Lucien Favre (Bild) und Urs Fischer – zwei Schweizer Trainer mischen die Bundesliga auf. Foto: /Getty

Was wäre die Liga ohne ihre Schweizer Trainer? Favre ist der Beste – aber jetzt wartet ein Zungenbrecher auf ihn.

Berlin - Vor dem bedrohlichen Hintergrund der Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg lassen sich viele Alt-Alemannen hier im Ländle hinreißen zu dem verantwortungslosen Scherz: Die Wiedervereinigung war richtig, aber hat es unbedingt mit der DDR sein müssen - warum nicht mit der Schweiz?

Ähnlich wohlwollend denken auch zahlreiche Fußballfans an diesem Wochenende an unsere südlichen Nachbarn. Denn das Topspiel der Bundesliga zwischen Union Berlin und Borussia Dortmund findet am Samstagabend nur statt, weil der Schweizer BVB-Trainer Lucien Favre der Beste der Liga ist und auf der anderen Seite der Schweizer Trainer Urs Fischer dafür gesorgt hat, dass in Köpenick das Wasser nach oben läuft.

Der bekannteste Urs im deutschen Fußball war ja über viele Jahre hinweg Urs Meier. Als ZDF-Schiedsrichterexperte wurde der pfiffige Aargauer einmal gefragt, was er vom Schweizer Nationaltrainer Köbi Kuhn hält, und er redete sich mit der unfassbaren Antwort berühmt: „Köbi Kuhn war Schweizer des Jahres. Das schafft man nicht einfach so. Dafür muss man schon Schweizer sein.“

Inzwischen schlägt der nächste Urs zu, in Berlin. Ein Heldenstück hat Urs Fischer dort abgeliefert, jedenfalls muss Zuckmayers Theaterstück „Der Hauptmann von Köpenick“ umgeschrieben werden. Es beruht auf der Geschichte des Schuhmachers Friedrich Wilhelm Voigt - der stürmte, als Hauptmann verkleidet, anno 1906 mit einem Trupp gutgläubiger Soldaten das Köpenicker Rathaus, verhaftete den Bürgermeister und raubte die Stadtkasse. So ähnlich hat Fischer jetzt mit einem Trupp gutgläubiger Fußballer die Bundesliga gestürmt, allerdings nicht als Hochstapler mit Berliner Schnauze. Still hat er aus dem schieren Nichts eine Mannschaft aufgebaut, mit der Geduld des Hobbyanglers. Oft sieht man den Schweizer beim Fliegenfischen in Brandenburg, und die Fans feiern ihn dann mit dem Zungenbrecher: „Fischers Fritz fischt frische Fische, frische Fische fischt Fischers Fritz.“ Sein Kapitän Christian Trimmel sagt: „Seine Ausgeglichenheit, auch im Stress, strahlt auf uns über.“

Die innere Balance. Die Menschlichkeit. Der Hang zum Zusammenhalt. Das ist es, was man oft als Antwort hört auf die Frage, warum die Bundesliga Schweizer Trainer so mag. Herbert Grönemeyer besang im Erfolgshit „Bochum“ seinen Heimatklub und schwärmte, als Marcel Koller einst dort anfing: „Mit der Gelassenheit seines Schweizer Trainers kommt der VfL gewaltig.“

Ähnlich tickt Martin Schmidt, der nach Mainz und Wolfsburg jetzt den FC Augsburg trainiert. Einmal kam samstags die ganze Familie aus dem Wallis zum Spiel, darunter fünf Schwestern und sein 82-jähriger Vater. Die Augsburger Allgemeine würdigt ihn als „bibelfesten Kirchgänger“ und schwärmt: „Schmidt liebt die Berge, als Kind hütete er auf der Alp seines Großvaters Kühe.“

Ein Naturbursche rennt in der Bundesliga zunächst einmal keine offenen Türen ein. Als Schmidt bei Mainz 05 damals frisch, frech und forsch anfing (“Wir spielen zügellos und mit Vollgas, wir wollen aufwühlen!“) lachten sich viele wund, und die anderen tot. Vollgas? Ein Schweizer? Kuhglockenfußball, spotteten da früher die Lästergoschen. Marcel Koller und Hanspeter Latour beispielsweise liefen beim 1. FC Köln mit der Stirn voraus gegen diverse Vorurteile, schnell hingen dort Spruchbänder im Stadion wie „Bevor der FC einen Titel holt, wird der Geißbock Galopper des Jahres“ - gemeint war Geißbock Hennes, das Maskottchen.

