Enes Coskun von der TSG Esslingen hat in der laufenden Saison der Kreisliga A schon 19 Tore erzielt. Dabei hat er zehn Jahre lang gar nicht gekickt.
Es läuft die Nachspielzeit des Spitzenspiels der Fußball-Kreisliga-A zwischen dem VfB Reichenbach und der TSG Esslingen. Es steht 0:0. Dann fliegt ein Ball in Richtung Reichenbacher Strafraum und Angelo Caggiano befördert ihn mit einer sehenswerten Direktabnahme ins Tor. 1:0 für die TSG, die durch den Sieg neuer Tabellenführer ist. Nach der ersten Freude fragten sich wohl einige der Esslinger Fans: Caggiano? Was ist mit Enes Coskun? Der Stürmer ging diesmal leer aus, dabei hatte er in den sieben Saisonspielen davor schon sagenhafte 19 Tore erzielt. Randy-Daniel Mrozik vom TV Unterboihingen und Markus Penzkofer vom FV Plochingen II folgen in der Torjägerliste mit jeweils acht Treffern weit dahinter.
Eine beeindruckende (Zwischen-)Bilanz
Wobei Coskun für seine beeindruckende (Zwischen-)Bilanz sogar ein Spiel weniger reichte, denn bei der Auftaktniederlage beim TB Ruit fehlte er noch. Zwei Tore, erneut zwei Treffer, null (beim 0:1 gegen den TSV Deizisau), sechs, vier, fünf und wieder keiner in Reichenbach lautete anschließend seine persönliche Ausbeute.
Und was sagt der Esslinger Superstürmer selbst dazu? Am liebsten nicht so viel. „Ich bin da eher bescheiden“, erklärt er, „ich hole ja nicht die Bälle von hinten und mache sie rein. Würden mir die Jungs sie nicht so super auflegen, würde ich nicht so viele Tore machen. Es ist ein Mannschaftssport, es funktioniert einfach in der Mannschaft.“ Eben „die Jungs“ sind etwas, was Coskun wichtig ist. Zunächst waren es die der zweiten Esslinger Mannschaft in der Kreisliga B. Denn nachdem er in der Jugend beim TSV Berkkeim, schon einmal bei der TSG, beim TV Nellingen und beim FV Neuhausen gekickt hatte, hörte er mit 18 Jahren auf. „Ich habe das Interesse verloren“, begründet er knapp. Zurück kam er, „weil die Kollegen wieder am Start waren“. Damit meint er seine Schulfreunde, von denen viele bei der TSG II spielten. Da war Coskun, der als Industriemechaniker arbeitet und in Nellingen wohnt, dann schon 28 Jahre alt. Und er traf wie ein Junger.
Von der zweiten zur ersten Mannschaft
Das wiederum fiel natürlich auch Michael Lattacher auf, dem Coach des Esslinger Kreisliga-A-Teams. „Man muss kein guter Trainer sein, um das zu erkennen, wenn er zwei Mal die Woche auf der anderen Seite des Trainingsplatzes ist“, erklärt Lattacher. Zunächst bat er Coskun, mal auszuhelfen. Zur Rückrunde der vergangenen Saison überredete er ihn, ganz zur Ersten zu kommen. Überreden ist der richtige Ausdruck, denn es war gar nicht so einfach, ihn vom Team mit seinen Kumpels loszueisen. Nicht nur wegen der vielen Tore, die der Zweiten seither fehlen. Deshalb wird es Lattacher gerne hören, wenn Coskun heute über seine erste TSG-Mannschaft sagt: „Es passt einfach, ich fühle mich wohl.“ So wohl, dass der 32-Jährige im Sommer den Lockrufen anderer, teilweise höherklassigerer Teams widerstand.
Und was macht Coskun aus? Er selbst äußert sich auf die Frage danach wieder zurückhaltend: „Ich bin ja schon immer Stürmer, ich denke, dass ich es schon kann.“ Trainer Lattacher braucht länger, die Vorzüge aufzuzählen: „Er steht da, wo der Ball hinkommt, hat eine überragende Technik, einen schnellen Antritt und ist robust.“ Dazu sei er eine Persönlichkeit, durchaus eine, die ihre Freiheiten brauche: „Man muss ihn manchmal machen lassen.“ Mannschaftsdienlich sei er dennoch, zudem sehr trainingsfleißig – und damit ein Beispiel dafür, dass sich Spaß und Ehrgeiz keinesfalls ausschließen müssen. Lattacher: „Er hat eine große Motivation. Hätte er sie schon früher gehabt, würde er nicht in der Kreisliga A spielen.“
Das kann sich ja noch ändern und das ohne, dass Spät-Durchstarter Coskun den Verein wechseln muss. Während es Lattacher „nicht ausschließen“ möchte, dass die TSG bis zum Ende der Saison zumindest um den Sprung in die Bezirksliga mitspielt, lehnt sich sein Stürmer weiter aus dem Fenster: „Ganz klar: Wir streben es an, aufzusteigen.“ Aber er schiebt erneut bescheiden und voller Respekt hinterher: „Viele andere Mannschaften sind auch stark.“
Zieht Gegenspieler auf sich
Lattacher konnte übrigens damit leben, dass Coskun in Reichenbach mal nicht traf. Auch der Trainer betont den Teamgedanken. Zudem sagt er: „Wir dürfen uns nicht nur auf ihn verlassen.“ Und er erklärt, „dass sich herumgesprochen hat, wie torgefährlich er ist. Damit zieht er mehrere Gegenspieler auf sich, was wiederum anderen Räumen verschafft“. In diesem Fall Angelo Caggiano. Bei 19 Coskun-Treffern aber wird es in dieser Saison bestimmt nicht bleiben.