Granit Xhaka (Schweizer): Besonderes Duell gegen seinen Bruder Taulant (Albanien) Foto: dpa

Offiziell spielt die Schweiz gegen Albanien, doch das ist trügerisch: Im Grunde trifft das Team Schweiz 1 auf die Mannschaft Schweiz 2. Oder die Mannschaft Albanien 1 auf das Team Albanien 2 – je nach Sichtweise.

Marseille - Granit und Taulant Xhaka sind Brüder. Beide sind in der Schweiz geboren und Kinder kosovarischer Eltern, die in der 1980er Jahren emigriert sind. Beide sind in Basel aufgewachsen, dort haben beide auch das Kicken gelernt. Sie sind nach denselben pädagogischen Prinzipien erzogen worden. sie hatten teilweise die gleichen Freunde, ihre Sozialisation verlief parallel. Entsprechend nahe stehen sie sich. Granit erzählt gern, dass die Mutter ihm, dem 18 Monate Jüngerem und Vernünftigerem, immer den Wohnungsschlüssel anvertraut hat, wenn sie nicht zu Hause war. Und doch, eines unterscheidet sie nicht nur, es trennt sie: Wenn die Schweiz an diesem Samstag (15 Uhr) in Lens auf Albanien trifft, spielen sie getrennt – Granit (23) für die Schweiz, Taulant (24) für Albanien. Zwei Brüder als Gegner.

Wege kreuzen sich

„Es ist das Letzte, was wir uns gewünscht haben“, sagt Granit Xhaka, der gerade für 42 Millionen Euro von Borussia Mönchengladbach zum FC Arsenal gewechselt ist. Da auch Bruder Taulant (FC Basel) im Mittelfeld spielt, werden sich ihre Wege häufig kreuzen – zum Leidwesen beider. „Am besten wäre, wenn wir beide in der zweiten Minute vom Platz fliegen“, sagt Granit Xhaka augenzwinkernd.

Ihr Duell steht stellvertretend für ein EM-Spiel, das anders ist als alle anderen. Elf der 23 Profis aus dem albanischen Kader sind fußballerisch in der Schweiz ausgebildet worden. Und 17 der 23 Profis aus dem Aufgebot der Eidgenossen haben neben dem Schweizer Pass einen aus einem anderen Land, bevorzugt aus Albanien und dem Kosovo – außer Granit Xhaka auch Xherdan Shaqiri, Valon Behrami, Ricardo Rodriguez und Breel Embolo. Spieler mit Qualität also, die höheren Anforderungen genügen, der sportlichen Erfolg verspricht. Für alle anderen mit albanischen oder kosovarischen Wurzeln war das Herkunftsland ihrer Eltern ein sportliches Auffangbecken. Unter dem Nationaltrainer Gianni de Biasi formten sie seit 2011 eine Einheit, die nun am Ziel ist: „Als ich gesagt habe, dass sich Albanien für die EM qualifizieren kann, haben sie mich ausgelacht“, sagt De Biasi. Nach einem 1:0 in Portugal haben sie dem gebürtigen Italiener den albanisierten Namen Gani Abazi verpasst und ihn eingebürgert.

Fußball als Sprungbrett

Rund 1,5 Millionen Albaner leben in West-Europa, die Hälfte von ihnen in Italien, 300 000 in Deutschland, 50 000 in Schweden – und 200 000 in der Schweiz. Vielen Migrantenkindern bietet der Fußball eine der wenigen Möglichkeiten für wirtschaftlichem Erfolg und sozialer Anerkennung. So ködern Schweizer Talentspäher schon Sechsjährige, viele danken das Interesse mit gesteigertem Ehrgeiz. Wer es nicht nach oben schafft, kann sich, bestens ausgebildet, immer noch für Albanien entscheiden. „Für viele, die bei uns spielen, sind wir nur zweite Wahl“, klagt Redi Jupi, der Technische Leiter des albanischen Verbandes.

Andererseits: Auch wer sich in der Schweiz fußballerisch durchgesetzt hat, muss sich zuweilen rechtfertigen. Als der Schweizer Trainer Vladimir Petkovic (52), der aus Bosnien-Herzegowina stammt, 2015 die Nationalspieler Tranquillo Barnetta und Pirmin Schwegler nicht berücksichtigte, zettelte ihr Teamkollege Stephan Lichtsteiner eine Debatte über die Rolle der sogenannten Secondos los, den in der Schweiz geborenen Kindern von Einwanderern. In der Anonymität des Internets gelten Granit Xhaka oder Blerim Dzemaili schon mal als „Papierlischweizer“. So stecken sie alle in der Identitätsfalle. „In der Schweiz“, sagt Xhaka, „bin ich für einige der Ausländer, in Albanien bin ich der Schweizer.“

An diesem Samstag ist er Bruder und Gegner, beide Male von Taulant – in beiden Fällen plädiert er auf unschuldig. Weder sportliche noch finanzielle Umstände hätten sie für die eine oder andere Nationalmannschaft entscheiden lassen, sondern: „Bei mir hatte Albanien kein Interesse, die Schweiz aber schon. Bei Taulant war es umgekehrt.“