Mattias Mußler in seinem Lager im Stuttgarter Osten. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Der Kosmetikhändler Mußler wird Teil des europaweit führenden Internetversenders seiner Branche. Die Ladengeschäfte und der Firmenstandort im Stuttgarter Osten sowie die rund 100 Mitarbeiter bleiben.

Stuttgart - Die Tinte unter den Verträgen ist eben erst getrocknet. Vor wenigen Tagen wurde eine der größten Fusionen im Stuttgarter Einzelhandel besiegelt. Das Traditionsunternehmen Mußler Beauty und der tschechische Internetriese Notino gehen künftig gemeinsame Wege. Interessant ist dabei – es handelt sich nicht um eine feindliche Übernahme. Der Deal zeigt viel mehr, wie eine lukrative Perspektive für den Einzelhandel aussehen könnte. Angepeilt ist die Verflechtung aus digitalem und stationärem Handel, bei der beide Seiten von ausgewiesenen Experten ausgebaut werden.

Mußler gehört zu den Stuttgarter Traditionsgeschäften – einem Zusammenschluss der ältesten und erfolgreichsten Einzelhändler der Stadt. Ein Familienbetrieb in dritter Generation, der am 1. April auf genau 82 Jahre Unternehmensgeschichte zurückblicken kann. Und: Firmenchef Mattias Mußler gilt als Vordenker unter den Stuttgarter Händlern, wenn es darum geht, den Weg ins digitale Zeitalter zu finden. 2016 liegt der Umsatz bei rund 12 Millionen Euro, etwa die Hälfte verdient der Kosmetikhändler bereits im Internet. Mehr als respektabel für ein stationäres Urgestein. Doch der Firmenchef selbst schätzt das anders ein: „Damit sind wir in der Internetwelt verschwindend klein“, sagt Mattias Mußler.

Wie zukunftsfähig ist der stationäre Handel?

Trotz des Erfolgs des Betriebs drängte sich dem 41-jährigen Geschäftsmann daher die unangenehme Frage auf: „Ist mein Geschäftsmodell auch in zehn Jahren noch tragfähig?“ Die ehrliche Antwort: Sicher ist das nicht. Nicht nur in Stuttgart sind in den vergangenen Jahren zahlreiche traditionsreiche, familiengeführte Händler von der Bildfläche verschwunden. Hinzu kamen zahlreiche Offerten von Großkonzernen, die sich den Stuttgarter Betrieb einverleiben wollten. „Ich denke grundsätzlich über alles nach“, antwortet Mußler auf die Frage, wie weit die Gespräche mit den verschiedenen Investoren bereits gediehen waren. Doch es gab immer ein Problem: „Ich wollte die lokalen Strukturen, die Werte, die wir über die Jahre geschaffen haben, erhalten.“ Mußler hat rund 100 Mitarbeiter. Der Betrieb verwaltet von seinem Stammsitz, einer ehemaligen Tabakfabrik im Stuttgarter Osten, verschiedene eigene Online-Plattformen, eine Fachschule für Visagisten und fünf Ladengeschäfte.

Vor wenigen Monaten erreichte Mußler dann eine E-Mail aus Brünn. Stuttgarts Partnerstadt ist der Sitz des europaweit führenden Internethändlers von Kosmetikprodukten – Notino. Das Unternehmen hat 2005 losgelegt und gehört zu 100 Prozent dem heute 33 Jahre alten Gründer Michal Zámec. Im vergangenen Jahr lag der Umsatz bei mehr als 220 Millionen Euro – allein 40 Millionen davon wurden in Deutschland erwirtschaftet. Für das laufende Jahr rechnen Branchenkenner mit einem Umsatz in der Größenordnung von 300 Millionen Euro. Zum Vergleich: In Handelskreisen spricht man der bekannten Kosmetikmarke Douglas Online-Umsätze von rund 180 Millionen Euro jährlich zu. Notino beschäftigt über 1000 Mitarbeiter und zählt mehr als vier Millionen aktive Kunden. Das Unternehmen gilt als Branchenprimus. Notino wurde bereits als eines der 50 schnellst wachsenden Technologie-Unternehmen Europas und mehrmals als bester Online-Shop in Tschechien, Polen, Ungarn und Slowakei ausgezeichnet.

