Beeindruckten mit ihren Emotionen und lauten Fangesängen bei der EM: Die isländischen Fans. Foto: Getty

Laute Fan-Schlachtrufe, ekstatische TV-Kommentare und skurrile Namen: Die Isländer sind bei der Fußball-EM nicht nur zur Turnier-Überraschung geworden, sondern auch zu Siegern der Herzen. Warum sie fehlen werden.

Stuttgart/Paris - Auch wenn die „Huh“-Schlachtrufe wohl bleiben werden, bei dieser EM, wird vieles fehlen, nach dem Ausscheiden der Isländer aus dem Turnier. Die Fangesänge, die jubelnden Reporter, die skurrilen Namen. Und nicht zuletzt das selbstbewusste, tapfere Auftreten der Männer von der Insel im Atlantik, irgendwo zwischen Norwegen und Grönland. Wir haben folgende Gründe, warum uns die Isländer fehlen werden.

Der ungebrochene Siegeswille

Das Team aus Island, dem kleinsten Teilnehmer-Land bei den Europameisterschaften, kam als krasser Außenseiter zum Turnier. Eine Mannschaft, trainiert von einem, der kaum isländisch versteht und einem, der hauptberuflich Zahnarzt ist. Und irgendwie schafften sie eine kleine Sensation – schlugen erst Österreich und dann, im Achtelfinale, auch noch England – und wurden so, vielleicht neben den Walisern, zur Überraschung der EM. Zu den Publikumslieblingen, zu einer Legende. Schließlich galt die isländische Mannschaft bis vor wenigen Jahren noch als abgeschrieben, war in der Fifa-Weltrangliste irgendwo hinter dem Sudan oder den Färöer-Inseln gelistet.

Vermutlich ist es genau dieses Bodenständige, das die Isländer so schnell beliebt machte – und nicht ihr etwas defensives, zähes 4-4-2-Spiel. Trotz ihrer Rolle als Außenseiter, teilweise gar als Amateure, war da dieser ungebrochene Siegeswille, dieses bodenständige, furchtlose Auftreten, das Selbstbewusstsein auch gegenüber den Spielern, den Weltfußballern aus Portugal oder England. Ja, klar, gegen Frankreich half das alles nicht mehr. Nicht die gefährlichen Einwürfe von Kapitän Gunnarsson, und nicht die Tatsache, dass sie auch nach dem 0:4 Rückstand zur Halbzeitpause noch nicht aufgaben, noch zwei Treffer erzielten. Genau das wird nun fehlen, aber genau das ist es wohl auch, was man von diesen Spielern lernen kann – tapfer zu bleiben, nicht aufzugeben, ganz wikingerhaft. Und, vielleicht wäre es tatsächlich ein „bisschen zu viel gewesen, die EM gleich im ersten Versuch zu gewinnen“, wie Kolbeinn Sigthorsson nach dem Spiel gegen Frankreich sagte.

Die feiernden Fans

Und dann sind da natürlich die Fans, mit ihren Schlachtrufen, den lauten Fangesängen, ihrer Feierlaune. Die selbst dann noch bleibt, als schon längst klar ist, dass die Franzosen gewonnen haben, dass es das war, mit der EM. Als die Mannschaft nach der Halbzeitpause im Stade de France, dem Hauptstadtstadium, wieder auf den Platz trat, gab es lauten Beifall, und auch nach dem Spiel feierten die meisten Fans in blau-rot-weiß ihre Mannschaft mit einem letzten „Huh“.

Mitten im Fanblock viele Frauen und Kinder. Auch zum Spiel gegen Frankreich kamen wohl rund 15.000 Isländer, und selbst der künftige Präsident der Isländer, Gudni Thorlacius Johannesson, stand mit blauem Trikot im Fanblock.

Auch wenn die Fans nun gehen – ihr Ruf ist irgendwie Kult geworden, bei dieser EM. Das rhythmische Klatschen dazu, die Hände über den Köpfen, das immer schneller wird. Im Stadion von St. Denis stimmten irgendwann auch die Franzosen mit ein, und auch bei anderen Spielen war ab und an ein „Huh“ aus den Reihen der Fans zu hören.

