner alten Thesen: „Für mich war er in unserem Jahrgang schon immer der beste Spieler.“ Gnabry selbst bleibt realistisch: „Wenn ich jetzt drei Spiele absolut kacke spielen würde, käme ein anderer dran.“

Schon in der Jugend ein Ausnahmespieler

Bereits in der Jugendabteilung des VfB Stuttgart haben die beiden Bayern-Stars Gnabry und Kimmich einst zusammengespielt. Marc Kienle war in der U 17 ihr Trainer – und hat keinen anderen Spieler erlebt, der bereits in so jungen Jahren so komplett gewesen sei: „Er war schon in dieser Zeit ein außergewöhnlicher Fußballer – mit großer Abschlussstärke, Spielverständnis, einem hohen Maß an Kreativität und wahnsinnigem Antritt.“ Noch heute weiß Kienle, was er bei einem der letzten Auftritte Gnabrys im VfB-Trikot den Beobachtern am Spielfeldrand zugerufen hat: „Genießt es noch einmal! Später werden wir ihn in den ganz großen Stadien dieser Welt spielen sehen.“

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Während Kimmich über RB Leipzig bei den Bayern landete, ging Gnabry einen beschwerlicheren Weg: Mit 15 der Wechsel ins Jugendinternat des FC Arsenal, mit 17 das Premier-League-Debüt, dann jedoch die Verletzungspausen und eine frustrierende Ausleihe zu West Bromwich Albion. Gnabrys Karriere geriet ins Stocken, sein Name beinahe in Vergessenheit. Mit sechs Toren für das deutsche Team rief er sich beim olympischen Fußballturnier 2016 in Rio eindrucksvoll in Erinnerung. Anschließend wechselte Gnabry zu Werder Bremen, ehe er nach einer weiteren Zwischenstation in Hoffenheim im Sommer zu den Bayern kam.

Die Bayern haben ihn geangelt

Dass es ein Fehler war, den Hochbegabten damals zum Schnäppchenpreis von fünf Millionen Euro in die Bundesliga verkauft zu haben, hat inzwischen auch der damalige Arsenal-Teamchef Arsène Wenger erkannt. Man habe sehr lange versucht, den Vertrag mit Gnabry zu verlängern, sagte der Franzose in einem Interview, doch hätten „die Bayern hinter den Kulissen manipuliert“. Wenger bestätigte damit die Gerüchte, die es schon damals gegeben hatte: Dass es bereits bei Gnabrys Wechsel zu Werder Bremen eine feste Abmachung mit den Bayern gegeben habe.

Jetzt dürfen sich die Bosse des deutschen Rekordmeisters auf die Schultern klopfen – Gnabrys Marktwert nähert sich 100 Millionen Euro. Und was bei Joachim Löw gilt, das gilt längst auch bei Bayern-Trainer Niko Kovac: Serge Gnabry spielt immer.