Lässig: Bundestrainer Joachim Löw Foto: AP

Experten-Meinungen oder Diskussionen über die Stürmer in der Nationalmannschaft interessieren den Bundestrainer Joachim Löw nicht mehr. „Ich würde als Außenstehender lieber ganz ruhig sein.“

Evian - Der Bundestrainer hat es sicher nicht selbst gelesen. Er interessiert sich schon lange nicht mehr dafür, was arbeitslose Trainer, ehemalige Spieler und sonstige Fachleute im vorgezogenen Ruhestand von seiner Arbeit halten. Irgendeiner aber muss es ihm offenbar berichtet haben – jedenfalls weiß inzwischen auch Joachim Löw, wie Michael Ballack die Sache sieht: „Der Mannschaft fehlen ein bisschen Persönlichkeit und Charakter“, so lautete die Ferndiagnose des früheren DFB-Kapitäns nach dem 0:0 gegen Polen.

Joachim Löw rührt in seinem Espresso und überlegt kurz, was er darauf erwidern könnte. „Das zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht“, erklärt der Bundestrainer, doch lächelt er nicht, sondern wirkt eher so, als würde er vor lauter Langeweile gleich gähnen. Von den „großartigen Führungsqualitäten“ seiner Spieler berichtet er, sonst wären sie ja nicht Weltmeister geworden. „Das sagt alles“, findet Löw, „ich würde als Außenstehender lieber ganz ruhig sein.“ Und überhaupt: „Es geht an mir vorbei, was irgendeiner dazu sagt.“

Löw muss niemandem mehr etwas beweisen

Es gibt sehr vieles, was am Bundestrainer vorbeigeht, auch jetzt, da vor dem letzten Gruppenspiel gegen Nordirland am Dienstag (18 Uhr) in Paris die Aufgeregtheiten rund um die deutsche Nationalmannschaft größer werden. Sie lassen ihn kalt, weil er erstens aus Erfahrung weiß, dass die DFB-Teams unter seiner Führung fast nie mit Glanz und Gloria durch die Vorrunde marschiert sind und trotzdem bei jedem der vier Turniere mindestens das Halbfinale erreicht haben. Zweitens müssen nicht nur viele seiner Spieler qua Weltmeistertitel im Grunde niemandem mehr etwas beweisen, sondern auch er selbst. Joachim Löw ist Weltmeistertrainer und wird es bleiben, auch wenn die EM in Frankreich früher als sonst zu Ende gehen sollte.

Diese Gewissheit hat den 56-Jährigen, dem emotionale Schwankungen auch früher eher fremd waren, endgültig zu einem freien Mann gemacht, der sich von nichts und niemanden mehr aus der Ruhe bringen lässt. Der WM-Titel gibt ihm „einen Schuss Sicherheit und Bestätigung“, sagt Teammanager Oliver Bierhoff. „Der Rucksack ist abgelegt.“ Und so kümmert sich Löw nur noch um Dinge, die er für wichtig hält.

Ein Loblied auf Özil und Götze

Eher gelangweilt nimmt er die öffentliche Debatte über die Frage zur Kenntnis, warum die deutsche Offensive nicht mehr zwingend vors Tor des Gegners kommt. „Mal dreht sich alles um die Außenverteidiger, mal um die Innenverteidiger oder Flügelstürmer – jetzt ist wieder einmal die zentrale Spitze dran“, sagt Löw. Es könne „kein grundsätzliches Problem“ feststellen, „nur weil wir einmal 0:0 gespielt haben“.

Das Hohelied auf die glücklosen Zauberfüße Mesut Özil und Mario Götze singt der Bundestrainer, „zwei überragende und herausragend wichtige Spieler für unsere Mannschaft“. Sollen die Leute vor dem Nordirland-Spiel noch so laut nach Mario Gomez rufen – dem Bundestrainer ist das egal: „Ich will keinen sturen Mittelstürmer, der nur im Zentrum spielt. Ich will flexible Spieler, die mit Tempo in die Spitze gehen. Nur dann können wir Tore schießen.“

2014 in Brasilien machte Löw noch einen ganz anderen Eindruck

Auch aufgrund des öffentlichen Drucks hatte Löw bei der WM 2014 Philipp Lahm nach dem Achtelfinale gegen Algerien aus dem zentralen Mittelfeld zurück auf die Position des Rechtsverteidigers beordert. Diesmal, so scheint es, würde er lieber mit fliegenden Fahnen untergehen, als von seiner Idee des flotten Kurzpassspieles abzurücken. Flanke – Kopfball – Tor, das, so wirkt es, ist dem Fußballästheten zu profan.

Ganz anders als in Brasilien ist auch sein eigenes Auftreten. In sich gekehrt war Löw damals, grübelte auch nachts noch in seinem Trainerzimmer und erschien bei Pressekonferenzen nur dann, wenn es sich gar nicht mehr vermeiden ließ. Bei der EM ist er zum Dauergast geworden, der die Runde gern an seiner tiefenentspannten Stimmung teilhaben lässt und für regelmäßiges Gelächter sorgt.

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Fröhlich rechnete er dem DFB-Präsidenten Reinhard Grindel vor Turnierbeginn vor, dass ein frühzeitiges Ausscheiden immerhin mit geringeren Kosten für den Verband verbunden sei. Einen deutschen Reporter sprach er nach dem Auftaktspiel an, als nach der Frage eines Kollegen aus der Ukraine die Stimme des Simultandolmetschers nicht auf seinem Kopfhörer zu vernehmen war: „Können Sie das vielleicht übersetzen?“ Und zum Entsetzen des Sicherheitspersonals in Evian stimmte er sofort zu, als ihn dieser Tage einer frech fragte, ob der Journalistentross nach Feierabend auf einem Nebenplatz des hermetisch abgeriegelten Trainingsgeländes kicken dürfe: „Selbstverständlich.“

Ob Löw überhaupt Steffen Freunds Kritik registriert hat?

Schuldig bleibt Löw dagegen die Antwort, wie, wo und gegen wen es für sein Team im Achtelfinale weitergehen könnte, sollte es nicht Gruppensieger werden. „Die anderen Wege kenne ich nicht“, sagt er, „da müsste ich mich erst einmal bei meinen Trainern informieren, die wissen das besser als ich.“ Auch das Studium des Turniertableaus gehört nicht zu den Dingen, mit denen Löw seine Zeit verbringen möchte.

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Umso größer dafür der Einsatz der Altinternationalen. „Es gibt überhaupt keinen Konkurrenzkampf. Wenn das Joachim Löw nicht schnell schafft, kommst du nicht weit“, warnte Steffen Freund, Europameister von 1996, am Fußballstammtisch von Sport 1 und erinnerte auch an Löws Griff in die eigene Hose: „Der Respekt vor dem deutschen Team geht verloren. Das Saubermann-Image ist angekratzt.“ Joachim Löw dürfte auch darüber nur müde lächeln. Wenn er es überhaupt mitbekommt.