Die Zahl der Schiedsrichter im Amateurfußball nimmt ab, auch weil die Anfeindungen immer zahlreicher werden Foto: dpa

Der gesellschaftliche Wandel und die Dominanz des Profifußballs machen kleinen Clubs zu schaffen. Die Zahl der Spieler, Schiedsrichter und Funktionäre sinkt, die Gewalt steigt. Doch es gibt Lösungsansätze.

Stuttgart - Wenn Michael Zeyer auf die alten Zeiten bei seinen ehemaligen Vereinen SV Auernheim und Heidenheimer SB angesprochen wird, gerät der Ex-Profi ins Schwärmen: „Das ganze Dorf lebte Fußball. Die Frau schob sonntags den Kinderwagen auf den Sportplatz. Das waren Orte der Begegnung“, sagt der Sportdirektor der Stuttgarter Kickers. Und heute? Da begegnet man sich oft anders. Nicht mehr real. „Man klappt den Laptop hoch und trifft sich auf Facebook“, bedauert Zeyer. Der radikale Wandel der Gesellschaft wirkt sich aus. Auch auf den Fußball.

Die Ehrenamtlichen

Es wird immer schwieriger, Ehrenamtliche für die Mitarbeit in den Vereinen zu begeistern. Wolfgang Niersbach, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), lobt die Arbeit an der Basis überschwänglich. Doch es klingt so, als ob ein Trainer die Bedeutung seiner Auswechselspieler hervorhebt.

Immerhin: Der DFB hat die Probleme in den Niederungen erkannt und reagierte darauf mit der Imagekampagne „Unsere Amateure. Echte Profis“. Die stillen Helden im Hintergrund werden in den Fokus gestellt. „Außerdem gibt es eine öffentliche Belohnungskultur, indem zum Beispiel Ehrenamtliche zu Länderspielen eingeladen werden“, sagt Matthias Schöck, der Präsident des Württembergischen Fußballverbandes (WFV).

Die Spieler und Mannschaften

Schon allein die demografische Entwicklung bringt einen anhaltenden Rückgang der fußballspielenden Kinder mit sich. Der Zustrom von Flüchtlingen bietet Möglichkeiten, dem entgegenzuwirken. „Dies ist eine sehr große Chance, aber beileibe kein Selbstläufer. Die Vereine müssen sich anderen Kulturen, anderen Werten, anderen Denkstrukturen öffnen“, gibt der Sportwissenschaftler und Fan-Forscher Gunter A. Pilz zu bedenken.

Der DFB leistet mit seiner Aktion „1:0 für ein Willkommen“ Unterstützung, insgesamt werden Amateurvereinen 1,2 Millionen Euro bis 2019 für die Arbeit mit Flüchtlingen zur Verfügung gestellt. „Wir helfen den Vereinen beim Helfen“, versichert Matthias Schöck – auch aus eigenem Interesse.

Die Gewalt

Nicht die Anzahl der durch Ausschreitungen abgebrochen Spiele im Amateurbereich steigt, sondern vor allem die Intensität der Gewalt auf Gegenspieler und Schiedsrichter. Dies schreckt auch Jugendliche ab, sich als Unparteiische ausbilden zu lassen. Wird diese Entwicklung nicht aufgehalten, wird der Verband in absehbarer Zeit nicht mehr alle Spiele mit Schiedsrichtern besetzen können.

WFV-Chef Schöck treibt das Thema um, er gibt sich aber zuversichtlich: „Unsere Anti-Aggressions-Seminare zeigen Wirkung.“ Unterstützung erhält er von Fan-Forscher Pilz: „Die Verbände tun mit ihren Maßnahmen zur Gewaltprävention alles Menschenmögliche.“

Die Dominanz der Profis

Es ist schwierig, jemanden bei Nieselregen für ein Kreisliga-Spiel auf dem Ascheplatz zu begeistern, wenn zeitgleich beim TV-Bezahlsender Sky der Bundesliga-Zirkus läuft. „Der dramatische Rückgang der Zuschauerzahlen im Amateurfußball hat viele Gründe, der allerkleinste aber ist die Bundesliga“, hält BVB-Chef Watzke dagegen. Vielmehr sei der Amateurfußball nicht sexy genug, ihm fehle der Event-Charakter, der für eine größere Resonanz zwingend nötig sei.

Damit kritisiert er zum einen fehlende kluge, professionelle, nachhaltige Marketing-Strategien, Ideen und Konzepte von kleineren Clubs, die das Geld lieber in den fünften Auswechselspieler ihrer Bezirksliga-Mannschaft stecken. Zum anderen die Gesellschaft, in der wir leben. Welches Produkt man einkaufe, hänge im Zweifel davon ab, welche Verpackung schöner gestaltet ist oder welche Marke das bessere Image hat.

Experte Pilz sieht den Fußball an der Basis dennoch keineswegs perspektivlos: „Der Kommerz und die aberwitzigen Summen, die im Profifußball kursieren, könnten das Interesse wieder stärker auf den Amateurfußball lenken.“ Könnte es also eine Renaissance der kleinen Vereine geben, als Orte der realen Begegnung? Zeyer (47) ist skeptisch: „Es gibt immer gewisse Zyklen. Und es kann auch sein, dass die Menschen in der individualisierten Lebensform irgendwann eine gewisse Leere bemerken. Aber ich werde die Auswirkungen dieses möglichen Wandels nicht mehr erleben.“