Die ersten Störche sind zurück: Ein Paar bei der Balz am Rhein. Foto: dpa

Vor 40 Jahren waren die Störche im Südwesten fast ausgestorben. Jetzt leben wieder 760 Brutpaare im Land. Doch die erfolgreiche Wiederansiedlung verzückt nicht alle: Am Bodensee werden die Vögel teils schon als Plage empfunden. Fachleute streiten derweil, ob man Störche füttern soll.

Stuttgart - Auf dem Weg in ihre Winterquartiere im Süden legen Weißstörche bis zu 10 000 Kilometer zurück. Entweder nehmen sie die Westroute und gelangen in drei bis vier Wochen über Spanien und Marokko nach Mali und Nordghana. Oder sie fliegen die Ostroute über die Türkei und den Nahen Osten und überwintern in Ost- oder sogar Südafrika. Wenn sie dann im Frühjahr zurückkehren, ist die Freude bei vielen Menschen groß: Der Storch ist ein Sympathieträger.

Das ist auch heute noch so, obwohl aus gerade noch 15 Brutpaaren in Baden-Württemberg im Jahr 1975 jetzt wieder rund 760 geworden sind. Es gibt aber auch Ausnahmen. In der zu Überlingen gehörenden kleinen Ortschaft Deisendorf mit rund 700 Einwohnern nisteten im vergangenen Jahr 16 Brutpaare. „Das ist wie eine Plage“, sagt eine Anwohnerin. Vor allem diejenigen wollen die Störche wieder dezimieren, die sich direkt belästigt fühlen, weil sich die Störche auf ihrem Hausdach oder auf einem Masten im Garten niedergelassen haben.

Daniel Schmidt-Rothmund, Leiter des Nabu-Vogelschutzzentrums Mössingen, hat dafür Verständnis: „Wenn da fünf oder zehn Störche gleichzeitig zwei oder drei Nächte übernachten und alle ihren Kot absetzen, sieht das ziemlich übel aus.“ Er schränkt allerdings ein: „Nach einem kräftigen Regenguss ist das schnell wieder erledigt.“ Schmidt-Rothmund plädiert für mehr Toleranz: „Viele Dorfgemeinschaften sind stolz auf ihre Nester und nehmen sogar an einem inoffiziellen Bundeswettbewerb teil.“

Störche laufen über Äcker

Schmidt-Rothmund wertet die wachsende Storchenpopulation „insgesamt positiv“. Aber: „Inzwischen sind sehr viele Störche abhängig von Fütterungen. Man gaukelt eine heile Natur vor.“ Das spiegle nicht die natürliche Lebenssituation der Tiere wider.

Ansiedlungsprojekte in früheren Jahren haben zu einem anderen unnatürlichen Verhalten vieler Störche geführt: Sie sparen sich im Winter den beschwerlichen Zug nach Süden und überwintern gleich hier. „Früher wurden die Störche in Volieren eingesperrt, um sie am Vogelzug zu hindern“, sagt Schmidt-Rothmund. Das habe gewirkt, „die Vögel haben sich daran gewöhnt“. Vor allem Jungvögel, die den Vogelzug verpassen, bleiben offenbar oft hier.

Das veränderte Verhalten der Störche führe nun teilweise zu Konflikten, sagt der Fachmann. Auf den Feldern laufen sie teilweise den Traktoren hinterher, um sich im aufgewühlten Boden Regenwürmer und Mäuse zu schnappen. Weiter ernähren sie sich von Fischen, Fröschen, Großinsekten und auch Kleinvögeln. Ob diese Nahrungsquellen ausreichen, will Schmidt-Rothmund nicht eindeutig beantworten. Er plädiert auf jeden Fall dafür, weniger oder gar nicht zu füttern. Die Störche, die hier überwintern, seien gegenüber denen, die ziehen, ohnehin im Vorteil, weil sie sich die besten Nistplätze sichern könnten. Den Heimkehrern Ende März und Anfang April bleibe nur die zweite Wahl.

Tod auf der Müllkippe

Die Landesstorchenbeauftragte Ute Reinhard hält von Fütterungen ebenfalls wenig. Dass sich 16 Storchenpaare das kleine Deisendorf als Nistplatz ausgeguckt haben, führt Reinhard auf den Wildpark Affenberg zurück. Denn dort würden Störche nach wie vor gefüttert. Aus ihrer Sicht sollte „die Fütterung generell abgestellt werden“. Dass so viele Störche inzwischen im Südwesten überwinterten, sei auch auf die Fütterung zurückzuführen – 17 Prozent hätten den Winter in Baden-Württemberg verbracht. Die wichtigsten Gebiete sind der Rheingraben und der Bodenseeraum bis nach Oberschwaben – die Höhenzüge der Mittelgebirge werden von den Störchen eher gemieden.

Trotz aller Veränderungen nimmt nach Reinhards Erkenntnissen die Storchenpopulation insgesamt nicht zu. Das liegt wohl daran, dass maximal 20 bis 30 Prozent der Zugstörche den Flug überleben und zurückkehren. Den meisten wird ein Stromschlag durch Oberleitungen zum Verhängnis. Andere fressen auf Müllkippen Giftiges, andere werden von Beutegreifern erlegt.

Roland Hilgartner, Chef des Tierparks Affenberg bei Salem, ist dagegen ein Verfechter der Fütterungen. Durch die Intensivierung der Landwirtschaft, Trockenlegung von Feuchtgebieten und Begradigung von Flüssen sei das Nahrungsangebot für Störche stark zurückgegangen: „Für Störche gibt es keine blühenden Landschaften mehr.“ Aus Hilgartners Sicht überleben sogar nur zehn Prozent der ziehenden Störche ihre Reise in den Süden.

Ziel ist selbst tragende Population

Auf dem Affenberg gebe es lediglich 20 Überwinterer: Pflegetiere, verunfallte Tiere oder Vögel, die man am Zug gehindert hat. „Der Anteil der Nichtzieher hat sich sogar verringert“, sagt Hilgartner und will damit widerlegen, dass durch Fütterungen die Population wachse. Hilgartner will die Pflege der Störche flexibel handhaben: „Aktuell füttern wir wenig zu.“ Die Störche kämen erst gar nicht aufs Gelände, wenn sie draußen genügend Nahrung fänden. Er ist mit Ute Reinhard im Grunde einig: „Ziel muss eine sich selbst tragende Storchenpopulation sein.“