Die ekstatischen Emotionen

Die Leidenschaft, die Ekstase des isländischen TV-Kommentators Gudmundur Benediktsson stehen wohl stellvertretend für die Emotionen, die die Isländer mit in diese Europameisterschaft gebracht haben. „Gummi Ben“ wird der Reporter auch genannt. Der schon beim Spiel gegen Österreich völlig ausrastete, in den höchsten Tönen loskreischte, sich stimmlich überschlug – und am Ende kaum noch sprechen konnte: „Meine Stimme ist weg“, röchelte er damals, „aber das ist egal. Wir sind weiter!“ Auch gegen England schrie sich „Gummi Ben“ um seine Stimme – und teilte auch noch kräftig gegen die Brexit-Nation aus. Beim Spiel gegen Frankreich sendete das ZDF im Internet auch den Livestream mit dem Kommentar des Isländers, der vor allem in den sozialen Netzwerken zu einer Kultfigur wurde. Noch etwas also, was nun fehlen wird. Aber diese Emotion, diese bodenständige Leidenschaft und Begeisterung für den Sport, für den Fußball, für die Kultfiguren wie Benediktsson stehen, die könnte bleiben – denn dass dies existiert, haben die Isländer bewiesen. Auch, wenn die Emotionen in Zeiten von Euroskepsis, Brexit und Terrorwarnungen während der EM wohl manchmal kaum noch spürbar waren.

Die witzigen Wortspiele

Spätestens seit seinem 2:1 Siegtor gegen England wird Kolbeinn Sigthorsson gefeiert, vor allem in den sozialen Netzwerken. Und spätestens seit da sind Wortspiele mit den isländischen Namen der Hit. #Läuftbeiunsson wurde fortan bei Twitter und in anderen sozialen Netzwerken zum Trend-Begriff. Im Internet konnte man sich sogar seinen Namen „islandisieren“ lassen. „Isländischer Trainer froh, dass er Sigthorsson statt Eigenthorsson aufgestellt hat“, titelte die Satireseite Der Postillon nach dem Spiel gegen England.

Und auch während des Spiels gegen Frankreich blieben witzige Wortspiele nicht aus: „Jetzt muss Hattrickson kommen. Dann Ausgleichtorson. Oder die sichere Variante mit Ehrentrefferson“, schrieb ein Nutzer bei Twitter. Doch es half alles nichts, Sigthorssons Treffer wurde kein Siegtor, und mit den Wortspielen ist es nun wohl erst einmal vorbei.

Die skurrilen Insel-Fakten

Apropos isländische Namen. Während die meisten Europäer vor der EM vermutlich kaum etwas über die kleine Nation wussten, sind nun, nach dem Ausscheiden, immerhin viele Dinge über Island bekannt. Zum Beispiel, dass es im Isländischen fast keine Familiennamen gibt, und dass Namenslisten dort deshalb nach Vornamen sortiert sind. Weil die Menschen dort als Nachname den Vornamen des Vaters oder der Mutter tragen, jeweils mit der Ergänzung –„son“ für Sohn oder –„dottir“ für Tochter.

Immerhin leben auf der kleinen Vulkaninsel bei Grönland nur etwa 330.000 Menschen – so viele, wie in der westfälischen Stadt Bielefeld. Klar, dass es dort beispielsweise Fastfood-Ketten wie McDonalds eher schwer haben. Island gehört nämlich zu den wenigen Ländern dieser Welt, in der das Fastfood-Restaurant keine Filiale mehr hat – weil die Importkosten zu hoch und der Absatz zu gering war.

Ach, und dann ist da noch die Sache mit dem „Tag des Bieres“, auch das weiß man inzwischen wohl. Weil Bier in Island bis zum 1. März 1989 verboten war, wird dieser Stichtag nun einmal im Jahr gefeiert. Ganz friedlich, versteht sich, denn Island gilt schließlich als eines der sichersten und friedlichsten Länder weltweit – kein Wunder, dass Profi-Boxsport hier verboten ist.