Sogar deutsche Kollegen, die in der anerkannt fortschrittlichen Schweizer Trainerlehre ihr Handwerk erlernten, blieben von der Häme nicht verschont. Ottmar Hitzfeld wurde vom Wiener Ex-Meistermacher und „Bild“-Kolumnisten Max Merkel seinerzeit so empfangen: „Der Ottmar ist runtergekraxelt von seiner idyllischen, sattgrünen Alm in der Schweiz, mitten hinein ins lebensgefährliche Bundesligageschäft.“ Dort hat uns Hitzfeld dann den intelligenten Fußball eingeführt. Oder Helmut Benthaus als VfB-Meistermacher. Und war nicht auch Jogi Löw eher Schweizer? Als Spielertrainer in Frauenfeld und Winterthur hat er begonnen und sich in Schaffhausen inspirieren lassen von seinem Mentor Rolf Fringer - der auf die Frage, was sein Meisterschüler außer dem Erfolgsrezept sonst noch hat mitgehen lassen aus der Schweiz, heute noch gerne antwortet: „Ich vermisse drei Jeans und einen Pullover.“

Auch Fringer hat noch zu denen gehört, die unter der Hochnäsigkeit der Bundesliga litten. Auf der Basis seiner Diplomarbeit (“Offensive Möglichkeiten des Zonenspiels“) wollte er den VfB in den 1990ern bekehren - doch Merkel meckerte, Fringer sei „vom Tempolimit in der Schweiz geprägt, er verwechselt die Bremse mit dem Gaspedal.“ Ein anderer Stinkstiefel begrüßte den Neuen: „Von der Schweiz in die Bundesliga – das muss ja wie ein Sechser im Lotto sein.“ - „Wieso“, konterte Fringer mit gestrecktem Bein, „ich wollte eigentlich in die österreichische Liga, nur erschien mir dieser Schritt im Moment noch zu groß.“ Er war, als würdiger Botschafter seines Bergvolks, aus Hartholz geschnitzt. Nach einer 3:6-Schlappe des VfB ging er abends ins ZDF-Sportstudio, stellte sich vor die Torwand, legte sich eiskalt den Ball hin und vollstreckte wie der Tell mit der Armbrust: sechs Schüsse, fünf Treffer.

Von A bis Z, von Aarau bis Zürich, folgen Schweizer Trainer regelmäßig dem Lockruf der Bundesliga und drehen am Schwungrad des deutschen Fußballs. Fast hätten wir Christian Gross vergessen, der beim VfB zeitweise auf seiner Glatze Locken drehte, oder Martin Andermatt, der sich mit den Ulmern bis in die Bundesliga verirrte.

Doch das Tüpfelchen auf dem i ist Lucien Favre. Als er kam, ging der beliebteste Witz unter uns Deutschen noch so: Ein langsamer Schweizer und ein schneller Schweizer rennen nach dem Ball - wer erobert ihn? Antwort: Der langsame Schweizer. Einen schnellen Schweizer gibt es nicht.

Die bessere Antwort hat dann Lucien Favre gefunden und der Bundesliga den überfallartigen Konter-, Kombinations- und Hochgeschwindigkeitsfußball geschenkt. Beim BVB geht die Post ab, inzwischen spielt Marco Reus den Ball schon weiter, noch ehe er ihn hat. Dagegen kann höchstens Urs Fischer helfen.