Beim ersten Treffen habe man sich über den Handel im digitalen Zeitalter unterhalten und sofort Ideen geschmiedet, erinnert sich Mußler. Der gemeinsame Gedanke: Erfolgreiche Online-Händler müssen in Zukunft offline verfügbar sein. Wie zum Beweis der These sind Internetgrößen wie Amazon aktuell dabei, genau diesen Schritt zu gehen. „Die Menschen wollen einen direkten Ansprechpartner, sie wollen ausprobieren, reklamieren und Kontakt mit Verkäufern haben“, sagt Mußler.

Onlineexperten suchen Wissen des stationören Händlers

Aus diesem Grund betreibt der tschechische Internethändler bereits acht sogenannte Flagship-Stores. Das sind aufwendig ausgebaute Ladengeschäfte, die zudem als Abholstation für die im Netz bestellte Ware dienen. Doch so ehrlich, wie Mattias Mußler seine bisherige Bedeutung im Internet einschätzt, so ehrlich bewertet der Notino-Gründer seine Kompetenz im Offline-Bereich. „Wir haben eigentlich keine große Ahnung vom stationären Handel“, sagte Michal Zámec bei einem der ersten Gespräche in Brünn. Die Lösung der beiden Geschäftsmänner: Notino nimmt Mußler die Sorgen im Online-Bereich, Mußler nimmt Notino die Sorgen im Offline-Bereich. Für die Zukunft haben Zámec und Mußler große Pläne. Aus hiesiger Sicht wird die deutlichste Veränderung auf dem Firmenschild des Stuttgarter Traditionsunternehmens erkennbar. Über den Geschäften, etwa an der Hirschstraße unweit des Marktplatzes, wird künftig der Zusatz „by Notino“ zu lesen sein. Hinter den Kulissen sind die Veränderungen hingegen wesentlich gravierender. Mußler Beauty, der Mutterbetrieb, unter dem die Stuttgarter Geschäfte, die Schule und die eigenen Online-Shops betrieben werden, gehört von April an zu 75 Prozent Notino und zu 25 Prozent Mattias Mußler. Also doch eine Übernahme? „Nein, eine Partnerschaft auf Augenhöhe“, betont Mußler entschieden.

Der Stuttgarter Händler trägt fortan die Titel „Country Manager Deutschland und Österreich“ sowie „Global Advisor“ bei Notino. Mußler gehört somit zu den Top-Managern des Online-Unternehmens und zeichnet für den massiven Angriff im stationären Handel verantwortlich.

Derzeit bestehen fünf Ladengeschäfte von Mußler und acht Filialen von Notino in Städten wie Prag oder Warschau. Innerhalb der kommenden drei bis fünf Jahre will das neue Unternehmen 50 stationäre Geschäfte in ganz Europa eröffnen – zehn allein in Deutschland. Suche nach geeigneten Standorten und die Konzeption der Läden, all das wird für Notino künftig in den Händen von Mattias Mußler liegen. „Das bedeutet auch, wir werden den Standort Stuttgart stärken“, sagt er. Rund 100 Menschen beschäftigt Mußler schon heute – das Team bleibt erhalten, zehn bis 20 neue Mitarbeiter sollen mittelfristig hinzukommen. Denn neben der Expansion im stationären Bereich sollen auch die Internetseiten für Deutschland und Österreich sowie das internationale Schulungsprogramm von Notino vom Stuttgarter Osten aus gesteuert werden.

„Wir haben großen Respekt vor dem Fachwissen, das sich Mattias Mußler und sein Team über die Jahre angeeignet haben“, sagt Zámec. Und: Er freue sich darauf, die künftige Entwicklung mit der eigenen Kompetenz im Online-Shopping und mit den eigenen finanziellen Möglichkeiten zu unterstützen. Zum geplanten Ausbau und seiner Strategie sagt Zámec: „Wir haben gerade erst begonnen.“